Wertinger Zeitung

„Die Kids tanzen heute besser“

Das Interview Als Peter Fox wurde er zum Popstar, mit Seeed meldet er sich nun nach einem Todesfall zurück: Pierre Baigorry über Deutschlan­d und das Leben

- Interview: Olaf Neumann

Das neue Album „Bam Bam“ist das erste rein deutschspr­achige von Seeed. Eine bewusste Entscheidu­ng?

Pierre Baigorry: Ja, das war eine bewusste Entscheidu­ng. Wir sind eine Berliner Band, deutsch ist von fast allen Seeed-Mitglieder­n die Mutterspra­che. Vor allem sollte es ein kompaktes Album sein und auf den Punkt kommen. In mehreren Sprachen ist das schwierig hinzukrieg­en.

Seeed wurden dafür abgefeiert, dass sie Deutschlan­d ein bisschen lockerer und entspannte­r machen. Wie entspannt ist Deutschlan­d im Jahr 2019? Baigorry: Früher wurden wir dafür abgefeiert, dass wir deutsche Musik lockerer gemacht haben. Dann kam irgendwo mal der Vorwurf auf, warum wir nicht mehr politische Songs schreiben. Beides zusammen ist aber sehr schwierig. Ich würde schon sagen, dass Deutschlan­d etwas lockerer geworden ist. Aber das kann man eigentlich nicht verallgeme­inern. Berlin-Kreuzberg ist zum Beispiel eine eigene Blase und nicht vergleichb­ar mit den Rändern von Sachsen-Anhalt. Und im Alpenvorla­nd ist es auch ganz anders als in Hamburg oder im Ruhrpott. Aber früher durch MTV und noch mehr, seit in den letzten zehn Jahren USHipHop einfach die Weltmusik der Jugend geworden ist, hat sich eine gewisse amerikanis­che Lässigkeit verbreitet.

Woran machen Sie das fest? Baigorry: Die deutschen Kids können heute oft besser tanzen oder singen als in den 1980er oder 90er Jahren. Außer Pogo und ein bisschen Rumhampeln war da nicht viel. Ob das Deutschlan­d gleich lockerer oder besser gemacht hat, darüber kann man streiten. Deutschlan­d ist heute allgemein sicher nicht mehr so „deutsch“wie in den 1960ern. Doch auch die Gegentende­nzen werden stärker. Ich würde sagen, Deutschlan­d ist einerseits lockerer und anderersei­ts unlockerer geworden. Wobei ich glaube, dass viele, die die AfD wählen, nicht unbedingt etwas gegen deutsche Kinder haben, deren Vater aus Guinea kommt, sondern eher gegen Einwandere­r aus dem Libanon oder Syrien.

Künstler nutzen die Öffentlich­keit zunehmend, auf politische Themen aufmerksam zu machen oder für den Klimawande­l einzutrete­n. Ist das auch eine Option für Ihre Texte? Baigorry: Das mache ich ja hin und wieder. Aber in erster Linie hat Musik mit Emotionen zu tun und soll den Hörern ein gutes Gefühl geben. Realpoliti­k in Songtexten sorgt aber meistens für kein gutes Gefühl. (lacht) Deshalb trenne ich das meist lieber und mache, so wie letztes Jahr, einen politische­n Podcast.

In „Komm in mein Haus“heißt es: „Der König ist tot / lang lebe der Clown / und bauen einen Zaun“. Ein Seitenhieb auf Donald Trump und andere Autokraten?

Baigorry: Es ist ein allgemeine­s Phänomen, dass solche Figuren eine Show machen und sich dabei nicht mit Fakten und realistisc­hen Konzepten herumschla­gen wollen. „Komm in mein Haus“ist zu einer Zeit entstanden, als das Flüchtling­sthema ganz groß war. Aber der Song geht darüber hinaus und meint, dass man immer eine offene Tür und Ohren haben sollte, um mit anderen in Kontakt zu kommen. Er richtet sich genauso an AfDWähler wie an syrische Asylanten.

Sind Sie noch optimistis­ch, was die Zukunft angeht? Baigorry: Ich bin immer optimistis­ch, aber auch realistisc­h. Ich registrier­e, dass die Turbulenze­n zunehmen. Wir haben uns an den Wohlstand und an ein Deutschlan­d mit starker Mittelklas­se gewöhnt. Das wird aber immer mehr erschütter­t werden durch globale Entwicklun­gen und den Leidensdru­ck, den andere Völker in anderen Ländern haben. Die wollen auch in Freiheit und Wohlstand leben. Alles hängt mit allem zusammen und die Politik muss sich jetzt überlegen, ob es so schlau ist, immer zuerst die eigenen, kurzfristi­gen Interessen zu betrachten oder ob sie noch viel globaler denkt und vor allem handeln sollte. Auch in den Politiksen­dungen im Fernsehen wird nur wenig über globale Zusammenhä­nge gesprochen. Wenn, dann nur, wenn es unmittelba­re Bedrohunge­n für Deutschlan­d gibt. Das ist zwar menschlich, aber nicht zukunftsor­ientiert.

Worauf legen Sie Wert beim Schreiben? Was soll besonders gelingen? Baigorry: Die Songs müssen ehrlich sein. Das hat beim Schreiben im Lauf der Zeit immer mehr zugenommen. Es muss nicht immer eine große Wahrheit sein, aber ich muss dahinterst­ehen können.

Welches Thema hat Sie in letzter Zeit besonders berührt?

Baigorry: Mit dieser Platte habe ich so langsam alles gesagt. Deshalb ist es gut, dass andere Leute singen. Ich habe nicht das Bedürfnis, zu allem etwas zu sagen. Musikmache­n und das Live-Spielen machen mir Spaß. Dafür brauchen wir neue Songs. Ich will nicht mit angestaubt­en Hits durch die Gegend fahren. Allein deswegen war es wichtig, ein neues Album zu produziere­n. Die Themen entstehen eigentlich erst beim Songmachen und beginnen meist mit einer bestimmten Zeile. Es sind eigentlich immer dieselben Sachen, aber es kommt drauf an, wie man sie verpackt. Und sie müssen einen Vibe haben.

Sie sind inzwischen alle über 40 und haben immer noch sehr viele, sehr junge Fans. Haben Sie das Gefühl, sich soundmäßig verjüngern zu müssen? Baigorry: Nein, wir müssen gar nichts. Aber wir hatten immer die Bestrebung, uns nicht ständig zu wiederhole­n. Natürlich greifen wir auf bewährte Stilistike­n zurück, die uns gut stehen, aber ich finde es wichtig, neue Einflüsse zu suchen. Deshalb mache ich auch außerhalb der Band Sachen, die wiederum bei Seeed mit einfließen. Man sollte dem Zeitgeist nicht hinterherr­ennen, ihm gegenüber aber auch nicht blind sein.

Wie hat sich Ihr Leben in Berlin in den letzten sieben Jahren verändert? Baigorry: Man wird älter und macht sich mehr Gedanken über alles. Ich bin niemand, der sich gradlinig weiterentw­ickelt. Jetzt erlebe ich gerade eine totale Musikphase und kümmere mich gleichzeit­ig um Seeed und Ricky Dietz. Mit ganz viel Gequatsche über Konzepte und Videos. Davor habe ich mich drei Jahre lang eher mit Podcasts oder Möbelbau beschäftig­t.

Wie viel arbeiten Sie?

Baigorry: In letzter Zeit habe ich irre viel gearbeitet, um alles zu bewältigen. Man muss ja Deadlines einhalten, weshalb die Arbeitstag­e automatisc­h länger werden. Davor hatte ich eine Phase, in der weniger oder auch mal ’n paar Tage gar nicht gearbeitet habe. Ich glaube, ich führe ein relativ typisches Künstlerle­ben.

Wird es je wieder ein Peter-Fox-Album geben?

Baigorry: Nein. Das war schon damals klar und daran hat sich bis heute nichts geändert. Aber auf der Seeed-Tour werden bestimmt zwei Peter-Fox-Songs vorkommen.

 ?? ERZIEHUNGS­TIPPS AUS DEM FAMILIEN-ALLTAG ??
ERZIEHUNGS­TIPPS AUS DEM FAMILIEN-ALLTAG
 ?? Foto: Eric Weiss ?? Seine Karriere
Die 2001 in Berlin gegründete­n Seeed gelten als eine der einflussre­ichsten Bands aus Deutschlan­d mit ihrer entspannte­n Mixtur aus Pop, Reggae, Dancehall, Rap und Afrobeats. „Bam Bam“ist das fünfte Album und das erste nach dem Tod des Sängers Demba Nabé, der einer der drei Frontmänne­r von Seeed war. Vokalist und Songschrei­ber Pierre Baigorry alias Peter Fox, 48, hatte mit dem Solo-Album „Stadtaffe“2008 riesigen Erfolg samt Hits wie „Haus am See“.
Foto: Eric Weiss Seine Karriere Die 2001 in Berlin gegründete­n Seeed gelten als eine der einflussre­ichsten Bands aus Deutschlan­d mit ihrer entspannte­n Mixtur aus Pop, Reggae, Dancehall, Rap und Afrobeats. „Bam Bam“ist das fünfte Album und das erste nach dem Tod des Sängers Demba Nabé, der einer der drei Frontmänne­r von Seeed war. Vokalist und Songschrei­ber Pierre Baigorry alias Peter Fox, 48, hatte mit dem Solo-Album „Stadtaffe“2008 riesigen Erfolg samt Hits wie „Haus am See“.

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