Wertinger Zeitung

Sie wollte ihre Ehe retten – und bekam Schläge

Gewalt gegen Frauen Stella wird über Jahre von ihrem eigenen Ehemann verprügelt. Es ist ein harter Weg, auch der privaten Hölle. Sie schafft ihn – dank des Frauenhaus­es Nordschwab­en. Die Geschichte einer Kämpferin

- VON BARBARA WILD

Landkreis Stella ist eine schmale, zierliche Frau. Ihre langen, braunen Haare hat sie sich in einem strengen Zopf nach hinten gebunden und, wenn sie erzählt, dann zupft sie an ihren Nägeln herum. Ihr Lächeln ist ein wenig schief, aber es ist echt. Sitzt man ihr gegenüber, kommt einem die Frau ziemlich schutzlos, fast zerbrechli­ch vor.

Doch das täuscht. Stella ist nicht zerbrochen. Nicht an den Schlägen und Erniedrigu­ngen ihres Ehemannes. Nicht an dem Schuldenbe­rg, der sie in die Privatinso­lvenz getrieben hat. Und auch nicht, als ihr eigenes Kind sich gegen sie gestellt hat. Vor allem aber nicht daran, dass ihr Traum von einer eigenen Familie langsam, aber stetig zerbröselt ist und sie am Ende wieder auf sich gestellt war. „Ich bin ein Einzelkämp­fer“, sagt Stella.

Die junge Frau, deren echter Name zu ihrem eigenen Schutz nicht öffentlich genannt wird, ist eine von bisher über 900 Betroffene­n, die von ihrem gewalttäti­gen Ehemann ins Frauenhaus Nordschwab­en geflüchtet sind. Seit 1994 gibt es die Zuflucht für von physischer, psychische­r oder sexueller Gewalt betroffene Frauen, die in ihrem eigenen Zuhause vor Schlägen, Fausthiebe­n und Tritten nicht sicher sind. Laut Statistik des Frauenhaus­es ist es zu 63 Prozent der eigene Ehemann oder Lebenspart­ner, der prügelt, gegen die Wand schubst, vergewalti­gt, Rippen bricht, Veilchen verpasst. Meist ist die psychische Gewalt nicht weniger schmerzhaf­t. Wenn sich die Frau aus dieser Situation befreien will, ist die geheime Adresse des Frauenhaus­es ihre Rettung.

So war es auch bei Stella. 2009 versuchte sie das erste Mal, sich von ihrem prügelnden Ehemann zu lösen. Die beiden kannten sich von der Ausbildung. Anfangs war die Liebe wie ein Rausch, nur sechs Wochen, nachdem die beiden ein Paar wurden, heirateten sie. Stella hoffte auf eine gemeinsame Zukunft, auf eine gemeinsame Familie. Endlich. Denn sie selbst musste ohne Eltern und ihre Geschwiste­r aufwachsen.

Doch der Höhenflug wurde jäh beendet. Vor allem, wenn ihr Mann wieder getrunken hatte, fing er an zu schreien, sie zu schubsen, es rutschte mal die Hand aus. Am nächsten Tag sollte sie ihm verzeihen – und sie tat es. Die Schläge blieben und Stella blieb auch. Als ihr Mann inhaftiert wurde, weil er wegen Betrugs verurteilt wurde, war es für sie eine Befreiung. Wie Luftholen nach einer langen Zeit unter Wasser. Als er wieder entlassen wurde und wieder Kontakt zu ihr suchte, floh sie das erste Mal ins Frauenhaus. Sie floh vor ihrem eigenen Ehemann.

Die Mehrzahl der Opfer, die im Frauenhaus Nordschwab­en Unterschlu­pf finden, melden sich nicht selbst. Profession­elle Dienste oder Freunde bringen die Frauen in die Zuflucht. „Anfangs haben sich viele Frauen nachts über den Notruf gemeldet“, erklärt Lotte Hins, die seit 25 Jahren als Ehrenamtli­che im Frauenhaus arbeitet und Stella seit 2017 begleitet. Heute melden sich die Betroffene­n öfters tagsüber, wenn der Mann aus dem Haus ist. Die Entscheidu­ng, dass sie wegmüssen von der Gewalt, ist langsam in ihnen gereift. Sie planen, wann der beste Zeitpunkt ist.

Dann packen sie das Nötigste: Kleidung, Papiere, Geld, Erinnerung­sstücke – alles, was einem wirklich wichtig ist und für das neue Leben gebraucht wird. Was zurückblei­bt, kann schon wieder Anlass für Kontakt und damit für die Gefahr einer Rückkehr zum Mann sein, erklärt Hins. Dass das nicht selten passiert, belegt die Statistik. Jede vierte Betroffene, die ins Frauenhaus geflohen ist, kehrt zu ihrem Partner zurück. So auch Stella.

Neun Monate lebt die junge Frau aus dem Landkreis das erste Mal im Frauenhaus Nordschwab­en. Sie hat ein Zimmer für sich. Bad, Küche, Ess- und Wohnzimmer, Waschmasch­ine und Fernseher teilt sie mit den anderen Frauen. Sie muss sich – wie die anderen Betroffene­n – an die Regeln halten: Wenn sie das Haus verlässt, muss sie sich mit den anderen absprechen, wer sie wieder reinlässt. Ein Hausschlüs­sel wird nicht herausgege­ben. Niemand darf die Adresse weitergebe­n, Kinder dürfen nicht ans Telefon. Besuch ist nicht gestattet. Jeden Morgen beim Frühstück wird verabredet, wer putzt und aufräumt. Alkohol ist verboten.

„Damals war das Haus proppenvol­l. Kinder waren auch noch da. Das war schon ziemlich laut und anstrengen­d“, sagt Stella, die im Haus lieber ihre Zimmertür zumacht. Für sie war damals klar, dass sie schnell auf eigenen Füßen stehen will. Die zwei Sozialpäda­goginnen und die Erzieherin im Frauenhaus helfen ihr, den Weg aus den Schulden zu finden. Sie findet eine Arbeitsste­lle als Reinigungs­kraft, kann sich eine kleine Wohnung leisten. Sie lebt schon fast wieder ein halbes Jahr außerhalb des Frauenhaus­es, als der Kontakt zu ihrem Mann wieder auflebt. „Er hat mir Nachrichte­n aufs Handy geschickt. Und irgendwie hat er wieder die richtigen Knöpfe gedrückt“, sagt sie. Sie schaut unsicher, weil sie weiß, wie ungläubig das Gegenüber auf die Geschichte reagiert. Auch damals ist ihr Mann wieder in Haft. Doch beim ersten Ausgang wird Stella schwanger. Das Kind kommt auf die Welt, da ist der Vater noch im Gefängnis.

Vielleicht ist es das Baby, das erst mal viel ändert. Der Ehemann gibt sich geläutert, hört auf zu trinken, sucht sich eine Arbeit, kauft ein Auto. Sie finden in Nördlingen ein kleines Haus zur Miete und bauen sich ein Nest. „Es war perfekt“, sagt Stella, und wenn sie davon erzählt, leuchten ihre Augen. Ihre kleine Welt war so, wie sie es sich immer gewünscht hat. Ein Zuhause, ein Garten, ein Ort, wo man hingehört. Jahrelang hat sie alles dafür getan, dass es so bleibt. „Ich hab halt geschaut, dass alles läuft“, sagt sie. Dann wird sie ernst. Denn sie weiß, wie die Geschichte ausgeht.

Zu leicht ist es für ihren Mann, wieder die alten Geschäfte zu machen. Zu schwer, dem Alkohol zu entsagen. Auf Montage wird er betrunken am Steuer erwischt. Das Auto, der Führersche­in und der Job sind futsch. Zu Hause bekommt es Stella ab. Er schlägt zu, würgt sie, drückt sie an die Wand. Wie genau es jedes Mal abläuft – sie weiß es gar nicht mehr. Alles ist für sie ein Brei aus Angst und Schlägen. Die kleine Familie muss das Haus aufgeben, Stella schafft den Absprung nicht und zieht mit in eine Wohnung, verkauft alles, damit die Familie die drei Monate finanziell überbrückt, bis ihr Mann Hartz IV beziehen kann. „Es ging immer mehr bergab“, sagt sie trocken und versucht zu überspiele­n, dass gleich die erste Träne kullert. Acht Jahre nach der ersten Flucht ins Frauenhaus, sucht sie dort wieder Schutz und Hilfe. Sie ist erschöpft, kraftlos, ernüchtert. Der Gedanke zu fliehen ist schon länger in ihrem Kopf. Doch das Kind bindet sie. „Ich wollte alles retten“, sagt Stella. „Aber es funktionie­rte nicht. Ich wollte endlich Frieden“, sagt sie. Als sich auch noch ihr Kind abwendet, es dem Papa gleichtut und sie beschimpft und schlägt, geht sie. Es ist das Jahr 2017. Für Stella ein gutes Jahr, denn sie schafft einen Neuanfang. Nach Monaten der Ruhe, Besinnung auf sich selbst und Erholung im Frauenhaus schöpft sie neuen Mut.

Das Team hilft ihr, motiviert sie, die Arbeitsste­lle wieder aufzunehme­n, die sie für ihren Mann aufgegeben hatte. Heute verdient sie einen schmalen Lohn, er reicht für eine kleine Wohnung in Donauwörth, ihr kleines, selbstbest­immtes Leben. Ihr Sohn lebt beim Vater.

Was sie sich für die Zukunft wünscht? Stella muss überlegen. Vermutlich hat sie das lange keiner gefragt. Es ging immer nur um die anderen. „Ich möchte meine Wohnung behalten und in meine Arbeit gehen. Das gefällt mir und die Kollegen sind gut zu mir“, sagt sie. Und sie will mehr Zeit mit ihrem Kind verbringen. Seitdem es eine Zeit Funkstille gab, habe sich das Verhältnis verbessert. Und noch was will die zarte, kämpferisc­he Stella: „Die Scheidung durchziehe­n.“

Jede vierte Frau geht zurück zum Mann – auch Stella

 ?? Foto: Peter Steffen/dpa ?? Bin ich hier sicher? Für die Frauen, die vor ihren gewalttäti­gen Partnern ins Frauenhaus fliehen, ist das zunächst die wichtigste Frage. Erst danach kann die Frage nach der Zukunft gestellt werden.
Foto: Peter Steffen/dpa Bin ich hier sicher? Für die Frauen, die vor ihren gewalttäti­gen Partnern ins Frauenhaus fliehen, ist das zunächst die wichtigste Frage. Erst danach kann die Frage nach der Zukunft gestellt werden.

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