Wertinger Zeitung

Stiller Protest am Straßenran­d

Titel-Thema Die Stimmung unter den Bauern ist so schlecht wie noch nie. Weil die Auflagen immer mehr werden, der öffentlich­e Druck zunimmt und sich viele unter Generalver­dacht sehen. Nun wollen sie ein Zeichen setzen

- VON SONJA DÜRR

Weicht Andreas Schmid hat das Kreuz neben dem Stall, der Platz für 80 Milchkühe bietet, aufgestell­t. Aber nah genug an der Straße, dass jeder, der an seinem Betrieb im Jengener Ortsteil Weicht vorbeifähr­t, es sehen kann. Zwei aufeinande­rgeschraub­te Bretter, grün angesprüht, darauf ein Blatt Papier mit einer klaren Botschaft. „Respektier­e die Arbeit der Landwirte!“, ist da zu lesen.

Seit vier Wochen steht das grüne Kreuz da – es war das erste im Ostallgäu. Es gehe ihm nicht darum, gegen etwas zu demonstrie­ren, sagt der 43-Jährige. „Aber die Leute müssen endlich die Probleme in der Landwirtsc­haft sehen.“Und die, erklärt sein Kollege Michael Haußer, 34, werden immer mehr. Die verschärft­e Düngeveror­dnung. Das Bienen-Volksbegeh­ren und die damit einhergehe­nden Gesetze. Die ständigen Diskussion­en über Verschärfu­ngen bei Nitratwert­en und beim Tierwohl. Das zuletzt beschlosse­ne Agrarumwel­tpaket. Schmid sagt: „Wir haben nur noch Auflagen, Auflagen, Auflagen. Und ständig neue Gesetze. Das hält doch keiner mehr aus.“

Und dann ist da der öffentlich­e Druck, den die Bauern beklagen. Sie fühlen sich an den Pranger gestellt. „Wir Landwirte sollen plötzlich an allem Schuld sein – am Klimawande­l, an der Gewässerve­rschmutzun­g, sogar an den Feinstaubt­oten“, schimpft Haußer. „Man erntet doch als Landwirt nur noch Misstrauen.“

Den Frust unter den Bauern, man spürt ihn allerorten. Das war im Sommer in Dietmannsr­ied im Oberallgäu so, als Agrarminis­terin Michaela Kaniber das Artenschut­zpaket vorstellte. Und das ist bei Versammlun­gen oder Gesprächen mit Landwirten so – auch jetzt zu Erntedank. „Die Gemütslage in der Land- und Forstwirts­chaft ist mies und frustriert“, meint Stefanie Härtel, Sprecherin des Bayerische­n Bauernverb­ands. Alfred Enderle ist seit 2012 Bezirksprä­sident, er hat viele Krisen erlebt. „Aber so schlecht war die Stimmung nie.“

Auf dem Dorf hätten die meisten schon noch Verständni­s für die Bauern, meint Michael Haußer. In sozialen Netzwerken aber entlade sich Hass gegen Landwirte. Die Anfeindung­en und die Vorurteile hätten sich massiv verstärkt – seit dem Volksbegeh­ren, vor allem aber, seit der Tierschutz­skandal in Bad Grönenbach öffentlich wurde. Haußer sagt: „Als Landwirt steht man inzwischen automatisc­h unter Generalver­dacht.“Andreas Schmid steht neben ihm, die Arme vor der Brust verschränk­t, und ärgert sich über die Besserwiss­er. „Da sagen uns Leute, wie wir unsere Arbeit zu tun haben. Und die wohnen wahrschein­lich im vierten Stock und kennen Kühe nur aus der Werbung.“

„Bauer Willi“hat seinem Ärger schon vor Jahren Luft gemacht – mit einer Wutrede über die Billigkult­ur und die Doppelmora­l der Verbrauche­r. Nun geht der Agrar-Blogger aus Nordrhein-Westfalen neue Wege. Anfang September hat Willi Kremer-Schilling die ersten beiden angestrich­enen Holzkreuze auf seinen Feldern in den Boden gerammt. Das Agrarumwel­tpaket, das die Bundesregi­erung verabschie­det hat und das unter anderem ein Glyphosat-Verbot, ein Insektensc­hutzprogra­mm und ein staatliche­s Tierwohlke­nnzeichen beinhaltet, brachte für ihn das Fass zum Überlaufen. „Das Agrarpaket ist so eng geschnürt, dass es vielen Betrieben die Luft zum Atmen nimmt“, kritisiert Kremer-Schilling. Den Landwirten gingen durch die Neuregelun­g erhebliche Flächen verloren, ein angemessen­er finanziell­er Ausgleich fehle. Und Siegel gebe es schon genug am Markt.

Der stille Protest, zu dem „Bauer Willi“zusammen mit anderen Agrarblogg­ern aufgerufen hat, hat viele Nachahmer gefunden. Von einer „Graswurzel­bewegung“ist die Rede. Bundesweit wurden nach Ander gaben des Agrar-Bloggers bereits 20 000 der Mahnmale aufgestell­t. Sie stehen neben Ställen, wie bei Andreas Schmid in Weicht. Michael Haußer hat eines an seinem Hof im Nachbardor­f Weinhausen platziert und zwei neben der B 12. Anderswo stehen sie auf Feldern, Wiesen oder neben Wegen. Damit nicht genug: Bayerns Bauernpräs­ident Walter Heidl und sein Stellvertr­eter Günther Felßner haben eines vor die Staatskanz­lei in München gebracht. Mitte September postierten sich Bauern mit grünen Kreuzen vor Kloster Banz, wo sich CSU und Freie Wähler zur Herbstklau­sur trafen. „Unsere Landwirte sehen sich mit ihren Sorgen von den Regierungs­verantwort­lichen nicht mehr ernst genommen“, betonte Heidl.

In der Staatsregi­erung scheint man den Ernst der Lage erkannt zu haben. Agrarminis­terin Kaniber ergrün klärte in dieser Woche, dass sie Stadt und Land wieder näher zusammenbr­ingen will. Geplant ist eine groß angelegte Image- und Informatio­nskampagne, die vor allem die Menschen in den Städten für die Sorgen der bäuerliche­n Familien sensibilis­ieren soll, ein Schaubauer­nhof in München und mehr Werbung für regionale Lebensmitt­el. Fünf Millionen Euro will sich die Staatsregi­erung das kosten lassen. Für Kaniber ist das eine „vertrauens­bildende Maßnahme, dass die Bauernscha­ft sieht, dass wir hinter ihnen stehen“.

Alfred Enderle hat da seine Zweifel, ob dieses Programm reichen wird. „Das allein löst doch die Probleme nicht“, sagt der schwäbisch­e Bauernpräs­ident – auch, wenn er es für wichtig hält, für die Landwirtsc­haft zu werben. Aber was die Bauern im Moment noch dringender bräuchten, ist Planungssi­cherheit. Vorschrift­en, auf die sie sich verlassen könnten, ob beim Pflanzensc­hutz, der Ferkelkast­ration, der Gülleausbr­ingung oder beim Stallneuba­u. Vorschrift­en, die auch in ein paar Jahren noch Bestand haben. Im Moment, sagt Enderle, traue sich etwa kaum ein Betrieb, einen Stall zu bauen – weil verlässlic­he Vorgaben in puncto Tierwohl fehlten und die Fachberate­r überfragt seien. „Wenn jemand jetzt Millionen investiert und der Stall in fünf Jahren nicht mehr passt, dann ist das eine Katastroph­e.“

Schmid und Haußer dagegen berichten von Landwirten, die nicht mehr in ihre Betriebe investiere­n. Von Kollegen, die lieber ein paar Jahre früher aufhören, als sich Vorwürfen auszusetze­n. Und von denen, die ihren Kindern raten, einen anderen Beruf zu ergreifen. An den Landwirtsc­haftsschul­en lässt sich dieser Trend noch nicht ablesen, allerdings fehlen die Zahlen für das Winterseme­ster noch.

Schmids ältere Tochter ist ausgebilde­te Landwirtin, die jüngere fängt jetzt mit der Fachschule an. „Wenn das so weitergeht“, sagt sich Schmid oft, „dann schmeiß ich hin.“Doch es geht ihm um die Zukunft seiner Töchter. Außerdem, erklärt er, „bin ich Landwirt mit Leib und Seele. Wenn mein Stall irgendwann leer steht, wäre das für mich schlimm.“

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Foto: Mathias Wild Die beiden Landwirte Michael Haußer (links) und Andreas Schmid haben im Ostallgäu grüne Kreuze aufgestell­t – als Protest gegen steigende Auflagen und den öffentlich­en Druck.

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