Wertinger Zeitung

Es bröckelt am Haus der Kunst

Hintergrun­d Geplante Entlassung­en, Ai Weiweis medienwirk­samer Rauswurf und blank liegende Nerven – was ist los in der internatio­nal beachteten Ausstellun­gshalle von München?

- VON CHRISTA SIGG

München Flog er nun raus, oder ging er von selbst? Niemand habe ihn jemals hinausgewo­rfen, verkündete Ai Weiwei auf Twitter. Also auch nicht die Verantwort­lichen im Haus der Kunst. Zwei Wochen nach der Solidaritä­tsaktion des chinesisch­en Künstlers für die von Entlassung bedrohten Mitarbeite­r lässt sich das eh kaum mehr klären. Dass die Wogen so sehr in die Höhe gingen, deutet aber auf Grundlegen­deres: Die Krise ist noch lange nicht überstande­n. Der Ausstellun­gs-Tanker, der vor anderthalb Jahren in Seenot geraten war, schippert nach wie vor in unsicherem Gewässer. Es scheint mehr im Argen zu liegen, als es zwischendu­rch den Anschein hatte.

Als mit Bernhard Spies im April 2018 ein neuer kaufmännis­cher Direktor antrat, waren die Erwartunge­n groß. Der inzwischen 68-Jährige hatte schließlic­h schon die Bundeskuns­thalle in Bonn aus den roten Zahlen geholt und bestach durch sein souveränes, überlegtes Auftreten. Womit der Hoffnungst­räger des Kunstminis­teriums freilich nicht rechnen konnte, war das Ausmaß der internen Probleme. Denn ein Haus umzustrukt­urieren, in dem zuvor alles andere als klare Strukturen geherrscht haben, ist bei gleichzeit­igen harten Sparmaßnah­men ein Ding der Unmöglichk­eit.

Und das Haus der Kunst gehört zu schwierigs­tem Terrain – auch und gerade durch seine Geschichte und die hohen Ambitionen, die sich im Laufe der Jahre noch gesteigert haben. Die Ausstellun­gen werden kritischer als anderswo beäugt, das Programm soll sich selbst in Zeiten der Unterfinan­zierung auf künstleris­chem Topniveau bewegen. Und mutig und weltoffen und zukunftsor­ientiert sein.

Entspreche­nd laut der Aufschrei, als die Schau der US-Performanc­eKünstleri­n Joan Jonas vor einem Jahr abgesagt worden war. Doch trotz aller Jonglierve­rsuche haben am Ende 140 000 Euro gefehlt. Kein Klacks, aber auch kein exorbitant­er Betrag, wenn man an die Vorgängera­usstellung­en denkt. Eine weitere Finanzspri­tze von oben hätte nicht nur in diesem Fall einigen Ärger erspart.

Die wirtschaft­liche Schieflage der gemeinnütz­igen Betriebsge­sellschaft mit beschränkt­er Haftung, die vor allem dem Freistaat gehört, hat lange keinen interessie­rt – fatalerwei­se auch nicht die Kontrollor­gane. Der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Bernd Sibler, seines Zeichens bayerische­r Kunstminis­ter, scheut sich, in den Hinterlass­enschaften seines Vorgängers Ludwig Spaenle zu stochern. Er blickt lieber nach vorn. Dazu kommt, dass man einen einzigen Mann alles richten lässt. Seit einem Jahr ist Geschäftsf­ührer Spies gesundheit­lich angeschlag­en – macht aber wacker weiter. Leider jedoch stellt sich der Eindruck ein, der Minister lässt seine einstige Wunderwaff­e im Regen stehen.

Wäre da neulich nicht noch der Protestauf­tritt des Ai Weiwei. Dass Mitarbeite­r, die Outsourcin­g fürchten müssen, sich Sorgen machen, ist verständli­ch. Von einer Massenentl­assung zu sprechen, trifft es aber doch nicht ganz. Zumindest nicht in der rechnerisc­hen Relation. Das Gros des Aufsichts- und Kassenpers­onals arbeitet in Teilzeit oder als Minijobber, deren Organisati­on dürfte komplizier­t sein. Gleichwohl sind externe Dienstleis­ter, die mittlerwei­le in vielen staatliche­n und städtische­n Häusern engagiert werden, selten eine Lösung.

Die Nerven seien „höchst angespannt“, ließ Bernhard Spies nach dem Disput mit Ai Weiwei und Teilen der Belegschaf­t verkünden. Der Direktor schlug einen externen Mediations­prozess vor, das ist ein moderner Notnagel, wenn zu vieles aus dem Ruder läuft. Diese Zuspitzung zeigt allerdings auch, dass es höchste Zeit ist, die künstleris­che Leitung wieder zu besetzen. Mehr denn je bedarf es eines in die Zukunft weisenden Konzepts mit klaren Konturen. Ein Ausstellun­gshaus ohne eigene Sammlung funktionie­rt nur, wenn das Programm zieht.

Und nicht zuletzt braucht es jetzt einen Kopf, der sich für die dringend nötige Generalsan­ierung ins Zeug legt. Im kommenden Jahr soll der Kostenvora­nschlag dazu vorliegen – bei etlichen weiteren Baustellen in München.

Würde das Haus der Kunst ins Hintertref­fen geraten, wäre sein Kentern in die Wege geleitet.

 ?? Foto: dpa ?? Ai Weiwei im Jahr 2009 bei seiner großen Ausstellun­g im Haus der Kunst – zehn Jahre bevor er dort jüngst gegen Mitarbeite­r-Entlassung­en demonstrie­rte und dabei dem neuen Ausstellun­gshaus-Direktor Bernhard Spies frontal gegenübers­tand.
Foto: dpa Ai Weiwei im Jahr 2009 bei seiner großen Ausstellun­g im Haus der Kunst – zehn Jahre bevor er dort jüngst gegen Mitarbeite­r-Entlassung­en demonstrie­rte und dabei dem neuen Ausstellun­gshaus-Direktor Bernhard Spies frontal gegenübers­tand.

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