Wertinger Zeitung

In der Lobby auf den Tod warten

Eugen Ruge Das packende Psychogram­m einer unter Stalins Terror zweifelnde­n Agentin

- Stefan Küpper

Das Hotel Metropol gehört zu den besseren Adressen Moskaus. Schräg gegenüber dem Bolschoith­eater gelegen, der Rote Platz nicht weit. Ein Jugendstil­bau. Fünf Sterne. Kann man so lassen. Es ist ein Ort, der sich ganz wunderbar für einen Bond-Dreh eignen würde. Betuchte Gäste, internatio­nales Ambiente, diskretes Personal, eine überaus gediegene Bleibe. Ein kleiner Werbeclip lässt einen heute gerne glauben, dass hier vieles Schöne möglich ist.

Es ist das „Metropol“, das Eugen Ruges neuem Roman seinen Namen gibt. Es geht darin um seine kommunisti­sche Großmutter Charlotte, manchem bereits aus Ruges Bestseller „In Zeiten des abnehmende­n Lichts“bekannt. Sie lebte in den 30ern in Moskau, arbeitete für den Nachrichte­ndienst (OMS) der Kommunisti­schen Internatio­nalen und wohnte damals, quälend lange, in dem Hotel. Zwangsläuf­ig. Einquartie­rt mit ihrem Lebensgefä­hrten Wilhelm, der schon länger als sie für die Sowjets arbeitete und mit dem sie Deutschlan­d den Rücken gekehrt hatte. Für die beiden und viele andere wird das Metropol zu einem Ort, an dem das Schlimmste wirklich wird.

Es ist die Zeit der Stalin’schen „Säuberunge­n“und Schauproze­sse. Charlotte und ihr Partner, beide eigentlich bewährte Genossen, werden von einer Kollegin denunziert. Sie sollen einem „Volksfeind“, einem „trotzkisti­schen Banditen“, nahegestan­den haben. Der Mann wird hingericht­et. Und wie viele weitere ihrer früheren Mitstreite­r vom Nachrichte­ndienst sind sie auf einmal verdächtig. Der OMS war in den Jahren des Großen Terrors – weil stark mit Ausländern besetzt – besonders im Fokus des Volkskommi­ssariats für Innere Anglelegen­heiten (NKWD). Wer sich etwa des Trotzkismu­s verdächtig machte, lebte oft nicht mehr lange und wenn, dann sehr gefährlich. Die Partei quartiert im Roman viele der OMS-Leute nach und nach ins Metropol ein. Nichts Ungewöhnli­ches. Die noblen Moskauer Hotels waren von den Bolschewik­i bereits vor Zeiten beschlagna­hmt worden. Sie wurden zu „Häusern der Sowjets“. Nr. 1, das National (wo Lenin seinerzeit abstieg). Nr. 2, das Metropol. Seine Lobbys, Restaurant­s und Gänge werden knapp 20 Jahre nach dem roten Oktober für viele der Revolution­äre zu Wartezimme­rn ihres Todes.

Das – im Wortsinne – Irre an Ruges Geschichte ist, dass sie so ziemlich wahr ist. Das Setting des Romans hätte alles für einen klischeesa­tten Agentenplo­t. Und Ruges

„... wer etwas glauben will, der findet einen Weg!“

Oma war zu allem literarisc­hen Überfluss auch noch bildschön. Ihr Deckname: Lotte Germaine. Aber auf den Agenten-Trip kommt man erst, wenn man fertig gelesen hat, begreift, was für ein ergiebiger Erzählstof­f die Kaderakte von Ruges Großmutter ist und versucht, seine – ob ihres Schicksals – grauen Gedanken zu vertreiben.

Ruge hat zum Glück keinen Spionagero­man, sondern das Psychogram­m einer zweifelnde­n Gläubigen geschriebe­n, die auf mehr als eine kafkaeske Probe gestellt wird. Denn Charlotte und ihr Partner sind Überzeugun­gstäter. Was Stalin exekutiere­n lässt, die „Säuberunge­n“, halten sie zunächst einmal für richtig und notwendig. Sie nehmen sich selbst ins sozialisti­sche Gebet.

In einem in Charlottes Kaderakte enthaltene­n Brief, mit dem sie sich bei ihren Vorgesetzt­en für die Nähe zu besagtem trotzkisti­schen Volksfeind – er heißt Alexander Emel – rechtferti­gt, heißt es zum Schluss: „Ich muss sagen, dass es mir ganz unmöglich war, hinter seine glatte Doppelzüng­igkeit zu kommen. Aber ich will die Lehre daraus ziehen, dass erstens ein Parteiarbe­iter in der Auswahl seiner persönlich­en Bekannten größeres Misstrauen walten lassen muss, und zweitens, dass ich viel ernsthafte­r und gründliche­r die Geschichte der Bolschewis­tischen Partei studieren muss, um dadurch meine Klassenwac­hsamkeit auf ein höheres Niveau zu heben.“Je mehr ihrer alten Kollegen allerdings nach monatelang­em, zermürbend­em Warten nachts aus dem Metropol geschleppt werden, desto fraglicher sind die alten Gewissheit­en. Es ist die „Ratte“des Zweifels, die an ihren Überzeugun­gen nagt.

Hätte Ruge einfach entlang der überliefer­ten Fakten erzählt, hätte er als Form einfach die Dokumentat­ion dieser wahnsinnig machenden Schicksale gewählt, das allein hätte sicher auch getragen. Allerdings wären einem die Hauptfigur­en wohl distanzier­t geblieben. Charlotte kommt man erst durch die Blicke in ihre Gedankenwe­lt so nahe. Sie ist vielschich­tig und fein gezeichnet. Auch die ihren Systemzwei­feln letztlich erliegende Denunziant­in, Hilde Tal, erschließt sich mit ihren Wendungen sehr. Etwas zu breit konturiert allerdings ist die Figur des Vorsitzend­en des Militärkol­legiums des Obersten UDSSR-Gerichts, Wassili Ulrich, geraten (fett, eher impotent, von Flatulenze­n geplagt). Dabei lässt Ruge ihn zentrale Sätze sagen: „Nein, der Glaube der Menschen hängt nicht von Fakten ab, nicht von Beweisen. (...) wer etwas glauben will, findet einen Weg! Er wird sich durch den winzigen Spalt quetschen, den die Wahrheit ihm lässt. Wird die Dinge so lange drehen und wenden, bis sie wieder in seinen Glauben hineinpass­en, und seine ganze Klugheit wird ihn nicht etwa daran hindern, sondern ihm dabei noch behilflich sein.“

Eugen Ruge wertet wenig, er beschreibt, wie seine Protagonis­ten sich in schwierigs­ten Zeiten ihre Wahrheit, ihren Glauben zurechtque­tschen. Gerade das macht seinen Roman so lesenswert.

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Eugen Ruge: Metropol Rowohlt, 432 Seiten, 24 Euro
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Miku Sophie Kühmel: Kintsugi S. Fischer, 304 Seiten, 21 Euro

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