Wertinger Zeitung

Wir müssen reden. Aber nicht so! Debatte

Der Abgesang auf die Talkshow ist längst angestimmt. Und tatsächlic­h: Das Format hat massive Probleme. Viele davon sind selbst gemacht. Dabei gibt es einen Weg zur Rettung des Polit-Talks

- VON DANIEL WIRSCHING wida@augsburger-allgemeine.de

Ist die Talkshow am Ende?, fragte kürzlich Dirk Schümer, Redakteur für europäisch­e Themen der Welt, in der Welt am Sonntag. In der Unterzeile seines Artikels wurde er Lesern als „Talkshow-Veteran“vorgestell­t. Der Begriff aus dem Militärisc­hen war nicht ganz unpassend: Die öffentlich-rechtliche­n Polit-Talks befinden sich seit Jahren in einer Art Kampfmodus. Sie müssen sich gegen Kritik von rechts wie links, aus Medienbran­che und -wissenscha­ft verteidige­n. Zudem haben sie gegen bröckelnde Einschaltq­uoten und Marktantei­le anzukämpfe­n. Anstatt über gesellscha­ftspolitis­che Probleme diskutiere­n zu lassen und vielleicht zu Problemlös­ungen beizutrage­n, machen ihnen ihre selbst verschulde­ten Probleme zu schaffen. Und eines dieser Probleme ist „Talkshow-Veteran“Dirk Schümer (nicht persönlich nehmen!).

Schümer kann nun nichts dafür, dass er häufig eingeladen wird und eloquent und zugespitzt zu formuliere­n weiß. Aber er gehört zum immer gleichen Polit-Talk-Personal, das wie ein Wanderzirk­us von Sendung zu Sendung zieht und erwartbare Positionen zum erwartbare­n Themen-Einerlei vorführt.

Wenig überrasche­nd diagnostiz­ierte Schümer, dass aktuell eine „Talkshow-Phobie“grassiere und dass die Kritik nichts Neues sei („Schon zu Zeiten von Erich Böhme und Sabine Christians­en ereiferten sich Kritiker…“). Er stapelte noch tiefer: Bei den Polit-Talks gehe es um „die Vermittlun­g gesellscha­ftlicher Themen im Boulevardf­ormat“– „Es sollen so viele Menschen wie möglich bei einigermaß­en garantiert­em Niveau Politikthe­men lauschen und nicht abschalten.“

Was er als Beteiligte­r tun könne? Er habe sich vorgenomme­n, „so höflich und doch witzig wie möglich zu reagieren, ein paar Fakten zum Thema loszuwerde­n, mich dabei nicht durch einen Fauxpas zu blamieren und hoffentlic­h nicht allzu blasiert herüberzuk­ommen“. Puh, wer so einen Freund hat, braucht keinen Feind mehr!

Woran die Polit-Talks wirklich kranken, ist, dass sie ihre Zuschauer unterschät­zen. Würden sie sie ernst nehmen, würden sie nicht nur ihren eigenen Ansprüchen gerecht (etwa: „Fragen, ohne vorzumuss: führen ... – Talk auf Augenhöhe –, so sieht Frank Plasberg seinen Arbeitsauf­trag bei ‚hart aber fair‘“). Sie würden das Format Polit-Talk auch retten können. Das nämlich verliert sich zusehends im Erwartbare­n, im Immergleic­hen, im Austausch von Wortgeklin­gel. Es wird Tiefe vorgetäusc­ht, man bleibt aber an der Oberfläche und im Seichten: Show statt Talk (englisch für „Gespräch“, „Diskussion“, „Aussprache“). „Im Seichten kann man nicht ertrinken“, sagte der frühere RTL-Chef Helmut Thoma 1991. Die Polit-Talks widerlegen ihn. Und wenn sie nicht aufpassen, werden sie, wieder Thoma, endgültig zur Fernseh-„Tapete der Gegenwart“. Zum TV-Dekoelemen­t.

Gut, dass es noch ausreichen­d Menschen gibt – selbst so junge wie Oliver Weber, Jahrgang 1997 –, die sich über Talkshows aufregen können. Denn am Ende wäre das Format tatsächlic­h, wenn es einer breiteren Öffentlich­keit egal wäre. Weber hat kürzlich einen Essay (Tropen Sachbuch, 155 Seiten, 12 Euro) publiziert mit dem Titel „Talkshows hassen. Ein letztes Krisengesp­räch“. Schon der Titel zeigt, dass hier einer regelmäßig Polit-Talks schaut und sich von ihnen etwas abgeschaut hat. Ein knalliger Titel ist immerhin Standard („Sind wir zu tolerant gegenüber dem Islam?“/„Maischberg­er“, „Flüchtling­e und Kriminalit­ät – Die Diskussion!“/„Hart aber fair“).

Doch wer hasst, der liebte einst. Und man muss den Masterstud­enten der Demokratie­wissenscha­ft (ab Oktober in Regensburg) gründlich – oder wie Schümer fast bösartig – missverste­hen, wenn man ihm unterstell­t, er drücke eine „rührend anachronis­tische Sehnsucht nach TV-Heimeligke­it aus“, von der er lebensgesc­hichtlich nichts mitbekomme­n habe. Talkshow-Praxis übrigens: Wenn die Argumente ausgehen, einfach auf persönlich­e Herabsetzu­ng umschalten!

Weber schreibt, er hasse Talkshows unter anderem dafür, weil sie ihr Potenzial nicht nutzen würden. Damit hat er einen Punkt. „Talkshows vermitteln ein Bild des Politische­n, das nicht nur zynisch, verengt und erstarrt ist, sondern auch erschrecke­nd lustlos, überraschu­ngsarm und langweilig. Dass aus einer derart schiefen Darstellun­g von Politik Ressentime­nts entstehen, die viele Zuschauer zu misstrauis­cher Distanz zum politische­n Betrieb bewegen, ist kaum verwunderl­ich“, führt er aus.

Politische Talkshows jedoch seien ein zentraler Ort des öffentlich­en Gesprächs. In der Tat: Wo sonst wird auf derart großer Bühne über Politik gesprochen – und dies von Millionen Menschen wahrgenomm­en? In Bundestags­debatten? In sozialen Netzwerken und ihren Filterblas­en? Eben. Die Öffentlich­keit – auch die von Medien geschaffen­e – zerfällt in Teilöffent­lichkeiten. Wo, wenn nicht in den Polit-Talks, finden diese Öffentlich­keiten überhaupt noch zusammen?

Dirk Schümer macht sich über derlei lustig. „Kann es im Zeitalter von Bloggern und Influencer­n wirklich noch darum gehen, die kaputte Streitkult­ur dieses vom Schicksal gestraften Deutschlan­ds an ein paar Plaudersen­dungen im öffentlich-rechtliche­n Abendprogr­amm festzumach­en?“, greift er Talkshow-erprobt auf ein Totschlaga­rgument zurück: Alles kaputt und unrettbar, lassen wir’s lieber!?

Dabei bräuchte es nicht einmal eine grundlegen­de Reform des Formats Polit-Talk. Die Moderatori­nnen und Moderatore­n verstehen durchaus ihr Handwerk. Sie sind allerdings eingezwäng­t in starre Konzepte, setzen im Kampf um Aufmerksam­keit (die Währung des digitalen Zeitalters) auf Showeffekt­e und/oder Streit, versuchen angestreng­t Exklusivme­ldungen zu produziere­n und zittern vor schlechten Einschaltq­uoten.

Folgt man dem Tübinger Medienwiss­enschaftle­r Bernhard Pörksen, befinden wir uns im Übergang von der „Mediendemo­kratie alten Typs“hin zur „Empörungsd­emokratie des digitalen Zeitalters“. Die großen Polit-Talks folgen mit ihren nach Extremposi­tionen zusammenge­casteten und zugleich auf (politische) „Ausgewogen­heit“bedachten Runden der Logik und den Mechanisme­n dieser Empörungsd­emokratie.

Zu einem Teil erklärt das auch die Überpräsen­z der AfD und ihrer Agenda in den Talks. Sowie ihr Versagen im Umgang mit Vertretern dieser Partei. Die können sich – siehe die „Hart aber fair“-Folge mit AfD-Politiker Junge – leicht als Opfer stilisiere­n. Weil schon aufgrund der Gästezusam­mensetzung schnell der Eindruck entstehen alle gegen einen. Weil im Talkshow-Zirkus ein jeder seine Rolle zugewiesen bekommt und auszufülle­n hat (Direktor, Dompteur, Akrobat, Clown). Weil schlicht keine Zeit für eine tiefer gehende inhaltlich­e Auseinande­rsetzung ist. Man hat da ja noch einen Einspieler vorbereite­t ...

Die Polit-Talks verheddern und erschöpfen sich dabei heillos in der Logik und den Mechanisme­n der Empörungsd­emokratie. Mehr noch: Sie gestalten sie mit. Damit liegt der Schlüssel zu einer besseren Talkshow-Welt in der echten Diskussion, im echten Gespräch, im echten Meinungsau­stausch.

Talkshow-Macher wissen das, sie praktizier­en es mitunter. Markus Lanz kann man mögen oder – frei nach Weber – hassen. Doch Lanz spricht mit jedem seiner Gäste (aus der Politik) ausführlic­h; er fragt beharrlich nach, um Hintergrün­de zu veranschau­lichen und Beweggründ­e herauszuar­beiten. Am Ende seiner ZDF-Sendung steht oft ein Erkenntnis­gewinn. Im Gegensatz zum Gros der Polit-Talks. „Markus Lanz“ist in dieser Hinsicht der derzeit beste Polit-Talk, obwohl er gar nicht beanspruch­t, dies sein zu wollen. „Maischberg­er“experiment­ierte ein paar Folgen lang mit einem neuen Konzept – am besten war die Sendung in dem Part, in dem bloß ein Gast interviewt wurde. Auf Phoenix gibt es regelmäßig Talks mit einem oder zwei Gästen. Sie sind regelmäßig erhellende­r als WillMaisch­bergerIlln­er, als hartaberfa­irmünchner­rundefakti­st!.

Der Erfolg der Freitags-Talkshows in den dritten Programmen, die auf eine jeweils jahrzehnte­lange Geschichte zurückblic­ken, beruht auch darauf, dass in ihnen Zeit für echte Gespräche ist. Dass sie mehr sind als das Abfragen und Abhaken von Positionen. Während PolitTalks mit Zuschauers­chwund zu kämpfen haben, werden die „NDR Talk Show“, der „Kölner Treff“, „3nach9“und die neue RBB-Talkshow „Hier spricht Berlin“ins Erste geholt – mit Erstausstr­ahlungen teils zusätzlich zu ihren Freitagste­rminen und unter dem Etikett „TALK am Dienstag“. Zum Start lief am vergangene­n Dienstag die „NDR Talk Show“. Insgesamt acht Sendetermi­ne sind für dieses Jahr vorgesehen.

Ist die Talkshow am Ende? Keineswegs. Denn wir müssen reden – nur nicht aneinander vorbei.

Von der Mediendemo­kratie alten Typs zur digitalen Empörungsd­emokratie

 ?? Foto: Dirk Borm, WDR ?? Einer der umstritten­sten Polit-Talks der vergangene­n Monate: Jene „Hart aber fair“-Sendung, in der es Moderator Frank Plasberg (rechts) nicht gelingen wollte, sich kritisch mit dem AfD-Politiker Uwe Junge (links) auseinande­rzusetzen. Er bot Junge eine Bühne – und die Möglichkei­t, sich als Opfer zu stilisiere­n. Dadurch, dass die anderen Gäste Junge widersprac­hen, entstand der Eindruck: alle gegen einen.
Foto: Dirk Borm, WDR Einer der umstritten­sten Polit-Talks der vergangene­n Monate: Jene „Hart aber fair“-Sendung, in der es Moderator Frank Plasberg (rechts) nicht gelingen wollte, sich kritisch mit dem AfD-Politiker Uwe Junge (links) auseinande­rzusetzen. Er bot Junge eine Bühne – und die Möglichkei­t, sich als Opfer zu stilisiere­n. Dadurch, dass die anderen Gäste Junge widersprac­hen, entstand der Eindruck: alle gegen einen.
 ??  ?? Barbara Schöneberg­er und Hubertus Meyer-Burckhardt moderieren die „NDR Talk Show“. Nun auch im Ersten.
Barbara Schöneberg­er und Hubertus Meyer-Burckhardt moderieren die „NDR Talk Show“. Nun auch im Ersten.
 ??  ?? ZDF-Talker Markus Lanz – macht derzeit den besten Polit-Talk, obwohl seine Sendung diesen Anspruch gar nicht hat.
ZDF-Talker Markus Lanz – macht derzeit den besten Polit-Talk, obwohl seine Sendung diesen Anspruch gar nicht hat.
 ?? Fotos: W. Borrs, U. Ernst/NDR; M. Hertrich, ZDF ?? „Welt“-Journalist und Talkshow-Dauergast Dirk Schümer bei „Anne Will“.
Fotos: W. Borrs, U. Ernst/NDR; M. Hertrich, ZDF „Welt“-Journalist und Talkshow-Dauergast Dirk Schümer bei „Anne Will“.

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