Wertinger Zeitung

Das Kaffeehaus der Revolution­äre

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

August Schärttner, ein führender Kopf und Körper der deutschen Turnerbewe­gung, begeistert­e sich – zum Ärger des konservati­veren Turnvaters Jahn – für die Revolution von 1848. Jetzt, im Jahr 1849, zog er selber mit einer bewaffnete­n Hanauer Turnerwehr ins Gefecht von Waghäusel. Die Preußen siegten, Schärttner floh über die Schweiz nach London. Hier begann sein neues Leben als revolution­ärer Gastwirt.

Das heißt, er musste etwas bescheiden­er als Kellner beginnen, ehe er mithilfe seiner englischen Frau den Aufstieg zum Gastwirt schaffte. Sein Gasthaus mit der Adresse Long Acre 27 nannte er „Zum deutschen Haus“. Dort, in der Nähe des Covent Garden, hieß er Landsleute willkommen, die wie er als Revolution­äre aus Deutschlan­d geflohen waren. Das „deutsche Haus“wurde ein Sammelort für Flüchtling­e ähnlich dem südfranzös­ischen Ort Sanary, wo sich gut 80 Jahre später – bei deutlich besserem Wetter – von den Nazis bedrohte Literaten versammelt­en.

Ein Nicht-Revolution­är namens Theodor Fontane verirrte sich für kurze Zeit ebenfalls ins „deutsche Haus“, das er „German Coffee Shop“nannte.

Dem England-Reisenden gefiel die karge Gastlichke­it überhaupt nicht und für die Revolution­äre, die dort verkehrten, hatte er auch nicht viel übrig.

Einer, den er dort antraf, war August Willich, den er immerhin als „ehrlich“lobte. Willich, ein badischer Revolution­sführer, zog von London weiter nach Amerika. Dort brachte er es bis zum General der Nordstaate­n-Armee im Bürgerkrie­g. Eine noch größere Amerika-Karriere machte der Revolution­är Karl Schurz, der als Carl mit C in die amerikanis­che Politik einstieg und zum Innenminis­ter aufstieg. Auch er verkehrte in Schärttner­s deutschem Coffee House. Mit ihm sein Freund und Professor Gottfried Kinkel, den Schurz auf spektakulä­re Weise aus einem Berliner Gefängnis befreit hatte.

Ein anderer Schärttner­Gast war Gottfried Semper, ebenfalls ein geflüchtet­er Revolution­är. Im Hauptberuf war er Architekt, berühmt für seine Theaterbau­ten. Für die Dresdner Semper-Oper zeichnete er zweimal verantwort­lich. Für die erste noch in der Heimat; den Neubau nach einem Großbrand gestaltete er als Flüchtling aus der Ferne. August Schärttner, der Herbergsva­ter der Revolution­äre, richtete sich dauerhaft und gutbürgerl­ich im freieren London ein.

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