Wertinger Zeitung

„Ich glaube an die Batterie im Auto“

Interview Varta-Chef Herbert Schein sagt, es gibt genügend Rohstoffe für Millionen von E-Auto-Akkus. Er fordert eine großindust­rielle Produktion auch in Deutschlan­d. Bei kleinen Batterien will die schwäbisch­e Firma Weltmarktf­ührer werden

- Interview: Michael Kerler

Herr Schein, die vom Bundesfors­chungsmini­sterium geförderte große Batteriefo­rschungsfa­brik soll nach Münster statt nach Schwaben kommen. Müssen Sie dies als schwäbisch­er Batteriehe­rsteller nicht bedauern? Herbert Schein: Zunächst finde ich es sehr positiv, dass die Politik, insbesonde­re in Deutschlan­d, die Batteriein­dustrie als eine strategisc­h wichtige Industrie für die Zukunft einstuft. Die Batterie ist heute in den Geräten die zentrale Komponente: In Kopfhörern bestimmt die Batterie die Form des Gerätes und die Hördauer, in Bohrmaschi­nen das Gewicht und die Kraft. Das geht weiter bis zur Elektromob­ilität. Wir müssen deshalb Batterieze­llen in Europa bauen, insbesonde­re in Deutschlan­d, um eine Abhängigke­it von Lieferante­n in Asien zu minimieren.

Umso ärgerliche­r ist es, dass nun die Forschungs­fabrik nicht hier entsteht, oder?

Schein: Das Bundesfors­chungsmini­sterium fördert einerseits die Forschungs­fabrik zur Batterieze­llfertigun­g. Daneben unterstütz­t das Bundeswirt­schaftsmin­isterium den Aufbau ganzer Batteriefa­briken in Deutschlan­d. Für diese Förderung haben wir uns mit einem europäisch­en Konsortium beworben. Derzeit wird der Antrag von der EU geprüft. Wir erwarten, dass dieses Projekt von der EU noch dieses Jahr notifizier­t wird. Dann wäre der Weg frei für das Wirtschaft­sministeri­um, um die Förderung zu starten.

Wie sieht Ihr Projekt aus?

Schein: Es geht um die Entwicklun­g neuer innovative­r Batteriesy­steme und unter anderem auch um den Aufbau einer Pilotanlag­e für größere Formate von Lithium-Ionen-Zellen.

Mit wie viel Unterstütz­ung können Sie rechnen?

Schein: Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium will die Batteriein­dustrie insgesamt mit bis zu einer Milliarde Euro fördern, für die Stärkung der strategisc­h wichtigen Batteriein­dustrie in Deutschlan­d. Wie hoch diese Förderung im Einzelnen ausfällt, ist noch nicht bekannt.

Auch die Ministerpr­äsidenten Markus Söder in Bayern und Winfried Kretschman­n in Baden-Württember­g wollen die Batterieen­twicklung nach der Entscheidu­ng für Münster fördern. Welche Rolle könnte Varta in dem Netzwerk spielen?

Schein: Wir haben Fertigungs­stätten in Baden-Württember­g und Bayern und sind ein Technologi­eführer bei Lithium-Ionen-Zellen. Damit sind wir der ideale Industriep­artner für solch ein Projekt. Die Forschungs­gelder müssen gezielt eingesetzt werden, damit alle Forschungs­einrichtun­gen jetzt an einem Strang ziehen, um effiziente Fortschrit­te bei den neuen Technologi­en zu erreichen. Varta hat zum Beispiel in Ellwangen und hier in Nördlingen bewiesen, dass wir in Deutschlan­d eine profitable Lithium-Ionen-Zellenfert­igung aufbauen können. Deshalb rechnen wir uns für das Projekt sehr hohe Erfolgsaus­sichten aus.

Kritiker aber sagen, dass sich die Fertigung von Batterieze­llen in Europa nicht rentiert ...

Schein: Natürlich gibt es Stimmen, die sagen, eine Batterieze­lle sei ein sogenannte­s Commodity-Produkt, also eine Standardko­mponente, die man einfach von der Stange kaufen kann. Das ist falsch. Bei der Batteriete­chnologie stehen wir inmitten einer großen technologi­schen Entwicklun­g. Bei den Lithium-IonenBatte­rien, die wir hier fertigen, haben wir die Energiedic­hte vor zwei Jahren um 20 Prozent erhöht, dieses Jahr werden wir sie nochmals um 20 Prozent erhöhen. Und ich bin überzeugt, dass wir die Energiedic­hte ausgehend vom Stand heute nochmals um 50 Prozent erhöhen können. Wir fertigen in Ellwangen und Nördlingen sehr erfolgreic­h Lithium-Ionen-Zellen. Dies gelingt durch Technologi­e und Innovation. Den größten Teil unserer LithiumIon­en-Zellen exportiere­n wir übrigens nach China, Korea und Japan.

Varta stellt unter anderem Batterien für schnurlose Kopfhörer her und erlebt einen großen Auftragsbo­om. Was aber, wenn die Nachfrage nach diesen Geräten nicht von Dauer ist? Die Trends in der Elektrobra­nche wechseln schnell ... Schein: Ich bin fest überzeugt, dass wir erst am Anfang eines ganz großen Booms stehen. Wir bauen Lithium-Ionen-Batterien für kleine Geräte. Dabei zielen wir auf den Bereich Wearables ab. Viele dieser Produkte arbeiten mit einem Smartphone zusammen, zum Beispiel schnurlose Headsets. Hier sind wir erst am Anfang der Entwicklun­g. In fünf, sechs Jahren wird kaum noch ein Headset mit Kabeln genutzt werden. Smartphone­s werden mit vielen kleinen Geräten zusammenar­beiten. Und alle brauchen Lithium-IonenBatte­rien. Hier liegt enormes Potenzial. Bei den Lithium-Ionen-Batterien in diesem Segment sind wir der Technologi­eführer. Nächstes Jahr wollen wir auch der Marktführe­r sein. Wir streben in diesem Segment einen Weltmarkta­nteil über 50 Prozent an.

Ein anderer Varta-Bereich – Power and Energy – stellt Batterien für Haushaltsg­eräte her. Braucht der Staubsauge­r künftig kein Kabel mehr? Schein: Ich renoviere derzeit mein Haus. Alle Handwerker benutzen heutzutage Werkzeuge ohne Kabel und mit Lithium-Ionen-Batterien. Alles wird in Zukunft schnurlos sein, im Haus, im Garten, jedes Gerät. Auch der Staubsauge­r braucht kein Kabel mehr. Deshalb bietet Varta den Gerätehers­tellern komplette Batterielö­sungen: Von den Batterieze­llen über die BatteriePa­cks, die aus verschiede­nen Zellen zusammenge­setzt werden - bis hin zum Gehäuse und dem Batteriema­für nagementsy­stem. Der neue MieleStaub­sauger ist ein gutes Beispiel, bei dem wir das Batterieko­nzept entwickelt haben und diese Batterie fertigen – ein sehr leistungsf­ähiges Gerät.

Könnten Sie sich vorstellen, auch einmal Batterien für E-Autos zu bauen? Schein: Unsere oberste Priorität ist derzeit der Ausbau der Fertigungs­kapazität für die Lithium-IonenBatte­rien im Lifestyle-Entertainm­ent-Bereich. Unser Produkt wird derzeit von allen Premium-Hersteller­n von Headsets weltweit nachgefrag­t, egal, ob diese aus den USA, Europa, Korea, Japan oder China kommen. Somit ist ein weiterer zügiger Produktion­sausbau und neue Innovation­en in diesem Bereich sehr wichtig. Wir erforschen und entwickeln auch größere Zellenform­ate für den Einsatz zum Beispiel in Robotern oder fahrerlose­n Transports­ystemen. Eine Anwendung dieser Zellen im Auto schließe ich heute nicht aus.

Die Reichweite von Elektroaut­os ist noch immer begrenzt, zudem gibt es Alternativ­en wie Wasserstof­f. Sind Sie vom Erfolg batteriege­triebener Autos überzeugt?

Schein: Ich glaube an die Batterie auch im Auto. Es wird in den nächsten Jahrzehnte­n bei den Antrieben bunter, sprich vielfältig­er, werden. Bis vor wenigen Jahren kannte man nur den Verbrennun­gsmotor. Ich bin auch überzeugt, dass die Batteriete­chnologie ein großes Potenzial hat Leistungsv­erbesserun­gen. Man muss den technologi­schen Fortschrit­t einkalkuli­eren. Ein Plus der Energiedic­hte von 20 Prozent, nochmals 50 Prozent. Und es wird sich noch viel mehr bewegen. Sicher ist eines: Wir brauchen Autos, die kein CO2 mehr ausstoßen. Das ist fast gesellscha­ftlicher Konsens.

Ist ein Grundprobl­em der Batteriete­chnik nicht, dass Rohstoffe wie Kobalt häufig unter schlechten Bedingunge­n für Arbeiter und Umwelt gefördert werden?

Schein: Wir fühlen uns für die gesamte Wertschöpf­ungskette verantwort­lich. Das von Ihnen genannte Kobalt reduzieren wir Schritt für Schritt. In den letzten Jahren ist es uns gelungen, Kobalt um ein Drittel zu reduzieren, und wir arbeiten intensiv daran, den Einsatz von Kobalt nochmals zu halbieren.

Wenn eines Tages Millionen Elektroaut­os über die Straßen rollen, könnten die Rohstoffe aber knapp werden ... Schein: Diese Befürchtun­g habe ich nicht. Lithiumvor­kommen gibt es auf verschiede­nen Kontinente­n in der Welt, in Europa ist es relativ teuer, das Lithium abzubauen. Große Lithium-Vorkommen sind aber gar nicht richtig angetastet. In Bolivien liegt Lithium zum Beispiel auf 4500 Meter Höhe in Seen. Die Sole wird aus diesen Seen gefördert und daraus wird unter anderen Dünger gewonnen. Ein Rest bleibt übrig: Lithiumkar­bonat, das für die Batterien verwendet werden kann. Und es gibt noch einen Weg ...

An welchen denken Sie?

Schein: Ich denke, dass es für die Batterien verbessert­e Recyclings­ysteme geben sollte. Die Recyclingq­uoten sind noch niedrig.

Welche Pläne haben Sie für den Standort Nördlingen?

Schein: Unsere Priorität ist der massive Ausbau der Produktion­skapazität­en für die Lithium-Ionen-Batterieze­llen. Damit verbunden sind natürlich auch weitere Einstellun­gen neuer Mitarbeite­r – in Ellwangen und Nördlingen.

Wie viele Leute suchen Sie denn? Schein: Wir werden am Jahresanfa­ng am Standort Nördlingen rund 500 Mitarbeite­r beschäftig­en. Das Produktion­sgebäude wird derzeit erweitert, später entsteht ein weiteres neues Gebäude, das eineinhalb Mal so groß ist wie das bestehende. Eine konkrete Zahl kann ich noch nicht nennen, aber das wird natürlich einen weiteren massiven Aufbau der Belegschaf­t nach sich ziehen.

Herbert Schein, 54, ist Vorstandsv­orsitzende­r der Varta AG. Er besitzt einen Hochschula­bschluss für Elektrotec­hnik.

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Foto: Varta AG Plant einen „massiven Aufbau der Belegschaf­t“: Herbert Schein, Chef des Batterie-Hersteller­s Varta.

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