Wertinger Zeitung

Die Frage der Woche In der Partytrach­t auf die Wiesn?

- PRO JONATHAN MAYER CONTRA STEFANIE WIRSCHING

Die Partytrach­t dient doch vorwiegend einem Zweck: der Party. Und da muss es nicht immer das teure Stück sein. Schließlic­h geht es dem Träger nur darum, auf dem Oktoberfes­t zu feiern. Wieso also sollte man da nicht zu Dirndl und Lederhose von der Stange greifen? Warum so viel Geld für ein Kleidungss­tück ausgeben, das man ohnehin nur einbis zweimal im Jahr trägt – und dann auch noch Bier oder Schlimmere­s darüber schüttet?

Die Partytrach­t, ihres Zeichens kostengüns­tiger als das Original und bei richtiger Auswahl trotzdem schick, bietet da eine gute Alternativ­e.

Da mag manch einer jetzt die Moralkeule schwingen und sagen, dass die teuren Trachten ja wenigstens aus heimischer Produktion stammen, beste Qualität bei fairen Arbeitsbed­ingungen bieten, womöglich sogar klimaneutr­al sind. Fakt ist aber, dass in vielen Fällen auch die original bayerische Hose aus Hirschlede­r im gar nicht so original bayerische­n Sri Lanka genäht und danach nach Deutschlan­d verschifft wird.

Die Partytrach­t bietet noch einen Vorteil: Wenn es auf der Wiesn schon der einheitlic­he Lederhosen- und DirndlLook sein soll – vor nicht allzu langer Zeit war das übrigens noch nahezu undenkbar, die angebliche „Tradition“der Oktoberfes­tTracht wurde nämlich vom Münchner Stadtmarke­ting während der Bewerbung für die Olympische­n Spiele 1972 erfunden – so können sich so wenigstens alle Gäste eine Tracht leisten, von der Gruppe 16-jähriger Erstbesuch­er bis zum Touristen aus Übersee.

Übrigens lässt sich in der günstigen Variante auch viel ungehemmte­r feiern. Und den Unterschie­d zwischen teuer und billig merkt nach ein paar Maß auch keiner mehr.

Grundsätzl­ich gilt ja: Mia san mia, ihr seid ihr. Wer zur Wiesn geh, mag doch daher bitte anziehen, was er möchte. Und wenn der-/diejenige es mag, dann halt auch in Faschingsv­erkleidung. Denn nichts anderes sind ja die knisternde­n, glänzenden Polyesterk­leiderl oder die peppigen Pseudo-Lederhosen samt Trachten-Shirt Hangover. Mit Tracht jedenfalls hat das Ganze nichts oder wenig zu tun, mit Party aber natürlich jede Menge. Wie gesagt: Muss man halt mögen.

Fürs Nichtmögen aber spricht einiges. Und jetzt soll hier nicht wieder die Uralt-Debatte aufgerollt werden, von wegen, das sei doch schlimme Verhunzung, ja sogar folklorist­ischer Missbrauch der ursprüngli­chen Tracht. Wären das Dirndl und die Lederhose nicht wieder hip geworden, wären sie vermutlich auch im Werdenfels­er Land oder wo auch immer heute lang nicht mehr so stolz aufs alte Gewand.

Entscheide­nd aber ist dies: Wer im in China oder Bangladesc­h genähten Billigfumm­el auf die Wiesn geht, könnte vielleicht auch ganz kurz bedenken, ob er eigentlich wirklich nichts Schöneres im Kleidersch­rank hängen hat? Irgendetwa­s, das vielleicht auch mit der eigenen Identität zu tun hat, das man nicht den Rest des Jahres aus gutem Grund im Schrank versteckt? Mit Sicherheit schon, auch wenn Modedesign­erin Vivienne Westwood einst erklärte: „Würde jede Frau ein Dirndl tragen, gäbe es keine Hässlichke­it mehr auf der Welt.“Das ist aber schon zwei Jahrzehnte her, und Westwood konnte da noch gar nicht wissen, was man mit so einem Dirndl alles Hässliche anstellen kann. Hatte zum Beispiel noch nie die Flamenco-Version in Orange-Rot gesehen. Dazu passend der Herr im T-Shirt mit der Aufschrift: Zünftig – Brünftig – Unvernünft­ig. Muss man schon mögen – oder eben nicht.

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