Was Bayern so einzigartig macht
Landesausstellung In Regensburg lässt das Museum der Bayerischen Geschichte 1000 Jahre in 100 Exponaten Revue passieren. Dazu gehören natürlich auch Stücke aus dem schwäbischen Raum
Regensburg Hundert Schätze aus tausend Jahren – das ist eine runde Zahl, überschaubar und doch reichhaltig. Das Haus der Bayerischen Geschichte hat die Hundert als Maßzahl genommen für die Landesausstellung 2019. Im vor drei Monaten neu eröffneten Museum der Bayerischen Geschichte am Donauufer in Regensburg rundet sie die Präsentation des Werdens und Wesens des Landes der Bayern ab. Am Donnerstag gab Ministerpräsident Markus Söder den Startschuss.
Gleich zu Beginn wird’s persönlich: Zwei junge Erwachsene, die um das Jahr 500 im Gäuboden in einer wohlhabenden angesehenen Familie lebten, haben sich als bestens erhaltene Skelette hinterlassen, die einiges zu erzählen wissen von den Lebensumständen im frühen Bayern. Schwere Lasten hatten sie getragen, waren muskulös, hatten strahlend weiße, gesunde Zähne, waren Rechtshänder und jahrelang gestillt worden. Die junge Frau hatte in der Kindheit eine längere Phase der Mangelernährung durchlebt. Er war wehrhaft, mit Schild und Streitaxt ausgestattet. Seiner Schwester wurden Fibeln, Messer und zwei Glasbecher mit kunstvoller Rüsselverzierung ins Grab gelegt.
der frühe Bayer war ein Kulturmensch. Er wusste sich kostbar zu schmücken, etwa mit der Bügelfibel aus Wittislingen (Kreis Dillingen). Das Prunkstück ist vergoldet, mit Perldraht verlötet, mit rotem Granat und grünem Glas eingelegt und bis heute einzigartig. Der Bayer war auch europaweit vernetzt nach Süden wie nach Norden, Westen und Osten. Provinz sieht anders aus. In zehn Abteilungen werden Epochen der Landesgeschichte erzählt, eine jede ein Kosmos für sich. Seltene Schaustücke wurden aus Weltmuseen wie dem Pariser Louvre oder der Königlichen Sammlung Schweden entliehen – nicht zuletzt, weil der Regensburger Museumsneubau als „eines der modernsten und effektivsten Häuser in Europa“Klima und Luftfeuchte auf die Dezimalstelle regulieren kann, wie Direktor Richard Loibl beteuert.
Das war nötig, um beispielsweise das Lukasbild des Freisinger Doms zeigen zu können. Eine mittelalterliche byzantinische Marien-Ikone auf Blattgold mit brüchigen Silberblechen ruht in einem barocken Altärchen, das wiederum zwei kräftige Engel über die Wolken tragen. Das empfindliche Exponat werde wahrscheinlich nie wieder ausgeliehen, weiß Kurator Christof Paulus. Stolz ist er auf Ignaz Günthers Schutzengel mit knabenhaften Zügen, der ein Kind mit Fallhäubchen an der Hand geleitet. Gleich daneben liegt ein unscheinbarer Findelkindzettel, auf den die Mutter ihre ganze Verzweiflung ausdrückte, ihr Kind abgeben zu müssen. Dessen Name richtete sich dann oft nach dem Fundort; das Kind unter der Stiege war der Stiegler. Das alte und das neue Bayern geben sich am Ende der Ausstellung buchstäblich die Hand – auf dem Historiengemälde der Übergabe von Aschaffenburg 1806 an Napoleon.
So manches Exponat gibt Rätsel auf, wie die fast neuen Lederstiefel einer 700 Jahre alten Moorleiche aus Hohenpeißenberg. War die junge Adelige schwanger? Geheimnisse birgt das bemalte gigantische Walschulterblatt aus Kloster Polling, das eine venezianische Hafenszene zeigt. Und wer hat die berühmte Gotzinger Trommel mit der trotzigen Aufschrift „Lieber bairisch sterbn als wie kaiserlich verderbn“vom Schlachtfeld der Sendlinger Mordweihnacht 1705 wieder nach Miesbach heimgebracht?
Goldglänzende Prachtstücke wie die Lepanto-Monstranz aus IngolSchon stadt, die um das Allerheiligste einzigartig detailliert das Kriegsgetümmel der Seeschlacht modelliert, die unter dem Schutz Mariens 1571 den Sieg gegen die Türken erbrachte, stehen unscheinbaren Exponaten des Alltags gegenüber. Etwa dem Pestkarren von Schwabmühlhausen, einem der wenigen noch erhaltenen Zeugnisse des Schwarzen Tods im Dreißigjährigen Krieg. Die Mixtur macht den Reiz dieser Schau aus. Da belustigt der Nürnberger Brunnenlöwe, der 1649 Wein ans Volk spendete. Dort lässt einen der hölzerne Schandmantel erschauern, der in Wertingen den Ehebrechern, Apfeldieben und Zänkischen noch 1775 umgehängt wurde.
Trotz aller Kostbarkeiten in den Vitrinen hält die Landesausstellung konsequent den Blick unten bei den Leuten und erzählt in unscharf gehaltenen Videos von Zeitgenossen wie der verfolgten Augsburger Täuferin Susanna Daucher oder dem politischen Pfarrer Stanislaus Alois Kaiser von Seehausen am Staffelsee, der 1791 gegen Robbespiere von der Kanzel wetterte, weil er die Augsburger Ordinari Postzeitung las.
Den bayerischen Hiasl Matthias Klostermayr, der als Wilderer und Räuber das Land unsicher machte, bis er 1771 hingerichtet wurde, verherrlichte man auf den Jahrmärkten und zeigte sein petrolgrünes Wams. Indes hielt sich Jakob Fugger der Reiche im Porträt Albrecht Dürers als der selbstbewusst-kühne Unternehmer mit Goldhaube der Nachwelt in Erinnerung. Weniger Begüterte machte der Augsburger Reichtum schwach: Zur Gerichtsakte von Jerg Bettenpock kam 1560 der Dietrich, mit dem der Schreiber des bischöflichen Kanzlers nicht nur die Schatulle, sondern auch den Weinkeller plünderte. Derlei Kuriositäten machen den Gang durch Bayerns Geschichte vergnüglich, denn sie lockern die gewichtige Repräsentation von Macht und Genie augenzwinkernd auf. Nebenher illustrieren sie die Sozialgeschichte eines Volkes, das jenseits von Lederhose und Schuhplattler eine stolze Tradition aufzuweisen hat. Dabei vergisst man glatt, dass Franken und Schwaben bis 1802/06 der Regentschaft der bayerischen Herzöge entzogen waren und ihr Eigenleben führten. Irgendwie gehören wir in Bayern eben schon immer zusammen.
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Laufzeit bis 8. März 2020; Museum der Bayerischen Geschichte, Regensburg, Donaumarkt 1; geöffnet täglich außer Montag von 9 bis 18 Uhr.
Der Katalog beschreibt auf 256 Seiten alle 100 Exponate und kostet 24 Euro. Führungen unter Tel. 09 41/788 38 80.
Noch 1775 wurde der Schandmantel verhängt