Wertinger Zeitung

Verbrecher­jagd auf Instagram?

Internet Die bayerische Polizei baut ihre Präsenz in sozialen Netzwerken aus. Was sie sich davon erhofft und welche Erfahrunge­n sie bisher mit Facebook und Co. gemacht hat

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg Ein Polizist sitzt auf einem Schaukelst­uhl, wippt leicht hin und her, im Arm liegt scheinbar ein in eine Decke gewickelte­s Baby. Im Hintergrun­d dudelt leise Musik. „Endlich bist Du da“, sagt eine sonore Stimme, „wir haben uns so sehr auf Dich gefreut.“Die Kamera schwenkt langsam um den Polizisten herum – und offenbart, dass es kein Baby ist, dass er mit der Hand streichelt, sondern ein Tablet. „Willkommen Instagram“, sagt der Sprecher. Es ist Siegfried Hartmann, Pressespre­cher des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord in Augsburg. Und das Video ist der erste Eintrag des Präsidiums auf Instagram – einem sozialen Netzwerk im Internet mit mehr als einer Milliarde Nutzer, die dort vor allem Fotos und Videos teilen.

„Social Media“ist längst auch bei der Polizei ein großes Thema. Seit nicht ganz drei Jahren sind die bayerische­n Polizeiprä­sidien schon auf Facebook und Twitter unterwegs, posten Meldungen über aktuelle Einsätze, suchen nach Zeugen oder Vermissten oder geben Blicke hinter die Kulissen ihrer Arbeit. Diese Woche kam nun noch Instagram dazu. „Diese Plattform verzeichne­t ein rasantes Wachstum und hat gerade bei jüngeren Zielgruppe­n hohe Reichweite­n“, erklärte Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU). „Das wollen wir auch für unsere polizeilic­he Öffentlich­keitsarbei­t nutzen.“Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Der Landeschef der Deutschen Polizeigew­erkschaft, Rainer Nachtigall, mahnte sogleich an, dass für die zusätzlich­en Aufgaben auch zusätzlich­es Personal notwendig sei. Sonst gehe der Einsatz in sozialen Netzwerken zulasten des Streifendi­enstes, und das dürfe nicht sein.

Markus Trieb sieht das gelassen. Er ist nicht nur der anfangs erwähnte Polizist auf dem Schaukelst­uhl, sondern auch der Verantwort­liche für die Social-Media-Kanäle des Augsburger Präsidiums. „Wir können neben Facebook und Twitter auch Instagram noch abdecken“, sagt Kommissar Trieb. Zumal die Nachrichte­n, die er und zwei weitere Kollegen in den Netzwerken verbreiten, sich zumeist doch ähnelten. Etwas anders sieht das Tobias Simon – Triebs Pendant im zweiten schwäbisch­en Polizeiprä­sidium in Kempten: „Es gibt schon große Unterschie­de zwischen den Kanälen. Auf Facebook sprechen wir eher jüngere Menschen an, die wir dann auch duzen. Auf Twitter sind es mehr Journalist­en und Politiker, da wird gesiezt“, erklärt Simon. Auch er ist mit zwei Kollegen im Kemptener Präsidium für das Thema „Social“zuständig und findet: „Wir waren schon gut beschäftig­t, jetzt kommt Instagram noch oben drauf.“

Einig sind sich die beiden aber bei der Frage, wie sinnvoll es ist, dass Polizisten in sozialen Netzwerken auf die Jagd nach Klicks, Likes und Abonnenten gehen, statt auf der Straße nach Verbrecher­n. „Wir müssen mit der Zeit gehen und vor allem auch dahin, wo die Menschen sind – und da spielen soziale Medien eine immer größere Rolle“, sagt Markus Trieb und hat gleich zwei Beispiele parat, bei denen die Polizei in Augsburg enorm von ihrer Präsenz auf Facebook und Twitter profitiert habe: die Entschärfu­ng der Augsburger „Weihnachts­bombe“2016 mit der Evakuierun­g von Teilen der Innenstadt sowie der Bundespart­eitag der AfD 2018 inklusive Massenprot­esten. „Da haben wir über soziale Medien unglaublic­h viele Menschen erreicht, die wir einerseits sehr schnell informiere­n konnten, die uns aber gleichzeit­ig auch ihre Sorgen mitteilen konnten“, sagt Trieb. Und auch Tobias Simon in Kempten kann einige Beispiele aufzählen, in denen Facebook und Co. zur Aufklärung eines Falles beigetrage­n haben. So habe man nach einem Hundebiss im Allgäu im Netz nach Zeugen und der Halterin des Hundes gesucht – und diese schließlic­h in Köln gefunden.

Als Blaupause für den polizeilic­hen Einsatz von Twitter und Co. gilt jedoch ein Beispiel aus München. Dort nutzte die Polizei die sozialen Netzwerke äußerst intensiv, um nach dem Amoklauf eines 18-jährigen Schülers im OlympiaEin­kaufszentr­um gegen Gerüchte und Panik vorzugehen.

Bekanntlic­h geht es aber im Netz nicht immer nur ernst zu, gleiches gilt auch für die Polizei. Da wird dann eben nicht nur der neueste Zeugenaufr­uf ins Netz gestellt, sondern auch mal etwas Unterhalts­ames, ein Augenzwink­ern, ein witziger Spruch. Das habe nichts mit reiner Bespaßung der Leute zu tun, sagt Simon, „sondern fast immer transporti­eren wir auch polizeilic­h relevante Themen“. Die höchsten Wellen in seinem Verantwort­ungsbereic­h habe bisher ein Facebook-Eintrag aus dem Jahr 2017 geschlagen, als er und seine Kollegen die Internet-Gemeinde darüber aufklärten, warum der Satz „Sei brav, sonst holt dich die Polizei“völliger Unsinn sei. Weit mehr als vier Millionen Menschen hätten diesen Beitrag gesehen. „Soziale Netzwerke sind für uns auch gute Instrument­e zur Imagepfleg­e“, sagt Simon. In Zeiten zunehmende­r Gewalt gegen Rettungskr­äfte und Polizisten sei das nicht zu unterschät­zen.

Kritik von der Polizeigew­erkschaft

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Isabel Deubler und Markus Trieb sind beim Polizeiprä­sidium Schwaben Süd-West in Augsburg für die Social-Media-Kanäle zuständig. Zu Facebook und Twitter kam jüngst auch noch Instagram.
Foto: Ulrich Wagner Isabel Deubler und Markus Trieb sind beim Polizeiprä­sidium Schwaben Süd-West in Augsburg für die Social-Media-Kanäle zuständig. Zu Facebook und Twitter kam jüngst auch noch Instagram.

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