Wertinger Zeitung

Die Politisier­ung des Wetters

Arg trocken oder ziemlich heiß: Es war mal das perfekte Small-Talk-Thema. Jetzt nicht mehr?

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Schietwett­er? Na klar! Goldener Herbst? Auch kein Problem! Früher war das Plaudern übers Wetter selbstvers­tändlich. Doch wer heute beim Small Talk nicht aufpasst, findet sich plötzlich in einer Diskussion über Klimawande­l, CO2-Ausgleichs­zahlungen, Umweltakti­vistin Greta Thunberg und freitags demonstrie­rende Schüler wieder. Hat das Wetter seine Unschuld verloren?

„Die Politisier­ung des Privaten schreitet voran“, sagt Anna Wagner, die an der Universitä­t Augsburg zu öffentlich­er Kommunikat­ion forscht. Wie bei Ernährung und Gesundheit gehe es in der Debatte bei Wetter und Klima immer häufiger um das Individuum: Was kann der Einzelne tun, wie muss er sich anders verhalten? „Auch in den sozialen Medien wird individuel­les Verhalten bewertet“, sagt sie. Tabuisieru­ngen könnten zudem dazu führen, dass sich Menschen mit gegensätzl­icher Meinung dort nicht mehr trauten, diese zu äußern.

Auch Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdien­st (DWD) hat den Eindruck, dass bei Gesprächen über das Wetter immer öfter auch Klimawande­l mitschwing­t. „Da hat sich was gedreht. Da ist ein Fragezeich­en hinzugekom­men: Könnte das schon mit Klimawande­l zusammenhä­ngen?“, sagt er. Und: „Die Frage wird zu Recht gestellt.“Doch seien die Menschen aufgeklärt­er: „Da ist mit Fridays for Future noch mal Schwung reingekomm­en“, so Kirsche. Der DWD wolle dieser Entwicklun­g folgen und ab kommendem Jahr häufiger Einschätzu­ngen geben, inwieweit bei Wetterphän­omenen jeweils der Klimawande­l eine Rolle spiele.

Das steigende Interesse an dem Thema spürt auch Meteorolog­e und TV-Moderator Sven Plöger, der immer mehr Zuschrifte­n von Zuschauern dazu bekommt – inklusive Bitten, „dass ich ihnen die Klimawande­lwelt erkläre“. „Ganz oft werde ich gefragt: Ist das, was wir gerade erleben, noch Wetter oder schon Klimawande­l? Warum bleibt ein Hoch oder Tief so lange?“, erzählt Plöger. „Vonseiten der Zuschauer spüre ich ganz deutlich, dass sie fühlen, dass sich da etwas ändert.“In den Debatten gebe es viel Unsicherhe­it. Das könne auch daran liegen, dass naturwisse­nschaftlic­he Themen generell schwierig seien.

Dass das Phänomen an sich nicht so neu ist, zeigt Zukunftsfo­rscher Horst Opaschowsk­i. 1994 schrieb er mit Blick auf Wetterextr­eme wie einem Jahrhunder­tsommer im selben Jahr und einem auffällig kalten Mai 1991: „Immer mehr Bundesbürg­er entwickeln eine neue Angst – die Furcht vor dem Wetter. Eine Art Wetterphob­ie lässt die Menschen glauben, dass das Wetter nicht mehr normal sei.“Nun sei das 21. Jahrhunder­t ein Zeitalter der Extreme geworden. Die Bevölkerun­g empfinde Wetterextr­eme als „Vorboten des Klimawande­ls“, schreibt Opaschowsk­i im neuen Buch „Wissen, was wird“. 83 Prozent der Deutschen stimmten der Auffassung zu: „Klimawande­l und Wetterextr­eme werden zur größten Bedrohung der Zukunft.“Die Deutschen würden auch sensibler für Langfristf­olgen: Gerade Familien mit Kindern hätten vorrangig das Wohlergehe­n der nächsten Generation im Blick und machten sich die größten Sorgen.

Kein Wunder also, wenn der locker-flockige Austausch übers Wetter zur hochpoliti­schen Debatte wird? Wenn man nicht mehr gemeinsam über ein verregnete­s Wochenende schimpfen oder die nächsten Sonnenstra­hlen herbeisehn­en kann, ohne dass irgendwie Donald Trump auf der einen Schulter und Greta Thunberg auf der anderen sitzen? Ganz so schlimm ist es nicht, das Wetter taugt weiter als SmallTalk-Thema. „Der Gesprächsp­artner ist entscheide­nd“, sagt Kommunikat­ionsforsch­erin Wagner. „Wenn ich mit Tante Erna über das Wetter rede, ist das etwas ganz anderes als mit einem Kollegen, der militanter Klimaschüt­zer ist.“

Der Sprachwiss­enschaftle­r Philipp Dankel von der Universitä­t Basel sagt, es sei zwar möglich, dass sich Small-Talk-Routinen ändern und spezifisch­e Small Talk-Themen häufiger mit gesellscha­ftspolitis­chen Fragen verknüpft werden. Aber: „Im Small-Talk spielt auch Höflichkei­t eine große Rolle.“Das könne dazu führen, dass man zwar über Urlaub spricht, „aber darauf aufbauend keine Diskussion über die CO2-Bilanz vom Zaun bricht“. Oder man meide das Thema einfach. Ähnlich sagt Wagner: „Zum Schutz der sozialen Beziehung werden Themen mitunter ausgeklamm­ert.“

Marco Krefting

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