Die radikale Seite des Protests
Hintergrund Wer verbirgt sich hinter den Klimaaktivisten „Extinction Rebellion“und was ist ihr Ziel?
Berlin Das Video wirkt wie Werbung für einen Thriller im Kino. „Dies ist ein Notfall“, steht da. Dann Bilder der Zerstörung: Sturmschäden, Brände, ein austrocknender See. „Doch das ist nur der Anfang“, eine Warnung, weiß auf schwarz, zu düsterer Musik. „Es wird noch schlimmer werden. Unsere Zivilisation ist bedroht.“Am Ende steht ein Aufruf – zur nächsten „Rebellionswelle“an diesem Montag. „Wir blockieren Berlin, Paris, New York, Amsterdam, London.“
Hinter den Warnungen und der Drohung steckt eine Bewegung, die in Deutschland längst nicht so bekannt ist wie die Klimaaktivisten von Fridays for Future – aber vorhat, sich mindestens genauso bekannt zu machen. Das Logo mit der Sanduhr in einem Kreis taucht immer öfter auf Demonstrationen auf. Extinction Rebellion – kurz XR – bedeutet Aufstand gegen das Aussterben. Das klingt radikaler als die Schülerbewegung, die Greta Thunberg ins Leben gerufen hat. Und könnte den gesamten Klima-Protest verändern und verschärfen.
„Mit gewaltfreiem zivilen Ungehorsam gegen Klimakrise und Massenaussterben“ist die Devise der Aktivisten. „Wir stören den alltäglichen Betriebsablauf, der unsere Lebensgrundlagen zerstört.“Mit drastischen Bildern, Aktionen und Worten will die Bewegung Bürgern, Staatenlenkern und der Wirtschaft klarmachen, was ihrer Meinung nach auf dem Spiel steht – die eigene Festnahme wird dabei in Kauf genommen. Die Strategie, wie sie XR selbst beschreibt: „Aufmerksamkeiterregender, authentischer Einsatz von zu persönlichen Opfern bereiten Aktivist*innen“.
Särge, blutrote Farbe, Kostüme und das Totstellen in der Öffentlichkeit gehören dazu, ebenso die Blockade von Verkehrsknoten. Damit haben auch Kristin Mudra und Annemarie Botzki schon Erfahrungen gesammelt – zwei Berlinerinnen, die aus dem Ruhrpott stammen und mit XR fürs Klima kämpfen. „Wir versuchen den Leuten klarzumachen, dass wir das auch für ihre Kinder machen“, sagt Mudra. „Was den Leuten ziemlich egal ist, wenn sie gerade zum Flughafen wollen.“
Warum machen die beiden Frauen das? Die Antwort ist so knapp: Sie haben Angst. Die Hitze und Dürre im Sommer 2018, aber auch die Verhandlungen 2015 über das Pariser Klimaabkommen beschreiben sie als einschneidende Erlebnisse. So wurden sie zu „Rebellinnen“.
Zu ihren Prinzipien gehört Gewaltfreiheit. „Wir setzen keine Gewalt gegen Lebewesen, Menschen oder Dinge ein, weil wir uns eben eine gewaltfreie Zukunft vorstellen“, betont Mudra. „Wir würden auch keine SUVs anzünden.“Aber zu Sitzblockaden und Störaktionen sind die „Rebellen“bereit, auch wenn sie damit gegen Gesetze verstoßen. „Alles andere hat nicht funktioniert, alles andere reicht nicht“, sagt Mudra. „Ich habe tausende Petitionen unterschrieben.“
Entstanden ist Extinction Rebellion in Großbritannien, Roger Hallam ist Mitgründer und das bekannteste Gesicht der Bewegung. Der frühere Biobauer vergleicht die Methoden mit denen des indischen Widerstandskämpfers Gandhi: mit zivilem Ungehorsam, aber ohne Gewalt die Eliten herausfordern. Es sei eine historische Tatsache, dass dabei Leute ums Leben kommen können, sagte er der BBC. Auch Martin Luther King oder Nelson Mandela sind Vorbilder der „Rebellen“.
Aber was genau wollen sie? „Unsere erste Forderung ist, die Wahrheit zu sagen“, sagt Botzki. Viele Leute wüssten nicht wirklich, welche katastrophalen Folgen die Klimakrise haben könne. Die Bewegung will zweitens „Klimaneutralität“bis 2025 – das heißt, dass unterm Strich keine zusätzlichen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre gelangen sollen. Die Bundesregierung will das bis 2050 schaffen, und selbst an diesem Ziel zweifeln viele. Drittens wollen die „Rebellen“Bürgerversammlungen aus zufällig ausgewählten Männern und Frauen. Diese Form direkter Demokratie soll neben den Parlamenten helfen, den Kampf gegen die Erderhitzung voranzubringen – weil diese Zufallsbürger nicht nur bis zur nächsten Wahl denken, sondern das Ganze im Blick haben sollen.
Wie groß Extinction Rebellion ist, ist schwer zu sagen. Die Bewegung ist dezentral über Gruppen und Arbeitskreise organisiert und in mehr als 40 Ländern aktiv, es gibt keine Chefs. Kommuniziert wird vor allem über Chats und soziale Netzwerke. In Deutschland gibt es zurzeit mehr als 50 aktive Ortsgruppen, in Berlin hätten rund 17000 Menschen den Newsletter abonniert, sagt Botzki. Perfekt klimafreundlich leben müssen die Aktivisten nicht, sagt Botzki. Autofahren, fliegen: „Machen wir ja alle.“Das sei eine Frage des Systems, in dem man lebe. „Das gilt es zu durchbrechen und zu überwinden.“
Aber auch freundliche Blockaden könnten dem Image der Klimaaktivisten schaden und Unterstützer verschrecken. Gleichzeitig wächst die Enttäuschung und der Frust unter den Aktivisten. Simon Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin sagt, dass sich diese Frustration in unterschiedliche Richtungen entwickeln könne. „Entweder Demobilisierung – oder man fühlt sich noch mal umso mehr angespornt, den Druck auf die Entscheidungsträger zu erhöhen. Das ist die wahrscheinlichere Entwicklung.“
Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann warnt im Interview mit dem Tagesspiegel: „Wenn jetzt die Verhältnismäßigkeit der Mittel radikal überdehnt wird, schwindet die breite öffentliche Akzeptanz für die Klimaproteste.“