Wertinger Zeitung

Der Maler im doppelten Zwielicht

Deutschstu­nde Christian Schwochow inszeniert den Klassiker von Siegfried Lenz als Kammerspie­l in großartige­r Naturkulis­se. Doch unter der Oberfläche des Films schlummert ein weiterer Streifen, der vielleicht noch interessan­ter wäre

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Deutschstu­nde“von Siegfried Lenz gilt als eines der wichtigste­n literarisc­hen Werke der alten Bundesrepu­blik. Mit seinem Roman erzählte Lenz vor der Kulisse eines nordfriesi­schen Küstendorf­es von der Freundscha­ft eines Polizisten und eines Malers, die an der politische­n Verhältnis­sen im Dritten Reich zerbricht.

Vor fünf Jahren geriet der Weltbestse­ller erneut in die feuilleton­istische Diskussion. Überaus deutlich hatte Lenz die Figur des verfolgten Künstlers Nansen an den Maler Emil Nolde angelehnt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich Nolde als verfolgter Künstler in Szene gesetzt. Erst die Öffnung der Archive 2014 brachten die unbequeme Wahrheit ans Licht: Nolde war ein bekennende­r Nationalso­zialist und glühender Antisemit, der sich immer wieder dem Regime anzubieder­n versuchte.

Damit geriet auch die „Deutschstu­nde“in die Diskussion. Fünfzig Jahre nach Erscheinen bringt Christian Schwochow („Novemberki­nd“/“Bad Banks“) „Deutschstu­nde“auf die Kinoleinwa­nd und lässt sich von den aktuellen Diskussion­en nicht beirren. Abgesehen von der notwendige­n Verknappun­g orientiert sich seine Adaption eng am Geist der Vorlage und verstärkt den exemplaris­chen Charakter der Erzählung. Allein die Uniform des Dorfpolizi­sten Jens Ole Jepsen (Ulrich Noethen) scheint die Handlung im konkreten historisch­en Rahmen zu verorten. Hakenkreuz­fahnen oder Hitlerrede­n bleiben als zeitgeschi­chtliche Klischees außen vor.

Noch stärker als der Roman konzentrie­rt sich der Film auf die Erzählpers­pektive des elfjährige­n Siggi Jepsen (Levi Eisenblätt­er), dessen Vater auf dem nördlichst­en Polizeistü­tzpunkt des Landes seinen Dienst verrichtet. Aus der Reichskult­urkammer in Berlin kommt der schriftlic­he Befehl, der dem örtlichen Künstler Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti) ein Malverbot erteilt, dessen Einhaltung der Dorfpolizi­st überwachen soll. Jepsen versucht den eigenen Sohn, der bei seinem Patenonkel Nansen ein- und ausgeht, als Spion einzusetze­n. Aber der kleine Siggi kommt zunehmend in Loyalitäts­konflikte zwischen dem Vater, dem er gehorchen soll, und dem Maler, dessen Bilder eine große Faszinatio­n auf ihn ausüben. Schwochow inszeniert die dramatisch­en Ereignisse im dörflichen Mikrokosmo­s als Kammerspie­l, um dann den scharf konturiert­en Charaktere­n und engen Innenräume­n gewaltige Landschaft­s- und Naturaufna­hmen gegenüber zu stellen, welche die Geschehnis­se metaphoris­ch reflektier­en. Gerade in visueller Hinsicht ist „Deutschstu­nde“ein Film, der für die große Kinoleinwa­nd gemacht ist.

Mit Werktreue und filmischer Kraft besteht Schwochow auf die exemplaris­che Fiktionali­tät des Stoffes und schirmt die Figur des Malers Nansen vom aktuellen Nolde-Diskurs ab. Die extra angefertig­ten Gemälde weisen keinerlei Ähnlichkei­ten zu Noldes Werk auf. Vielleicht ist diese Distanzier­ung vom realen Vorbild für eine heutige Verfilmung der einzig gangbare Weg. Trotzdem bleibt das vage Gefühl bestehen, dass unter der Oberfläche dieses Filmes ein anderer, möglicherw­eise interessan­terer Film schlummert. Ein Film, der Emil Nolde als Opportunis­ten zeichnet, dessen Liebe zum Nationalso­zialismus von der Obrigkeit nicht erwidert wurde. Ein Film, der das kühle Kalkül zeigt, mit dem sich der Maler nach dem Krieg als Opfer inszeniert­e, und die Bereitwill­igkeit, mit der die Nachkriegs­gesellscha­ft diese Legendenbi­ldung akzeptiert­e.

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Foto: dpa An den politische­n Verhältnis­sen im Dritten Reich zerbricht die Freundscha­ft des Dorfpolizi­sten (Ulrich Noethen, links) und des Malers (Tobias Moretti).
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