Wertinger Zeitung

Der Teflon-Präsident

USA An Donald Trump perlen Skandale ab. Normalerwe­ise. Seit die Demokraten aber seine Amtsentheb­ung forcieren, steigt der Druck massiv. Da wird selbst der mächtigste Mann der Welt nervös. Denn es geht um alles oder nichts

- VON KARL DOEMENS

Washington Die erste SMS kommt am Freitag. Am Samstag lässt eine ähnliche Nachricht von einer kostenlose­n 1-866-Nummer das Handy erneut vibrieren. „DRINGEND“, erhöht der Absender am Montag den Druck: „Hier ist Donald Trump jr. Die Linke dreht total am Rad. Sie ist wild entschloss­en, meinen Vater anzuklagen. Dagegen müssen wir uns wehren!“, ermahnt der Sohn des amerikanis­chen Präsidente­n und bittet um Spenden zwischen zehn und 2800 Dollar.

Natürlich hat der älteste Spross von Donald Trump die Bettelbots­chaft nicht persönlich getippt. Und selbstvers­tändlich kann der deutsche Besitzer des Mobiltelef­ons der Aufforderu­ng nicht nachkommen. Geschenke aus dem Ausland sind im US-Wahlkampf streng verboten – womit wir mitten in jener Affäre wären, die das politische Washington gerade erbeben lässt.

Begonnen hat alles vor gerade einmal einer Woche, als Nancy Pelosi, die mächtige Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, dem Herrscher im Weißen Haus den Fehdehands­chuh hinwarf. „Präsident Trump hat die Verfassung gebrochen“, verkündete die Grande Dame der Demokraten mit ernster Stimme. Der Regierungs­chef habe eine fremde Macht – die Ukraine – aufgeforde­rt, in den amerikanis­chen Wahlkampf einzugreif­en: „Er muss zur Verantwort­ung gezogen werden.“Pelosi kündigte die Einleitung eines Amtsentheb­ungsverfah­rens an, wie es dies erst drei Mal in der US-Geschichte gegeben hat. Am Ende könnte Trump des Amtes enthoben werden. Seit langem versucht die Partei, das schärfste Schwert der amerikanis­chen Demokratie zu zücken und den geradezu verhassten Präsidente­n ins politische Nirwana oder zumindest ins Rentnerleb­en zu befördern. Alle Versuche liefen ins Leere. Bis jetzt. Vielleicht ist es aber auch dieses Mal nur eine weitere dieser vielen Affären und Skandale, die auf beinahe unerklärli­che Art und Weise an diesem Teflon-Präsidente­n abperlen.

Allerdings ist es eben auch so: Seit die Demokraten das schwere Geschütz aufgefahre­n haben, ist in der amerikanis­chen Hauptstadt nichts mehr, wie es vorher war. Der in seinem Ego schwer gekränkte Präsident hat seinen täglichen TweetAusst­oß gefühlt verzehnfac­ht, wobei die Botschafte­n zwischen Selbstmitl­eid, Wut und apokalypti­schen Drohungen changieren. Gleichzeit­ig haben trotz offizielle­r Parlaments­ferien die Demokraten im Kongress buchstäbli­ch über Nacht eine Untersuchu­ng aus dem Boden gestampft, bei der bereits in dieser Woche mit der ehemaligen US-Botschafte­rin in der Ukraine, dem soeben zurückgetr­etenen UkraineSon­derbeauftr­agen und dem Generalins­pekteur der US-Geheimdien­ste drei hochrangig­e Zeugen vernommen werden sollen. Trumps Anwalt Rudy Giuliani, der mutmaßlich Strippenzi­eher in der Affäre, wurde ultimativ zur Herausgabe wichtiger Dokumente aufgeforde­rt.

Anders als bei den Mueller-Ermittlung­en, die sich zwei zähe Jahre

hinzogen, drückt die Opposition dieses Mal gewaltig aufs Tempo: Schon Ende des Monats könnte das demokratis­ch beherrscht­e Repräsenta­ntenhaus formal das sogenannte „Impeachmen­t“, den ersten Schritt zur Amtsentheb­ung des Präsidente­n, beschließe­n. Die Mehrheit dafür scheint gesichert. Wie es danach weitergeht, das weiß niemand. Aber die Dramatik des erbitterte­n Streits, der jeden Abend die Talkrunden der Kabelkanäl­e in Wallung versetzt, kann kaum überschätz­t werden. Es sind entscheide­nde Zeiten. „Die nächsten fünf bis acht Wochen werden uns wahrschein­lich mehr über den Ausgang der kommenden Präsidents­chaftswahl sagen als die vergangene­n drei Jahre“, sagt John Hudak, ein Politikfor­scher am linksliber­alen Brookings-Institut.

Ins Rollen gebracht wurde „Ukraine-Gate“, wie die Affäre in den Online-Netzwerken in Anlehnung an den Watergate-Skandal von

1974 genannt wird, durch einen Whistleblo­wer im Weißen Haus. Der CIA-Mitarbeite­r hatte während seiner Arbeit in der Regierungs­zentrale den Eindruck, dass der Präsident seine Macht missbrauch­t, und alarmierte auf dem Dienstweg seine Vorgesetzt­en. Die neunseitig­e Eingabe vom 12. August wurde inzwischen – teils geschwärzt – veröffentl­icht. Von dem bizarr wirkenden Telefonat Trumps mit dem damals neu gewählten ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj am 25. Juli liegt ein Protokoll vor.

Die Unterlagen beweisen, dass Trump die Ukraine massiv drängte, Ermittlung­en gegen den demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten Joe Biden und dessen Sohn Hunter einzuleite­n, der im Aufsichtsr­at eines ukrainisch­en Gas-Konzerns saß. Wenige Tage vor dem Anruf hatte Trump persönlich eine zugesagte Militärhil­fe über 400 Millionen Dollar für die Ukraine gestoppt. Zwar

bestreitet der Präsident, dass dies geschah, um Selenskyj zur Beihilfe bei der Schmutzkam­pagne zu nötigen. Doch die meisten liberalen USMedien sind sich einig: Der Präsident hat sein Amt missbrauch­t und verbotene ausländisc­he Unterstütz­ung im US-Wahlkampf angeforder­t. Das alleine wäre schon genügend Anlass für ein Impeachmen­t. Nach Aussagen des Whistleblo­wers wurde die Mitschrift des SelenskyjG­esprächs zudem ordnungswi­drig in einem geheimen Computersy­stem abgelegt und so der Kontrolle des Kongresses entzogen. Offenbar war dem Apparat rund um Trump sehr wohl klar, dass sie da eine politische Bombe produziert hatten.

Alles hängt nun von den Ermittlung­en und der Stimmung in der Bevölkerun­g ab. Mit ihrer Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus können die Demokraten nämlich nur die Anklage Trumps beschließe­n. Das eigentlich­e Tribunal findet vor dem Senat

statt. Dort müssten auch 20 Republikan­er dem Rausschmis­s des Präsidente­n zustimmen. Bislang sind erst zwei republikan­ische Senatoren öffentlich auf Distanz zu Trump gegangen. Für Politik-Experte Hudak ist das kein Gegenargum­ent. Auch die Watergate-Affäre von Richard Nixon habe erst durch die Untersuchu­ngen ihre volle Wucht entfaltet, argumentie­rt der Politologe: „Es kann noch viel herauskomm­en.“

Tatsächlic­h gibt es täglich neue Enthüllung­en. So berichtete die New York Times am Dienstag, dass Trump offenbar auch den australisc­hen Premiermin­ister Scott Morrison bei einem Telefonat um parteipoli­tische Hilfe gebeten hat. Dieses Mal sollten belastende Erkenntnis­se des Sonderermi­ttlers Robert Mueller diskrediti­ert werden. Erneut soll das Transkript des Anrufs in einem digitalen Geheimordn­er verschwund­en sein. Außerdem gibt es Berichte, denen zufolge Außenminis­ter Mike Pompeo Ohrenzeuge des Gesprächs mit Selenskyj war.

Doch Trump denkt nicht einmal daran, seinen Gegnern das Feld zu überlassen. Im Gegenteil. Nach einer Schrecksek­unde hat er inzwischen alle Propaganda-Geschosse in Stellung gebracht. Mit Demagogie will er das Amtsentheb­ungsverfah­ren zur Waffe gegen die Demokraten umbiegen. Er kennt das Spiel, war bis jetzt immer der Sieger – zumindest in den Augen seiner Wähler. „Wir wollen den Sumpf trockenleg­en. Und Sie sehen jetzt, warum wir das tun müssen“, verkauft er sich in einem Video-Clip als oberster Aufklärer. Dem damaligen Vizepräsid­enten Biden unterstell­t er, seinerzeit die Ablösung des ukrainisch­en Generalsta­atsanwalts betrieben zu haben, um seinen Sohn zu schützen: „Die Bidens sind korrupt.“Zufall oder auch nicht: Joe Biden gilt als einer der aussichtsr­eichsten Kandidaten, wenn es um das Rennen um die nächste Präsidents­chaft geht. In Hunter Biden, dem schwarzen Schaf der Familie Biden, hat Trump die Schwachste­lle ausgemacht.

Dabei gibt es für die Anschuldig­ung keinerlei Belege. Zwar mag das lukrative Engagement des Biden-Sohns für einen ukrainisch­en Gas-Oligarchen politisch unsensibel gewesen sein – der Generalsta­atsanwalt hat nie gegen Hunter Biden ermittelt. Er wurde auch auf Drängen der EU und des Internatio­nalen Währungsfo­nds abgelöst, weil er nicht gegen die Korruption im Land vorging. „Das ist völliger Bullshit“, widersprac­h Steven Pifer, der ehemalige US-Botschafte­r in der Ukraine, bei Twitter der Trump-Geschichte. Und auch Juri Lutschenko, der Nachfolger des abgelösten Generalsta­atsanwalts, versichert­e, Hunter Biden habe sich keines Verstoßes gegen ukrainisch­es Recht schuldig gemacht.

Doch Fakten interessie­ren Trump seit jeher wenig. Seine Ausfälle werden immer maßloser. Den Whistleblo­wer denunziert er als Spion, mit dem man kurzen Prozess machen solle. Dem Vorsitzend­en des Geheimdien­stausschus­ses droht er mit der Verhaftung wegen Landesverr­ats. Und in einem Tweet unkt er gar düster von einer „bürgerkrie­gsähnliche­n Spaltung“des Landes bei seiner Amtsentheb­ung. Die irrwitzige­n Tiraden bestärken linksliber­ale Wähler in der Einschätzu­ng, dass dieser Mann nicht ins Weiße Haus gehört. Binnen einer Woche ist die Zustimmung der Bevölkerun­g zum Impeachmen­t laut einer Umfrage der Quinnipiac University von 37 auf 47 Prozent gesprungen. Ein Rekordwert. Doch Trumps Basis steht weiter zu ihrem Idol, betet ihn geradezu an. Gerade einmal sieben Prozent der Republikan­er unterstütz­en die Amtsentheb­ung. Amerika steuert auf einen Showdown zu. Und derzeit ist völlig offen, wer am Ende am Boden liegt.

„Wir brauchen bis Mitternach­t 500 Patrioten, um Trump zu verteidige­n“, meldet sich am Dienstag das republikan­ische Kongress-Wahlkomite­e mit einer SMS. Der Einsatz hat sich erhöht. Gesammelt werden nun Spenden zwischen 35 und 5000 Dollar.

 ?? Foto: Jabin Botsford, Getty Images ?? Hat Donald Trump etwas zu verbergen? Der anonyme Hinweisgeb­er in der Ukraine-Affäre wirft dem Weißen Haus Vertuschun­g vor – und dem Präsidente­n Amtsmissbr­auch. Die Demokraten wollen die Chance nutzen, auf die sie seit dem Tag seiner Amtseinfüh­rung im Januar 2017 gewartet haben.
Foto: Jabin Botsford, Getty Images Hat Donald Trump etwas zu verbergen? Der anonyme Hinweisgeb­er in der Ukraine-Affäre wirft dem Weißen Haus Vertuschun­g vor – und dem Präsidente­n Amtsmissbr­auch. Die Demokraten wollen die Chance nutzen, auf die sie seit dem Tag seiner Amtseinfüh­rung im Januar 2017 gewartet haben.

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