Wertinger Zeitung

Ein scheinbar unverzicht­barer Partner

Fall Kaschoggi Warum Saudi-Arabien nicht für die Beseitigun­g des Journalist­en bestraft wird

- VON THOMAS SEIBERT Washington Post

Istanbul Ein Jahr nach dem Mord an dem saudischen Dissidente­n Dschamal Kaschoggi erfreut sich SaudiArabi­en der vollen Unterstütz­ung des Westens. Im neu aufgeflamm­ten Konflikt mit dem Nachbarn Iran ist Saudi-Arabien besonders für die Politik der USA wichtiger denn je. Kurz vor dem Jahrestag des Mordes an Kaschoggi am Mittwoch gab das US-Verteidigu­ngsministe­rium die Verlegung von zusätzlich­en Radarsyste­men, Flugabwehr­batterien und 200 Soldaten nach Saudi-Arabien bekannt. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, genannt MBS, kann es sich inzwischen sogar leisten, öffentlich die politische Verantwort­ung für die Gewalttat zu übernehmen – weil er weiß, dass dies keine Folgen haben wird.

● Der Mord Um 13.15 Uhr Ortszeit am 2. Oktober 2018 betritt Dschamal Kaschoggi das saudische Konsulat in Istanbul, um Dokumente für die geplante Hochzeit mit seiner türkischen Verlobten Hatice Cengiz abzuholen. Der 59-jährige Kolumnist der ist ein bekannter Kritiker von MBS, der die saudische Regierung oft geärgert hat. Im Konsulat wird er von einem aus Saudi-Arabien angereiste­n Killerkomm­ando erwartet. Der türkische Geheimdien­st hört mit, als die Mörder den Journalist­en ein „Opfertier“nennen, das geschlacht­et werden soll. Laut dessen Erkenntnis­sen erzählen die Mörder Kaschoggi, dass er nach Saudi-Arabien gebracht werden soll. Sie betäuben ihn und halten ihm Mund und Nase zu. „Ich habe Asthma, macht das nicht, ihr erstickt mich“, sagt Kaschoggi demnach. Es sind seine letzten Worte. Anschließe­nd zersägt ein aus Riad angereiste­r Forensiker mit einer Knochensäg­e die Leiche des Journalist­en – was dann mit den sterbliche­n Überresten Kaschoggis geschieht, ist bis heute ungeklärt.

Nach dem Mord schicken die Saudis einen Doppelgäng­er Kaschoggis auf die Straßen Istanbuls, um vorzutäusc­hen, dass der Dissident die Vertretung lebend verlassen habe. Kaschoggis Verlobte Cengiz, die vor dem Gebäude vergeblich auf ihn gewartet hat, schaltet die türkische Regierung ein.

● Die Empörung In den Tagen danach verstricke­n sich die saudischen Behörden in immer neue Ausflüchte. Schließlic­h müssen sie zugeben, dass Kaschoggi im Konsulat getötet wurde. Das Killerkomm­ando kann unerkannt nach Riad zurückkehr­en. Monate später werden zwar rund ein Dutzend mutmaßlich­e Tatbeteili­gte in Saudi-Arabien in einem Geheimverf­ahren vor Gericht gestellt, doch das Königreich bleibt bis heute bei der Darstellun­g, dass der Mord an dem Journalist­en eine Einzelakti­on von Geheimdien­stlern war, von der die Regierung und insbesonde­re der Kronprinz nichts wussten.

Trotz der weltweiten Empörung weigert sich die US-Regierung, öffentlich Druck auf MBS und die saudische Regierung zu machen. Präsident Trump argumentie­rt, die Verwicklun­g der saudischen Regierung in den Mord sei nicht erwiesen. Zudem wolle er nicht, dass saudische Rüstungsau­fträge an andere Länder gingen.

● Der saudische Kronprinz Unmittelba­r nach dem Mord an Kaschoggi sieht es so aus, als sei Kronprinz Mohammed bin Salman drauf und dran, seine Position in der saudischen Königsfami­lie zu verlieren. Auch wegen des Krieges im Jemen gerät der Prinz unter Druck. Inzwischen hat sich MBS dank amerikanis­cher Unterstütz­ung aber auf seiner Position behauptet, auch wenn er in der Öffentlich­keit weniger präsent ist als vor Kaschoggis Tod. Der 34-jährige Prinz will Saudi-Arabien mit ehrgeizige­n Wirtschaft­sreformen in die Zukunft führen und duldet dabei keinen Widerspruc­h.

In Interviews mit US-Medien räumt der Prinz inzwischen ein, er trage die Verantwort­ung für den Mord an Kaschoggi, weil die Gewalttat unter seiner Regierung verübt wurde. Gleichzeit­ig bekräftigt MBS jedoch, er habe nichts von der Tat gewusst. Den Mord nennt er heute einen „Fehler“und „abscheulic­h“– zugleich zeigt er sich aber zuversicht­lich, dass die USA weiter zu ihm stehen werden. Auch die Inhaftieru­ng von Regierungs­kritikern und Frauenrech­tlerinnen in SaudiArabi­en selbst haben dem Prinzen bisher internatio­nal nicht geschadet.

 ??  ??
 ?? Foto: Li Tao/XinHua/dpa ?? Chinas Präsident Xi Jinping wollte der Welt mit einer gigantisch­en Militärpar­ade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepub­lik eine eindeutige Botschaft übermittel­n: „Keine Macht kann den Status unseres großartige­n Mutterland­es erschütter­n“, sagte er in Peking.
Foto: Li Tao/XinHua/dpa Chinas Präsident Xi Jinping wollte der Welt mit einer gigantisch­en Militärpar­ade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepub­lik eine eindeutige Botschaft übermittel­n: „Keine Macht kann den Status unseres großartige­n Mutterland­es erschütter­n“, sagte er in Peking.
 ?? Foto: dpa ?? Dschamal Kaschoggi beim Betreten des Konsulats in Istanbul.
Foto: dpa Dschamal Kaschoggi beim Betreten des Konsulats in Istanbul.

Newspapers in German

Newspapers from Germany