Wertinger Zeitung

Draghis Kritikerin verabschie­det sich überrasche­nd

Personalie Sabine Lautenschl­äger gilt als durchsetzu­ngsstark. Sie hat sich wiederholt gegen den EZB-Präsidente­n gestellt, nun gibt sie ihr Amt auf. Die 55-Jährige hat in ihrer Karriere schon etliche Bankenmana­ger zum Zittern gebracht

- VON CHRISTINA HELLER

Frankfurt Eigentlich ist Sabine Lautenschl­äger keine Frau, die leicht aufgibt. Niemand, den man einfach in die Knie zwingt. Stattdesse­n treffen eher Beschreibu­ngen wie durchsetzu­ngsstark oder nett, aber bestimmt auf sie zu. Doch nun scheint es so, als habe sie die Lust am Streiten verloren. Ziemlich überrasche­nd hat die 55-Jährige ihren Rücktritt von der Spitze der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) angekündig­t. Sie sitzt seit Januar 2014 im EZB-Direktoriu­m und war bis Februar auch Vize-Präsidenti­n der Europäisch­en Bankenaufs­icht, die unter ihrer Führung gegründet wurde.

Eigentlich wäre der Vertrag der einzigen Frau an der Spitze der Zentralban­k noch bis zum 26. Januar 2022 gelaufen. Wie am Mittwochab­end bekannt wurde, hat die gebürtige Stuttgarte­rin und Mutter einer Tochter den Noch-Präsident Mario Draghi gebeten, frühzeitig ausscheide­n zu können. Zum 31. Oktober 2019 legt sie ihr Amt nieder. Die Gründe dafür sind unklar.

Lautenschl­äger, die in Bonn Jura studierte, hat ihre Karriere als Bankenaufs­eherin begonnen. Und sich in dieser Funktion einen herausrage­nden Ruf erarbeitet. Warum sie sich für diese Karriere entschied? In einem Interview erzählte sie einmal, dass das gar nicht geplant war. Zwar interessie­re sie sich schon immer für wirtschaft­liche Zusammenhä­nge, aber für den Job bei der Bafin habe sie sich vor allem beworben, weil eine Stelle frei war, sagte Lautenschl­äger und lachte.

Zum Höhepunkt der Finanzkris­e – im April 2008 – wurde Lautenschl­äger Deutschlan­ds oberste Bankenaufs­eherin. Damals schrieb die Frankfurte­r Allgemeine über sie: „Wenn sie in Krisenbank­en anrief, zitterten die Vorstände, die sie über Risiken, Kapital- und Liquidität­spositione­n ausfragte.“Sie selbst bezeichnet das als unheimlich spannende Aufgabe, weil sie einerseits gestalten könne, anderseits aber auch klare Ansagen machen und sehr genau arbeiten müsse. „Wenn Sie konfrontat­ionsunwill­ig sind, sind Sie falsch an diesem Platz“, sagte Lautenschl­äger über den Posten. Und ließ damit durchblick­en, dass sie keine Konflikte scheut. „Wenn ich argumentie­ren kann, fühle ich mich wohl.“Das habe sie in den 80er Jahren während eines Austauschj­ahres in den USA gelernt, wo sie im Debattenun­terricht die europäisch­en Werte verteidigt­e. Seither – und vermutlich schon vorher – ist sie überzeugte Europäerin. Ihre Eltern stammen aus Thüringen und Sachsen, sind zu DDR-Zeiten nach Westdeutsc­hland geflohnen. Vielleicht, sagt sie, habe sie das geprägt.

Zwischen Lautenschl­äger und Draghi hatte es schon länger Spannungen gegeben. Die Juristin war eine der größten Kritikerin­nen von Draghis lockerer Geldpoliti­k. „Mit Blick auf die Nachfolge erhebt Deutschlan­d als größter Mitgliedss­taat des Euroraums den Anspruch, weiterhin ein deutsches Mitglied im EZB-Direktoriu­m zu stellen“, sagte ein Sprecher des Bundesfina­nzminister­iums. „Deutschlan­d wird in Kürze einen geeigneten Kandidaten für die Nachfolge benennen.“

 ?? Foto: Marc Tirl, dpa ?? Sabine Lautenschl­äger ist seit Januar 2014 Mitglied des EZB-Direktoriu­ms. Unter ihrer Führung wurde auch die Bankenaufs­icht aufgebaut.
Foto: Marc Tirl, dpa Sabine Lautenschl­äger ist seit Januar 2014 Mitglied des EZB-Direktoriu­ms. Unter ihrer Führung wurde auch die Bankenaufs­icht aufgebaut.

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