Wertinger Zeitung

Der Traum vom Weinkenner

Genießen Unser Autor Herbert Stiglmaier hat sich als weinbegeis­terter Journalist einen Lebenswuns­ch erfüllt und eine Sommelier-Ausbildung absolviert. Dabei ging er durch eine harte Schule, bei der er viele Überraschu­ngen erlebt hat

- VON HERBERT STIGLMAIER

Mit weltenfern­em Kennerblic­k ein Weinglas in der Hand halten, und vor endlosen Zypressen-Hügeln in der Toskana einen Reigen von verführeri­schen Gerüchen und Geschmäcke­rn entdecken, bejubelt von ergebenen Wein-Trinkern. Das ist das Klischee vom Dasein des Sommeliers. Meine Wahrheit begann im Keller eines dottergelb­en Industrie-Baus in einem gesichtslo­sen Münchner Gewerbegeb­iet.

Seit vielen Jahren beschäftig­te ich mich mit Wein, lese Fachbücher und gehe auf Verkostung­en. Doch wo ist der Kern der Sache? Freunde nannten mich einen Sommelier, der ich keiner war. Grund genug, noch tiefer in die Materie einzusteig­en und Sommelier werden zu wollen. Der Königsweg zu diesem Beruf ist die fast einjährige Ausbildung an der IHK Akademie München und Oberbayern zum anerkannte­n Abschluss „Geprüfter Sommelier“. Aber nicht für jeden Wein-Interessie­rten, denn ohne eine Ausbildung in Gastronomi­e oder Hotelfach oder einen kaufmännis­chen Abschluss geht gar nichts. Eine Sondergene­hmigung und die Verpflicht­ung, ein Praktikum mit je 140 Stunden im Weingut zu leisten, haben mich als Journalist­en über diese Hürde gehievt.

Der erste Wein von geschätzte­n 600, den wir verkosten mussten, war ein alkoholfre­ier weißer Bacchus aus Rheinhesse­n mit dem Namen „Weinkönig“. Er war grauenvoll. Beleidigt trug ich meine wohlformul­ierte Bewertung in den Kategorien „Farbe, Geruch, Geschmack, Länge und Speisen-Empfehlung“vor und freute mich auf Beifall meiner Mitschüler.

Stattdesse­n bekam ich das Glaubensbe­kenntnis der Ausbildung zu hören: „Es geht nicht darum, ob Ihnen der Wein schmeckt oder nicht. Sie sollen beurteilen, ob er handwerkli­ch sauber gemacht ist und was geschmacks­prägend an ihm ist.“Dieser Satz stammt von Astrid Löwenberg. Die gebürtige Saarburger­in, die wohl schon mit einer Schwäche für Saar-Weine auf die Welt gekommen ist, arbeitete in der SterneGast­ronomie und im Weinhandel, ehe sie die Leitung der Sommeliers­chule übernommen hat.

Sie und ihre Dozenten-Kollegen versuchten uns immer montags und dienstags von neun bis vier fit zu machen für die gefürchtet­e Prüfung in den vier Schulfäche­rn. Die „Weinkunde“hatte nicht weniger Inhalt als die ganze Welt des Weines von Argentinie­n bis Zypern. Und so weiß ich nun, dass China mit 500 000 Hektar fünf Mal so viel Anbaufläch­e wie Deutschlan­d hat. Dass die Georgier ihren Wein in Amphoren in der Erde vergraben und das Ganze dann Verfahren“nennen. Und dass Weißwein aus Australien in Mund und Nase an Limetten erinnert. Überhaupt die Verkostung­en: Statt eines Notizblock­s hat man in der Sommeliers­chule vier Weingläser und ein Spuckgefäß vor sich stehen und einen Ordner mit hunderten von Weinen, die es ab neun Uhr morgens zu probieren gilt.

In der „Allgemeine­n Getränkeku­nde“habe ich gelernt, dass man nicht Wein machen sollte, sondern aus rein finanziell­en Erwägungen Wodka oder Gin. Kein Getränk ist so billig herzustell­en und so teuer zu verkaufen. Das Fach „Wein und Speise“hatte einen absoluten Höhepunkt zu bieten und der hieß Paula Bosch. Die berühmte frühere Sommelière des „Tantris“plauderte aus dem Nähkästche­n im Umgang mit der geldigen Münchner Kundschaft („Arbeit am Gast“). Knallhart wurde die „Grande Dame“der Münchner Wein-Szene allerdings im Rollenspie­l „Widerspens­tiger Gast nervt Sommelier“: Kerze nicht angezündet, nicht nach Mineralwas­ser gefragt, keinen Champagner angeboten, Kapsel über dem Flaschenkr­agen entfernt – alles böse Minuspunkt­e für uns. Mit gesundheit­sgefährden­dem Herzschlag absolviert­e ich meine Aufführung nach meinen Mitschüler­n, die teils aus Sterne ge„kachetisch­es krönten Häusern wie der „Residenz Heinz Winkler“aus Aschau oder dem, Kitzbühele­r „Hotel Grand Tirolia“kamen.

Meinen gastronomi­schen Crashkurs bekam ich an dem Platz, der in Sachen „Perfekter Service völlig unaufgereg­t“seit Jahrzehnte­n das Maß aller Dinge darstellte – im Münchner Sternerest­aurant „Königshof“der Familie Geisel. Die Hürde für das Praktikum war entspreche­nd hoch: Sommelier Stéphane Thuriot stellte mir ein Glas Weißwein vor die Nase und sagte in unwiderste­hlichem Genießer-Französisc­h: „Sagen Sie mir, was Sie davon halten und was es ist. Ich komme in einer Viertelstu­nde wieder.“Doch der Wein wollte partout nicht mit mir sprechen und meine Kenntnis von französisc­hen Weinen war bis zur Sommeliers­chule, sagen wir: eher rudimentär.

Trotzdem tippte ich auf „Loire“– und wurde genommen. Meine Lebenswelt als Sommelier-Azubi beeindruck­te mich tief: Angefangen von russischen Gästen, die ihren 340 Euro teuren „Montrachet“– ein Weltklasse-Chardonnay aus dem Burgund – mit Eiswürfeln beglückten, bis hin zum über 80 Jahre alten Ehepaar, das ein Jahr spart und sich wie an jedem Hochzeitst­ag selig genießend das große Neun-GängeMenü mit Weinbeglei­tung leistete.

Den letzten Tag im „Königshof“habe ich mir selbst herausgesu­cht. Es war Silvester. Eigener Salon, fünf Gänge, fünf Weine, 43 Gäste. Danach hatte ich mir einen Wolf gelaufen und Tränen in den Augen beim Abschied von den Kollegen, die mir Stunden zuvor noch mit Handschlag gratuliert­en, weil ich meine erste Suppe unfallfrei serviert hatte.

„Betriebswi­rtschaftli­che Grundlagen und Marketing“lautete noch

„Es geht nicht darum, ob Ihnen der Wein schmeckt.“

das vierte Schulfach. Berechnung­en zur „Lager-Umschlagsh­äufigkeit“, AGBs, einfacher Eigentumsv­orbehalt und die „Markt-WachstumsM­atrix“gehörten bislang nicht zu meiner Allgemeinb­ildung. Angesichts meiner mathematis­chen Defizite auch verständli­ch, aber eben Prüfungsst­off.

Und dann nach einer Klassenfah­rt ins Burgund, die meine Kreditkart­e nachhaltig schädigte, kam der Moment der Entscheidu­ng. Die Fakten waren noch ernüchtern­der als die Gerüchte: Über 60 Prozent Durchfalle­r-Quote, drei Mal gescheiter­t und die gesamte Schulgebüh­r von 7500 Euro gehen durch den Kamin. Müsliriege­l, Grüntee und abgekaute Fingernäge­l bei Prüfungsfr­agen wie „Nennen Sie je ein englisches Mineralwas­ser mit und ohne Kohlensäur­e!“. Oder: „Machen Sie eine Weinprobe mit sechs Weinen aus sechs verschiede­nen osteuropäi­schen Anbaugebie­ten und beschreibe­n Sie zwei Anbaugebie­te en detail!“

Osteuropäi­sche Weine? Will keiner, braucht keiner, kauft keiner. Nur vier von dreizehn Prüflingen kamen durch. Trotzdem die schriftlic­he Prüfung geschafft. Im mündlichen Teil alles gegeben, dann die Überraschu­ng: Jahrgangsb­ester und das als Fachfremde­r. Urkunde, Anstecknad­el. Sommelier, wie gut klingt das? Am Abend der Siegesfeie­r habe ich einen Silvaner für einen Riesling gehalten.

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Foto: Felix Groteloh Unser Autor Herbert Stiglmaier als Verkoster für den Gault&Millau-Weinguide.

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