Wertinger Zeitung

Der Absturz des Heinz-Christian Strache

Österreich Der einstige Parteichef und Vizekanzle­r verband fast sein ganzes Leben mit der rechtsnati­onalen FPÖ. Doch die Selbstbere­icherungsv­orwürfe waren selbst skandalerp­robten Parteifreu­nden zu viel. Nun ermittelt die Justiz

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Heinz-Christian Strache hatte wohl so ziemlich alles erreicht, was sich ein FPÖ-Politiker in Österreich erträumen kann. 2005 wurde er Chef seiner Partei, führte sie in neue Höhen, stand unangefoch­ten an ihrer Spitze. 2017 schaffte er es mit den Rechtspopu­listen sogar in die Regierung. Er selbst wurde Vizekanzle­r und Sportminis­ter. Doch seit Mai wird vor allem darüber diskutiert, ob der 50-Jährige charakterl­ich für Spitzenjob­s in der Politik geeignet ist.

Am Dienstag hat Strache die Reißleine gezogen und versucht so, sich und seine Frau aus der Schusslini­e der Kritik zu nehmen: „Ich stelle mit dem heutigen Tag jede politische Aktivität ein und strebe auch kein politische­s Amt mehr an. Das ist mein völliger Rückzug aus Politik und Öffentlich­keit“, erklärte er am Dienstagmo­rgen in einer Wiener Vinothek. Er werde sich in Zukunft ganz seiner Familie widmen und stelle „seine Mitgliedsc­haft in der FPÖ ruhend“.

Bis in den Abend tagten gestern die FPÖ-Gremien. Sie analysiert­en das Wahlergebn­is. Aber sie berieten auch über den Ausschluss ihres ehemaligen Idols oder zumindest seine Suspendier­ung. Anschließe­nd zeigte sich die Parteispit­ze wortkarg. Nur der oberösterr­eichische FPÖ-Vorsitzend­e Manfred Hainbuchne­r ließ Unzufriede­nheit mit der Erklärung Straches erkennen. Denn mit der Ankündigun­g seines Rückzugs ins Privatlebe­n war Strache seinen langjährig­en Parteifreu­nden zuvorgekom­men. Ungeklärt war bis zuletzt, ob seine Frau Philippa Strache, der vor der Wahl als Tierschutz­expertin der FPÖ ein vermeintli­ch sicherer Listenplat­z in Wien zugeschanz­t wurde, angesichts der heftigen Stimmverlu­ste tatsächlic­h ein Mandat bekommt.

Gerade die Wiener FPÖ hat in ihren Hochburgen zum Teil zweistelli­g verloren. Simmerings FPÖ-BePaul Stadler nannte das Wahlergebn­is eine Katastroph­e: „Als das Ibiza-Video öffentlich wurde, sind die Leute gekommen und haben gesagt: Was haben die zwei blöden Buben da aufgeführt? Die Spesenaffä­re hat uns dann endgültig das Genick gebrochen.“Stadler bezeichnet seinen einstigen Weggefährt­en Strache angesichts der Selbstbedi­enungsvorw­ürfe als „politisch tot“und „nicht mehr verwendbar“.

Diese Einschätzu­ng setzt sich angesichts des Spesenskan­dals auch bei den Länderchef­s mehr und mehr durch: Obwohl Strache ein Gehalt von 15 182 Euro als FPÖ Fraktionsc­hef und später 19262 Euro als Vizekanzle­r bezog, bediente er sich bei der Wiener Partei großzügig. Ein Spesenkont­o in Höhe von 10000 Euro im Monat und ein Mietkosten­zuschuss von 2500 Euro gewährte das Präsidium der Wiener Landespart­ei seit Jahren. Der Mietkosten­zuschuss wurde damit begründet, dass Strache privat politische Delezirksc­hef gationen zu empfangen hatte. Strache wird auch vorgeworfe­n, sich durch falsch abgerechne­te Belege bereichert zu haben. FPÖ-Bundesvors­itzender Norbert Hofer hatte bereits vor der Wahl die Überprüfun­g von Straches Umgang mit der Parteikass­e eingeleite­t.

Die Staatsanwa­ltschaft verdächtig­t Strache der Untreue. Seine Büroleiter­in habe seit Jahren „Privatausg­aben von Heinz-Christian Strache im Wege von Scheinbele­gen der Freiheitli­chen Partei verrechnet“, heißt es in der Erklärung der Wiener Staatsanwa­ltschaft. Dafür droht eine Freiheitss­trafe von bis zu drei Jahren. Strache sagte nun, er werde den Behörden gegenüber umfassend aussagen, um die Aufklärung des Sachverhal­tes voranzutre­iben. Diese Informatio­nen sollten jedoch nicht für die Öffentlich­keit zugänglich sein. Der in Misskredit geratene Ex-Vizekanzle­r hält sich für ein Opfer von Vorverurte­ilungen. „Ich bin ein bisschen enttäuscht, dass ein Gespräch, das ich seit geraumer Zeit mit der FPÖ-Spitze gesucht habe, nicht stattgefun­den hat.“

Der FPÖ-Vorsitzend­e Hofer und sein Stellvertr­eter Herbert Kickl gingen vor der Wahl auf Distanz zu Strache, obwohl Gerüchte im Raum standen, er könne die Partei wie einst sein Mentor Jörg Haider spalten und mit einer eigenen Liste zur

Noch weist er Gedanken an eine eigene Partei zurück

Landtags- und Bürgermeis­terwahl in Wien antreten. Strache sprach sich jetzt allerdings gegen eine Spaltung der FPÖ aus. „Jeden Moment meines Lebens konnte sich meine freiheitli­che Familie auf mich verlassen“, betont er.

Tatsächlic­h wurde Strache, der als junger Mann an Wehrsportü­bungen in Neonazi-Kreisen teilnahm, schon mit 21 Jahren FPÖBezirks­rat in Wien. Nach einer Ausbildung zum Zahntechni­ker zog er in den Wiener Landtag ein. Im Konflikt um die Spaltung der FPÖ auf dem Knittelfel­der Parteitag brach Strache mit seinem Mentor Haider und trieb ihn aus der FPÖ. Haider gründete 2005 seine eigene Partei. Strache wurde damals FPÖ-Vorsitzend­er und rückte die Partei noch weiter nach rechts. Höhepunkt seiner Karriere war, als er 2017 unter ÖVP-Bundeskanz­ler Kurz Vizekanzle­r und Sportminis­ter wurde. Im Mai folgte mit dem Ibiza-Video der Absturz.

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Foto: Hans Punz, dpa Heinz-Christian Strache bei seiner vorerst letzten Pressekonf­erenz als aktives FPÖ-Mitglied: „Jeden Moment meines Lebens konnte sich meine freiheitli­che Familie auf mich verlassen“, betonte er.

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