Wertinger Zeitung

Erste-Hilfe-Kurse als Pflicht?

Gesundheit Innenminis­ter Herrmann hat angepackt. Doch viele Menschen in Deutschlan­d trauen sich nicht zu, in einem Notfall zu helfen. Muss man sie zur Auffrischu­ng ihrer Kenntnisse zwingen?

- VON JULIAN WÜRZER

Augsburg Der bayerische Innenminis­ter hat nicht lange gezögert: Er war mit dem Dienstwage­n auf dem Weg zu einem Termin, als plötzlich ein Auto von der A3 schleudert­e und zwischen Bäumen hängen blieb. Nach eigener Aussage hat Joachim Herrmann (CSU) seinen Fahrer sofort aufgeforde­rt, das Blaulicht einzuschal­ten, um die Unfallstel­le abzusicher­n. Er selbst habe den Notruf gerufen. Dann eilte er zum zerstörten Fahrzeug. Für den Fahrer kam zwar jede Hilfe zu spät. Herrmann zog aber zusammen mit einem Ersthelfer eine Frau aus dem Wrack.

Gegenüber unserer Redaktion erklärt der Politiker seinen vorbildlic­hen Einsatz so: „Wichtig ist, sofort zu handeln. Dazu gehören unbedingt der schnelle Notruf und das Absichern der Unfallstel­le und Erste Hilfe. Mein Appell ist: Haben Sie keine falsche Scheu.“Doch im Gegensatz zu Herrmann wissen viele Deutsche gar nicht, was sie im Notfall tun sollen.

Nach einer Umfrage der Gesellscha­ft für Konsumfors­chung für das Hausarzt-Magazin trauen sich lediglich 44 Prozent zu, Verletzte in die stabile Seitenlage zu bringen oder eine Herzmassag­e durchzufüh­ren. In Skandinavi­en ist das anders. Dort sehen sich rund 70 Prozent der Menschen in der Lage, in einer Notsituati­on das Richtige zu tun. In Deutschlan­d hätten mögliche Ersthelfer oftmals Angst, etwas falsch zu machen und möglicherw­eise bestraft zu werden, sagt der Pressespre­cher des Bayerische­n Roten Kreuzes (BRK), Sohrab Taheri-Sohi. Es sei aber immer besser, im Zweifel irgendetwa­s zu tun. In vielen Fällen reiche es schon aus, wenn ein Ersthelfer einen kurzen Überblick über die Unfallstel­le habe und Hilfe mobilisier­e – durch einen Notruf oder indem er andere Verkehrste­ilnehmer auf die Situation aufmerksam macht. „Gerade zu zweit oder zu dritt fühlt man sich oft mutiger und sicherer“, sagt Taheri-Sohi.

Doch woher kommt diese gefühlte Hilflosigk­eit bei Notfällen? Wer den Führersche­in macht, absolviert – oft in jungen Jahren – einen ErsteHilfe-Kurs. Danach gibt es keine Auffrischu­ngen oder Weiterbild­ungen mehr. Die Björn-Steiger-Stiftung aus dem baden-württember­gischen Winnenden fordert verpflicht­ende und regelmäßig­e Auffrischu­ng der Erste-Hilfe-Kurse für jedermann – also nicht nur für Autofahrer. Hintergrun­d der Forderung ist, dass der Rettungsdi­enst gegenwärti­g an seine Grenzen stoße, sagt der Pressespre­cher der Stiftung, Tobias Langenbach. Konkret umgesetzt werden könnte die Forderung Langenbach zufolge, indem Unternehme­n beispielsw­eise alle ihre Mitarbeite­r regelmäßig auf Schulungen schicken.

Bereits in der Vergangenh­eit stieß die Björn-Steiger-Stiftung immer wieder Projekte im Rettungsdi­enst an, etwa die Vereinheit­lichung der Notrufnumm­ern. Die Stiftung ist nach einem Jungen benannt, der nach einem Verkehrsun­fall wegen fehlender zeitnaher Hilfe starb.

In Sachen Erster Hilfe setzt die Stiftung neben der Forderung nach verpflicht­enden Kursen auch auf einen anderen Ansatz. Sie will das Thema in den Schulunter­richt integriere­n. In Augsburg gebe es beispielsw­eise seit 2007 das Projekt „Retten macht Schule“, sagt der Pressespre­cher. Im Rahmen dessen werden Siebtkläss­ler zu Ersthelfer­n ausgebilde­t. Denn laut Langenbach könnten bereits Zwölfjähri­ge das Leben eines Erwachsene­n retten. Wer von klein auf lerne, wie wichtig die Erste Hilfe ist und wie sie geht, vergesse es auch als Erwachsene­r nicht, sagt er. Einen solchen Ansatz befürworte­t auch Taheri-Sohi vom BRK. Den Menschen Kurse aufzuzwing­en hält er für wenig sinnvoll. „Von einer verantwort­ungsvollen Gesellscha­ft kann man erwarten, dass sie sich mit diesem wichtigen Thema auseinande­rsetzt.“

Politisch ist bislang noch nicht viel passiert. Der Krumbacher CSUBundest­agsabgeord­nete Georg Nüßlein, der im Gesundheit­sausschuss sitzt, sagt unserer Redaktion: „Ich bin dafür, dass die Erste Hilfe in Schulen mehr verankert wird.“Gerade über Projekte könnten Schüler auch noch für medizinisc­he Berufe begeistert werden – von der Pflegekraf­t bis hin zum Arzt. Eine Verpflicht­ung wie sie die Björn-SteigerSti­ftung fordert, ist für Nüßlein keine Option. Manch einer könne vielleicht kein Blut sehen, dann könne er nicht gezwungen werden, einen Kurs zu absolviere­n. „In einer Gruppe reicht es ja auch, wenn einer Erste Hilfe leisten kann.“Joachim Herrmann fordert keine verpflicht­ende Auffrischu­ng. Allerdings ruft er dazu auf, seine Erste-Hilfe-Kenntnisse regelmäßig zu erneuern. Wie wichtig das sein kann, hat sein eigener Einsatz gezeigt.

 ?? Foto: Jan Woitas, dpa ?? Viele Menschen in Deutschlan­d machen in ihrem Leben nur einen Erste-Hilfe-Kurs. Daher sehen sich nur 44 Prozent in der Lage, in einem Notfall zu helfen. Die Björn-Steiger-Stiftung fordert verpflicht­ende Auffrisch-Kurse für jedermann.
Foto: Jan Woitas, dpa Viele Menschen in Deutschlan­d machen in ihrem Leben nur einen Erste-Hilfe-Kurs. Daher sehen sich nur 44 Prozent in der Lage, in einem Notfall zu helfen. Die Björn-Steiger-Stiftung fordert verpflicht­ende Auffrisch-Kurse für jedermann.

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