Über Ungarn nach Oberliezheim
Tag der Deutschen Einheit Kathrin und Uwe Schädlich flüchteten vor 30 Jahren aus der DDR. Ihr Weg nach Westdeutschland war nervenaufreibend. Wie sie in den Landkreis Dillingen kamen und in der Region heimisch wurden
Oberliezheim Als Uwe Schädlich Jugendlicher ist und für den Schulweg täglich zwischen Neustadt im Vogtland und Werda fährt, kommen ihm Gedanken. „Will ich hier mein ganzes Leben verbringen?“, fragt er sich immer und immer wieder, während seine sächsische Heimat an ihm vorbeizieht. Es dauert einige Jahre, bis er eine Antwort auf diese Frage findet. Die lautet: Nein. Im Sommer 1989, fast genau vor 30 Jahren, flüchtet Schädlich zusammen mit seiner Frau Kathrin aus der damaligen DDR über Ungarn und Österreich nach Westdeutschland. Heute wohnen die beiden in Oberliezheim, haben drei Kinder, ein Haus mit Garten und Aussicht. „Das haben wir uns hart erarbeitet“, sagt Uwe Schädlich, und blickt mit seiner Frau zurück auf den beschwerlichen Weg zu dem, was sie heute haben.
Der heute 50-Jährige und seine 54-jährige Frau stammen ursprünglich aus Sachsen. Er aus Neustadt im Vogtland, sie aus Rodewisch. 1988 lernen sich der Schlosser und die Physiotherapeutin über die Arbeit kennen. Nur ein Jahr später wird geheiratet, ein Kind ist unterwegs. Es ist der Sommer 1989. Die DDR wird nicht mehr lange Bestand haben, das können die beiden zum damaligen Zeitpunkt nicht wissen. Sie fassen den Entschluss, auszureisen. Vor allem die Perspektivlosigkeit ist es, die dem jungen Paar zu schaffen macht. Ein offizieller Ausreise-Antrag ist erfolglos – und mit Schikanen verbunden. Das Paar wird über Stunden in einen Raum mit vergitterten Fenstern und ohne Türklinke eingesperrt. Schließlich erklärt ein Mitarbeiter des DDR-Ministeriums des Innern, dass zunächst eine achtseitige Begründung nötig ist, außerdem das Ableisten des Wehrdienstes. „Wir hätten mindestens zwölf Jahre warten müssen“, erinnert sich Kathrin Schädlich. Ihr Chef wird über ihre Ausreiseambitionen informiert. Nur wenige Tage später muss sie bei ihm antanzen und sich rechtfertigen.
Die Schädlichs suchen nach einem anderen Weg. Im Fernsehen sehen sie DDR-Bürger, die in der deutschen Botschaft in Ungarn Asyl finden. Diesen Weg möchten sie gehen. Sie beantragen ein Urlaubsvisum, das genehmigt wird. Aus Sorge, mit ihrem Auto nicht nach Ungarn zu kommen, verkaufen sie ihren damaligen Trabant und kaufen sich einen zäheren Moskwitsch. Ihre illegalen Ausreise-Pläne müssen die Schädlichs streng geheim halten. Nur zwei Verwandte sind eingeweiht. Heimlich nachts räumt das Ehepaar seine Wohnung aus. Viele Verwandte muss es damals hinter sich lassen, eventuell für immer, ohne ein Wort des Abschieds. „Das war das Schlimmste für mich, ich habe geweint“, sagt Kathrin Schädlich. Als sie sich auf den Weg machen, haben sie nur ein kleines Reisegepäck dabei, um keinen Verdacht zu erwecken. Eine Verwandte fährt mit Abstand hinter den beiden her und hat Babyklamotten dabei – zu diesem Zeitpunkt ist Kathrin Schädlich im siebten Monat schwanger. Kurz vor der Grenze der Tschechoslowakei liegen die Nerven bei den DDR-Flüchtlingen blank. „Ich habe mich so fest an das Lenkrad geklammert, dass mein Ehering zerbrochen ist“, sagt Uwe Schädlich. An der Grenze gibt es Diskussionen mit einem Beamten. Dieser wird misstrauisch, weil die Schädlichs vier dicke Pullover mit in den vermeintlichen Sommerurlaub nehmen. „Meine Frau ist schwanger und friert schnell“, blufft Uwe Schädlich. Es klappt. Das Paar kommt über die Grenze. Auf gut Glück fährt es an die österreichischungarische Grenze. Weit und breit sehen sie kein DDR-Auto, sie bekommen Panik. Doch ein ungarischer Grenzmitarbeiter winkt sie heran. „Sie haben es geschafft“, ruft er ihnen zu. Die Schädlichs steuern durch Österreich in Richtung Westdeutschland. Die Angst fährt immer noch mit. Auf Rastplätzen trauen sie sich nicht, auszusteigen. Ihre erste Nacht in der BRD verbringen sie in einem DDR-Auffanglager in Passau. Telefonisch melden sie sich bei Bekannten von früher in BadenWürttemberg. Dort möchten sie unterkommen. Doch die Bekannten sind langfristig verreist. Ein Rückschlag für die Schädlichs, die sich schließlich entscheiden, in Bayern zu bleiben. Nächste Station ist das Auffanglager in Nürnberg. Dort hausen zahlreiche DDR-Flüchtlinge auf engem Raum. Das möchte Uwe Schädlich seiner hochschwangeren Frau nicht zumuten. Er kommt auf einen Unternehmer aus Giengen an der Brenz zurück, der in den Lagern billige Arbeitskräfte anwirbt. Auf der Ostalb schuftet Uwe Schädlich als Monteur, arbeitet zum Teil von vier Uhr morgens bis Mitternacht. Ein Dreivierteljahr bleiben die beiden in Giengen. Zwischenzeitlich fällt die Mauer. „Wir konnten es nicht fassen“, berichten sie. Vor allem angesichts des Risikos, das sie nur wenige Monate vor der Wende für die Flucht auf sich genommen hatten. Bereut haben sie die Entscheidung aber nie, betonen sie.
Über die Jahre bekommt das Paar drei Söhne. Das erschwert die Wohnungssuche. Immer wieder muss es etwas Neues finden. Es braucht fünf weitere Stationen, unter anderen Zoltingen, bis die Familie 2007 nach Oberliezheim kommt. Dort will sie endlich ankommen. Fünf Jahre wohnt sie zur Miete, dann kauft sie ein Haus und baut es um. Im vergangenen Jahr sind die Arbeiten fertig. Anfangs tun sie sich in ihrer neuen bayerischen Heimat schwer. „Man ist immer der Zugezogene, das wird sich auch nicht mehr ändern“, sagt Uwe Schädlich. Doch mittlerweile fühlen sie sich im Dorf integriert. Verbindende Aktionen, wie das derzeit laufende Theaterspiel, helfen dabei, sagen sie, und betonen: „Wir wollen hier bleiben.“
Was sind ihre Gedanken zum Tag der Deutschen Einheit? Die Bundesrepublik sei noch nicht vereint, sagen sie. Dafür seien die Löhne und Renten in Ost- und Westdeutschland immer noch zu ungleich. „Das braucht noch einige Generationen.“
Vor Angst trauen sie sich nicht aus dem Auto