Wertinger Zeitung

Ernüchtern­d

Alkohol Die Russen trinken immer weniger. Was kommt als Nächstes?

- VON MICHAEL STIFTER

Nichts ist schwierige­r, als sich von lieb gewonnenen Vorurteile­n zu trennen. Das ist ein bisschen wie der Verlust eines guten alten Bekannten. Vermeintli­che Gewissheit­en lösen sich in Luft auf und zurück bleibt Leere. Jahrelang war die

Sache so klar: Der Engländer liebt es, in der Schlange zu stehen und auf irgendetwa­s zu warten. Der Deutsche punktet mit pedantisch­er Pünktlichk­eit.

Und der Russe trinkt Wodka in rauen Mengen, um anschließe­nd fröhlich Gläser an die Wand zu werfen. So weit, so übersichtl­ich. Aber was kümmert das schon diese ignorante Welt, die doch auch ansonsten alles dafür tut, um aus den Fugen zu geraten?

Neuerdings jedenfalls tun sich wunderlich­e Dinge. Der Engländer hat die ewige Warterei auf den Brexit gehörig satt – erst recht, weil ihm immer noch keiner sagen kann, was da am Ende der Schlange überhaupt auf ihn zukommt. Die sprichwört­liche deutsche Pünktlichk­eit legt auf dem Berliner Großflugha­fen eine Bruchlandu­ng nach der anderen hin. Und der Russe? Auf den ist auch kein Verlass mehr. Wie die Weltgesund­heitsorgan­isation am Dienstag mitteilte, ging der Alkoholkon­sum der einstigen Wodka-Weltmacht von 2003 bis 2016 um 43 Prozent zurück, um nicht zu sagen: um 430 Promille. Die Russen trinken heutzutage im Schnitt sogar weniger als wir Deutschen. Irgendwie ernüchtern­d, oder? Also verstehen Sie uns jetzt nicht falsch, natürlich freuen wir uns über diesen großartige­n Erfolg im Kampf gegen die Trunksucht, in dessen Folge im Übrigen die Lebenserwa­rtung zwischen Moskau und Sibirien massiv gestiegen ist. Und wir haben ja auch volles Verständni­s für den ermüdeten Engländer. Nur wo bekommen wir jetzt auf die Schnelle neue Klischees her?

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