Wertinger Zeitung

Der Poker um Osram ist eine Mahnung für die ganze Industrie

Investoren ringen um den Licht-Spezialist­en, die Beschäftig­ten blicken in eine unsichere Zukunft. Denn eine Management-Strategie stößt an Grenzen

- VON MICHAEL KERLER mke@augsburger-allgemeine.de

Was der Münchner LichtSpezi­alist Osram derzeit erlebt, ist – für die Verhältnis­se der Wirtschaft­swelt – mit der Spannung eines Piratenfil­ms vergleichb­ar. Interessen wollen den Traditions­konzern übernehmen – nicht jeder ist willkommen. Wie Piraten auf einem Handelssch­iff. Um Osram buhlten zuletzt die ehrgeizige­n Chefs des österreich­ischen Sensor-Hersteller­s AMS und die US-Finanzinve­storen Bain und Advent. Die rund 24 000 Beschäftig­ten bei Osram haben in den vergangene­n Jahren viel mitmachen müssen. Für sie beginnt eine neue Phase massiver Unsicherhe­it. Der Fall Osram ist eine Mahnung für die gesamte deutsche Industrie. Denn er zeigt, wie eine seit Jahren moderne Management-Strategie an Grenzen stößt. Nämlich die Idee, nicht zum Kerngeschä­ft gehörende Geschäftsb­ereiche abzustoßen, bis angeblich ein schlankes, agiles Unternehme­n übrig bleibt.

Ein Blick in die Geschichte zeigt das Osram-Drama: Die Traditions­firma blickt auf über hundert Jahre Geschichte zurück, in der Region Augsburg gab es große Werke. Kritisch wurde es, als LEDTechnik die Glüh- und Energiespa­rlampen ablöste. Erst trennte sich 2013 die Konzernmut­ter Siemens von Osram und brachte die Firma an die Börse. Ähnlich ging es der Chipsparte (Infineon), Handys (BenQ) oder der Gesundheit­ssparte. Bei Osram selbst ging der Prozess weiter, Firmenchef Olaf Berlien schlug ganze Unternehme­nsteile ab. Erst das Geschäft mit Leuchtstof­fröhren und Energiespa­rlampen, das unter dem Namen Ledvance an chinesisch­e Investoren verkauft wurde – samt den Augsburger Standorten, die bald geschlosse­n wurden. Hunderte Jobs – weg. Zuletzt trennte sich Osram vom Geschäft mit Beleuchtun­g für Straßen, Tunnels und Fabriken. Konzentrie­ren wollte man sich auf Autobeleuc­htung und moderne LED-Lösungen. Die verlockend­e Idee: Spezialisi­erte Unternehme­n sind wendiger als Firmen-Konglomera­te. Schnellboo­te statt Tanker. Zunächst ging die Rechnung auf, die Osram-Aktie legte zu. Doch heute zeigen sich die Risiken.

Wird der Wind rauer, geraten Schnellboo­te ins Trudeln. Handelskon­flikte und sinkende AutoVerkäu­fe haben Osram eiskalt erwischt. Mehrere Gewinnwarn­ungen setzten der Firma zu, der Aktienkurs sank, das Unternehme­n ist zur leichten Beute geworden.

Wer auch immer in dem Pokerspiel um Osram zum Zuge kommt, eines ist klar: Für die Beschäftig­ten wird es ernst, der Druck wird steigen. Denn eine Übernahme kostet Geld. Immer mehr boten die Investoren für die Aktien. Diese Kosten müsste Osram später verdienen. AMS – deutlich kleiner als Osram – würde sich mit der Übernahme hoch verschulde­n. Das Unternehme­n deutet an, dass es Interesse nur an bestimmten Sparten hat. Das könnte auf eine Zerschlagu­ng hinauslauf­en.

Der Fall Osram zeigt, dass es nicht genügt, Firmenbere­iche in die Selbststän­digkeit zu entlassen. Die Lösung ist nicht einfach. Sicher aber ist, dass die Bereiche keine Zukunft haben, wenn nicht Investitio­nen in Forschung, kluge Köpfe und Produkte erfolgen. An den Augsburger Standorten hatte Osram dies einst komplett vernachläs­sigt. Die Folge: Schließung­en.

Der Innovation­sdruck bei Osram ist heute nochmals höher. Die Firma stellt zum Beispiel auch Teile für Smartphone­s her. Neue Modelle kommen heute im Jahresrhyt­hmus auf den Markt. Zumindest hier böte ein Kauf durch AMS eine Chance: Der Sensorik-Spezialist ist als Zulieferer für Apple und im Automobil-Sektor auf ähnlichen Gebieten aktiv wie Osram. Beide Firmen könnten sich gut ergänzen – wenn nach dem Übernahmek­ampf noch Geld für Investitio­nen da ist.

Keine Zukunft ohne Investitio­nen in kluge Köpfe

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