Der Prüfstein Mozart
Eröffnungskonzert Bad Wörishofen startet in das „Festival der Nationen“mit drei jungen Mozart-Solistinnen
Bad Wörishofen Einer, der – allerhöchste Auszeichnung – immer gut ist, kam fast zu einem Monopol beim Eröffnungsabend des heuer 25-jährigen Festivals der Nationen in Bad Wörishofen: Mozart. Aber dieser Mozart ist – bei angemessener Werkauswahl – nicht nur immer gut; er verlangt auch immer etwas: den technischen und künstlerischen Offenbarungseid dessen, der seine blank daliegende Musik spielt und singt. Selbst kleine Schummeleien fallen immer auf.
Und so wurde dieser Abend spannend, hoch spannend, dazu wechselvoll und mitunter schlingernd; dieser Abend, für den Bürgermeister Paul Gruschka in seiner weihevollen Eröffnungsrede sogar Aristoteles bemühte, bevor er zu Recht auf den musikvermittelnden Impetus des Festivals vor allem gegenüber Kindern hinwies und sich für die regionalen und überregionalen VIPs im Publikum einen „einzigen, aber gewaltigen Beifall“– nach der Aufzählung – wünschte. So gab es keinen Sondersonderapplaus für Politik, Klerus und Landadel. Sondersonderapplaus erhielt einzig und allein die einzigartige Carolin Reiber.
Und nachdem der weißblaue Kultusminister Michael Piazolo auch auf die trostspendende Funktion von Musik hingewiesen hatte und nicht länger zwischen Publikum und Mozart stehen wollte, ging’s dann auch gleich zur Sache, zum Prüfstein selbst.
Chloe Chua aus Singapur war angereist, eine kleine liebreizende Prinzessin, ein zwölfjähriges Wunderkind. Scheinbar unbefangen, mitunter sogar durch streifende, lächelnde Blicke den Kontakt zum Publikum suchend, spielte sie das Violinkonzert KV 207 blitzsauber, lupenrein. Man war gerührt. Womöglich dachte der halbe Saal, dass er seine frühen Lebtage leider nicht derart gut genutzt hat… Mit allen logischen defizitären Folgen…
Von nun an wird es bei Chloe Chua darum gehen, dieses Violinkonzert auch individuell zu gestalten – so, wie sie im dritten Satz schon erste Attacke, ersten Zugriff bewies. Das Orchester applaudierte ihr zusammen mit dem Publikum ehrlich – und sie freute sich unschuldig. Toll.
Bei der Sopranistin Regula Mühlemann lag der Fall anders. Die Rosenarie aus „Figaros Hochzeit“sang sie strömend, ausgesprochen biegsam und mit einem Noch-Mädchenschon-Dame-Charme. In der Rache-Arie der Zauberflöten-Nachtkönigin jedoch, offenbar von ihr erstmals öffentlich probiert, stieß sie unüberhörbar an ihre Grenzen. Vielleicht sollte sie beim jugendlichlyrischen Sopran – ohne Stratosphären-Koloraturen zumindest – bleiben. Wäre nicht ehrabschneidend.
Den vertracktesten Abend-Beitrag aber lieferte die Pianistin Olga Scheps – nachdem das Basler Kammerorchester unter Umberto Benedetti Michelangeli in der Pariser Sinfonie KV 297 erst einmal seine Auffassung von Mozart dargelegt hatte. Nämlich historisch-informiert, mit Natur-Blech, feinnervigdrahtigem Spaltklang, offensiver Motorik, dynamischer Vitalisierung. So weit, so überzeugend im penibel erforschten Rückblick auf das 18. Jahrhundert.
Aber dann setzte sich Olga Scheps an den Steinway und blickte mit anderen Augen auf das Klavierkonzert KV 491. Es waren verträumte Augen aus dem fortgeschrittenen 19. Jahrhundert, hochromantische Augen. Un peu de Chopin. Und das Ergebnis, während das Orchester angespannt-profiliert blieb, war bei ihr weichgezeichnet, entspannt, lyrisch rezitierend, agogisch frei, gefühlvoll bis gefühlig. So erhielt der Hörer zwei stilistische Perspektiven auf einmal, was auch für Verwirrung und das eine oder andere zerrissene Herz – zwischen Form hier, Freiheit dort – gesorgt haben dürfte. Sonderfall des Konzertwesens. Dabei hat Olga Scheps ja einen wunderbar klaren, für Mozart prädestinierten Anschlag. Den hört man gern.
Nur theatralisch sollte sie nicht werden und trotzig-zornige Mimik und Gestik in die Tasten schleudern – bloß weil Mozart mal im Forte entschiedenen Zugriff verlangt. Bad Wörishofen ist Gott sei Dank nicht Hollywood.
Dass dieser Jubiläumsstart nicht lehrreich in jeder Hinsicht gewesen wäre, lässt sich mithin kaum behaupten. Technisch, musikalisch, stilistisch, außendarstellerisch. Mozarts blanke Musik bleibt vornehme Aufgabe.