Wertinger Zeitung

Eine Insel und ein Mädchen

Karen Köhlers etwas knarzendes Debüt

- Stefanie Wirsching

Frauen, die entrechtet werden, sich verhüllen müssen, abends die Straße nicht mehr betreten dürfen, denen das Lesen und Schreiben verwehrt ist... Davon liest man in diesem Herbst bei Margaret Atwood und ihren „Die Zeuginnen“, aber auch in Karen Köhlers Debütroman „Miroloi“, Spitzentit­el im Hanser-Verlag. Auch da erlebt man wie bei Atwood eine Befreiungs­geschichte: Ausgerechn­et das Findelkind mit den wenigsten Rechten von allen, nicht einmal ein eigener Name wird ihm zugestande­n, begehrt gegen das Patriarcha­t auf. Wo aber findet das statt? Die Insel, kalkweißes Dorf, Olivenhain­e, lässt sich irgendwo in der Ägäis verorten, aber zu welcher Zeit? Köhler be- schreibt eine ar- chaisch strukturie­rte Gesellscha­ft im Nirgendwo, ein Gottesstaa­t im Kleinen, abgekoppel­t von der Gegenwart, der Drübenwelt, von der ab und zu ein Händler kommt, und von der Plastikmül­l an den Strand geweht wird. Eigentümli­ches Setting also, eigentümli­cher Roman, mit einer Protagonis­tin, die in 128 Strophen ihr eigenes Miroloi, ein Totenlied, singt, sich in dieser Dorfgemein­schaft mit ihrer Art zu denken tatsächlic­h fremd ausnimmt und nicht zur stimmigen Heldin werden kann. Karen Köhler begrenzt sich gewisserma­ßen selbst mit ihrer Idee, nicht aus jeder Insel wird eine spannende Welt. Aber was dieses Debüt hat, was auch ihre Erzählunge­n auszeichne­t: ein ganz eigener, sprachlich­er Zugriff.

Hanser, 464 S., 24 ¤

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Karen Köhler: Miroloi.

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