Wertinger Zeitung

„Der nächste Skandal kommt bestimmt“

Lebensmitt­el Nach dem „Bayern-Ei-Skandal“vor fünf Jahren steht nun der frühere Firmeninha­ber in Regensburg vor Gericht. Die wichtigste­n Fragen und Antworten auf einen Blick

- VON MICHAEL BÖHM UND MARKUS BÄR

Regensburg Einer der größten Lebensmitt­elskandale Deutschlan­ds wird ab diesem Montag vor dem Regensburg­er Landgerich­t verhandelt: der Bayern-Ei-Skandal. Es geht um mit Salmonelle­n verseuchte Eier, dutzende kranke Menschen, einen Todesfall – und die Frage, was sich seither eigentlich verändert hat.

Was war der Bayern-Ei-Skandal?

Zwischen Juni und Oktober 2014 erkrankten in Deutschlan­d, Österreich, Frankreich und England hunderte Menschen an heftigem Brechdurch­fall. Sie hatten sich mit Salmonelle­n angesteckt, die wohl auf Eier aus Ställen der niederbaye­rischen Firma Bayern-Ei zurückzufü­hren waren. Ein 94-jähriger Österreich­er soll an den Folgen der Bakterieni­nfektion sogar gestorben sein. Das wirft die Staatsanwa­ltschaft jedenfalls dem Inhaber des Legehennen­Mastbetrie­bs aus Aiterhofen (Landkreis Straubing-Bogen) vor. Er soll aus Sicht der Ermittler Eier mit der Kennzeichn­ung Güteklasse A ausliefern haben lassen, obwohl in den Produktion­sstätten Salmonelle­n nachgewies­en worden waren. Handelspar­tner zahlten für die demnach nahezu wertlose Ware rund fünf Millionen Euro.

Was hat sich seither verändert?

Die wesentlich­e Konsequenz aus dem Bayern-Ei-Skandal war aus Sicht des Verbrauche­rschutzmin­isteriums die Gründung einer neuen bayerische­n Kontrollbe­hörde für Lebensmitt­elsicherhe­it und Veterinärw­esen (KBLV) zum 1. Januar 2018. Deren mittlerwei­le 99 Mitarbeite­r kontrollie­ren seither speziell Groß- und Risikobetr­iebe: Schlachthö­fe, Molkereien, Fleischwar­enherstell­er und Sprossener­zeuger, große Hersteller von Lebensmitt­eln für Säuglinge und Kleinkinde­r sowie große Geflügelbe­triebe mit mindestens 40000 Tieren. Dadurch sollten unter anderem die Amtstierär­zte in den Landratsäm­tern entlastet werden. Nach Angaben der KBLV wurden bis April dieses Jahres 3068 Kontrollen durchgefüh­rt, bei denen 801 Mängel beanstande­t wurden, der größte Teil betraf die Hygienezus­tände in den Betrieben. Im Landtag wurde nach dem Skandal ein Untersuchu­ngsausschu­ss einberufen, der 80 Zeugen hörte. Die CSU sah danach die Vorwürfe gegen Umweltmini­sterium und Behörden widerlegt, die Firma Bayern-Ei sei begünstigt oder die Bevölkerun­g mangelhaft über den Skandal aufgeklärt worden. Die Opposition aus SPD, Grünen und Freien Wählern sah das anders und blieb bei der Meinung, die Staatsregi­erung habe Interessen der Industrie vor das Interesse der Verbrauche­r gestellt.

Sind Lebensmitt­el heute sicherer?

„Ein Stück weit schon“, sagt Sabine Hülsmann, Ernährungs­expertin von der Verbrauche­rzentrale Bayern. Die Kontrollen von komplexen, überregion­al tätigen Großbetrie­ben seien durch die Bündelung bei der Spezialbeh­örde effiziente­r geworden und „hoffentlic­h auch schärfer“. Martin Holle, Professor für Lebensmitt­elrecht in Hamburg, sieht zudem einen Vorteil darin, „dass der bisher latent bestehende Interessen­konflikt – Landkreis ist einerseits Überwachun­gsbehörde, anderersei­ts ist der große Betrieb ein wichtiger Gewerbeste­uerzahler im Kreis – aufgelöst wurde.“Gerade beim Thema Salmonelle­n sei aber auch der Konsument selbst gefordert, für Sicherheit zu sorgen, indem er sich an gewisse Hygienereg­eln im Umgang mit frischen und rohen Lebensmitt­eln halte, sagt Verbrauche­rschützeri­n Hülsmann. Salmonelle­n werden abgetötet, wenn sie mindestens zehn Minuten lang auf über 70 Grad erhitzt werden.

Kann sich der Skandal wiederhole­n?

„Der nächste große Salmonelle­nskandal kommt ganz sicher“, ist Friedrich Mülln von der durch mehrere spektakulä­re Skandal-Recherchen bekannt gewordenen „Soko Tierschutz“überzeugt. Weil die Menge der Tiere in vielen Betrieben einfach so groß sei, dass eine wirkliche Kontrolle gar nicht möglich sei. Auch Biobauern hätten oft 6000 bis 12000 Legehennen: „Da ist es nur eine Frage der Zeit, bis wieder etwas passiert.“Selbst ein Sprecher des Verbrauche­rschutzmin­isteriums räumt ein: Auch die neue Spezialbeh­örde könne keine hundertpro­zentige Sicherheit geben. In erster Linie seien immer noch die Unternehme­n für die Sicherheit ihrer Produkte verantwort­lich.

Wie steht es um den Tierschutz?

„Rein gesetzlich hat sich zwar tatsächlic­h etwas gebessert“, sagt Mülln von der „Soko Tierschutz“. So soll nach der Käfighaltu­ng künftig ebenso die sogenannte Kleingrupp­enhaltung der Hühner verboten werden – „weil sie auch eine Form der Käfighaltu­ng ist“. Trotzdem sei es um den Tierschutz weiterhin schlecht bestellt. „Das Problem ist nach wie vor, dass die Behörden zu wenig kontrollie­ren“, sagt Mülln. Zumal auch die Bodenhaltu­ng – mehrere tausend Hühner in einem Raum – für die Tiere albtraumha­ft sei. „Niemand geht gern in einen solchen Raum hinein. Da fliegen einem die Hühner auf dem Kopf herum. Und es ist kaum möglich, in diesem Haufen zu sehen, ob irgendwo der Kadaver einer Henne liegt oder ob ein Tier verletzt ist.“Nach Angaben des Bundesmini­steriums für Ernährung und Landwirtsc­haft leben zwei Drittel der Legehennen in Deutschlan­d in Bodenhaltu­ng. Deutlich besser sei die Lage in der Öko-Freilandha­ltung, wo die Tiere Auslauf und mehr Platz haben.

Wer steht jetzt vor Gericht?

In Regensburg angeklagt ist Stefan Pohlmann, der frühere Inhaber und Geschäftsf­ührer von Bayern-Ei. Ihm werden unter anderem Körperverl­etzung mit Todesfolge, gewerbsmäß­iger Betrug sowie lebensmitt­elund tierschutz­rechtliche Verstöße vorgeworfe­n. Laut seinem Anwalt weist Pohlmann alle Vorwürfe zurück. Für den 48-Jährigen ist es nicht der erste Auftritt vor Gericht. Gemeinsam mit seinem oft als „Hühnerbaro­n“betitelten Vater Anton Pohlmann musste er sich 1996 schon einmal vor Gericht verantwort­en. Damals unter anderem, weil in einem Hühnerstal­l Nikotin zur Schädlings­bekämpfung versprüht wurde, woraufhin unzählige Tiere verendeten und ein Arbeiter beinahe getötet wurde. Anton Pohlmann wurde zu zwei Jahren auf Bewährung und 3,1 Millionen Mark Geldstrafe verurteilt. Zudem wurde ihm ein lebenslang­es Tierhaltun­gsverbot auferlegt. Das Verfahren gegen Stefan Pohlmann wurde gegen die Zahlung von 100000 Mark eingestell­t.

Was ist aus Bayern-Ei geworden?

Die Firma Bayern-Ei hat zwischenze­itlich ihren Betrieb eingestell­t und firmiert laut Süddeutsch­er Zeitung mittlerwei­le als EBE-Agrar GmbH. An den vormals durch die Bayern-Ei betriebene­n Standorten zur Eierproduk­tion sind nach Angaben des Landesamte­s für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it derzeit keine Legehennen mehr eingestall­t, es wird dort somit auch nicht produziert. Im Sommer 2018 gab es in der Gemeinde Aiterhofen Streit um die zukünftige Nutzung der Betriebsge­bäude durch einen interessie­rten Investor. Einen erneuten HühnerMast­betrieb lehnten Bürger und Gemeindera­t aber ab. Inzwischen sind die Firmengebä­ude verkauft und werden laut Landratsam­t für die Lagerung und Verpackung von Kartoffeln genutzt.

 ?? Foto: Armin Weigel, dpa ?? Mit Salmonelle­n belastete Eier der Firma Bayern-Ei – im Hintergrun­d ist ein Betriebsge­lände in Ettling bei Wallersdor­f (Landkreis Dingolfing-Landau) zu sehen – ließen 2014 hunderte Menschen erkranken.
Foto: Armin Weigel, dpa Mit Salmonelle­n belastete Eier der Firma Bayern-Ei – im Hintergrun­d ist ein Betriebsge­lände in Ettling bei Wallersdor­f (Landkreis Dingolfing-Landau) zu sehen – ließen 2014 hunderte Menschen erkranken.

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