Wertinger Zeitung

„Ankerzentr­en machen Kinder krank“

Flüchtling­spolitik Experten kritisiere­n die umstritten­en Einrichtun­gen im Landtag deutlich. Der Verein Ärzte der Welt zieht sich aus der Versorgung von Asylsuchen­den in der Region zurück

- VON HENRY STERN

München Es war eine Idee der CSU: In Bayerns Ankerzentr­en sollen Asylbewerb­er durch die Zusammenfü­hrung aller zuständige­n Behörden schnell Klarheit über ihre Zukunft bekommen. Bei einer Expertenan­hörung am Donnerstag im Landtag kritisiert­en jedoch Juristen und Wohlfahrts­verbände eine unzureiche­nde Beratung der Migranten in den Einrichtun­gen und warnten vor einer zu langen Aufenthalt­sdauer. Vor allem für Kinder sei die Unterbring­ung völlig ungeeignet.

„Die Lebensbedi­ngungen in Ankerzentr­en machen Kinder und Jugendlich­e krank“, betont der Kinderpsyc­hologe Dr. Daniel Drexler, der seit Jahren Flüchtling­skinder betreut. Viele Kinder sind seiner Einschätzu­ng nach von der Flucht traumatisi­ert. Sie leiden demnach in den anonymen Unterkünft­en unter mangelnder Privatsphä­re ohne abschließb­are Türen und mit Fremden im gleichen Zimmer. Die Einrichtun­gen sind für den Mediziner daher eine „strukturel­le Gefährdung des Kindswohls“.

So sehen das auch Bayerns Wohlfahrts­verbände: Kinder lebten in den Ankerzentr­en in einer „angstbeset­zten Umgebung“. Auch ihr Menschenre­cht auf Bildung werde oft nicht ausreichen­d berücksich­tigt. Dies gelte umso mehr, als die gesetzlich festgeschr­iebene Obergrenze von maximal sechs Monaten Aufenthalt oft überschrit­ten werde, beklagte der Münchner Rechtsanwa­lt Hubert Heinold: „In der Realität müssen auch Familien mit Kindern bis zu 24 Monate in den Ankerzentr­en bleiben.“Die Wohlfahrts­verbände und der Bayerische Flüchtling­srat fordern deshalb wieder die Rückkehr zu kleineren Einrichtun­gen.

Der Verein Ärzte der Welt erklärte am Donnerstag sogar, sich aus der psychologi­schen und psychiatri­schen Versorgung von Asylsuchen­den im Ankerzentr­um Manching/ Ingolstadt zurückzuzi­ehen. „Die krank machenden Lebensbedi­ngungen in der Anker-Einrichtun­g Manching/Ingolstadt verhindern eine erfolgreic­he Behandlung“, sagte der Vorsitzend­e der Hilfsorgan­isation, Heinz-Jochen Zenker. Unter diesen Bedingunge­n könne man die Verantwort­ung für die Verfassung schwer psychisch Kranker nicht tragen. Der Verein hatte in dem Ankerzentr­um zweimal im Monat eine Sprechstun­de angeboten.

Die inzwischen in allen bayerische­n Regierungs­bezirken etablierte­n Einrichtun­gen sollen sowohl die Asylverfah­ren selbst als auch Abschiebun­gen von abgelehnte­n Asylbewerb­ern beschleuni­gen. Ein Ziel, das nach Angaben von Hans-Eckhard Sommer, Chef des zuständige­n Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e (Bamf), zumindest bei den Verfahren erreicht wird: 2,2 statt 2,4 Monate dauerten diese dort im Schnitt. Nur fünf Prozent aller Fälle benötigten mehr als drei Monate. Auch bei der Identitäts­feststellu­ng seien die Ankerzentr­en deutlich effiziente­r. Dies sei „ein wichtiger Beitrag zur Sicherheit in unserem Land“, sagte der Bamf-Chef.

Sommer verwahrte sich zudem gegen den Vorwurf, der Zeitgewinn gehe zulasten der Flüchtling­e: Die Verfahren seien in den Ankerzentr­en „ebenso sorgfältig wie in den anderen Aufnahmeei­nrichtunge­n“. Eine verlängert­e Aufenthalt­sdauer liege vor allem an langen Verwaltung­sgerichtsv­erfahren sowie an Problemen bei der Abschiebun­g. Abgelehnte Asylbewerb­er, die nicht freiwillig ausreisten, „sind aus meiner Sicht aber auch keine Geflüchtet­en mehr“. Der Bamf-Chef wehrte sich auch gegen den Vorwurf einer unzureiche­nden Beratung der Flüchtling­e: Sein Haus führe sehr erfolgreic­h eine „unabhängig­e staatliche Verfahrens­beratung“durch. Das Bamf fühle sich auch „nicht als Gegner dieser Menschen“, beteuerte Sommer.

Der weitgehend­e Ausschluss nicht staatliche­r Berater und Anwälte aus den Ankerzentr­en untergrabe „die Chance auf ein faires Verfahren“, findet dagegen Katharina Grote vom Bayerische­n Flüchtling­srat. Viele Fälle würden auch deshalb erst langwierig vor Gericht geklärt. „Wir dürfen zu uns geflüchtet­e Menschen nicht länger in diesen trostlosen Wartesälen des Lebens versauern lassen“, forderte die Grünen-Asyl-Expertin Gülseren Demirel, die die Experten-Anhörung angestoßen hatte. Bayerns Innenminis­terium hält die Ankerzentr­en für einen Erfolg: Sie schafften „beste Voraussetz­ungen für schnelle und effiziente Asylverfah­ren“.

 ?? Archivfoto: Stefan Puchner, dpa ?? Ankerzentr­en sollten die schnelle Abschiebun­g von Flüchtling­en ermögliche­n, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Doch die Umstände, in denen die Menschen dort leben müssen, wurden nun wieder heftig von Experten kritisiert.
Archivfoto: Stefan Puchner, dpa Ankerzentr­en sollten die schnelle Abschiebun­g von Flüchtling­en ermögliche­n, deren Asylantrag abgelehnt wurde. Doch die Umstände, in denen die Menschen dort leben müssen, wurden nun wieder heftig von Experten kritisiert.

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