Wertinger Zeitung

Die Angst vor der nächsten Grippewell­e

Gesundheit Die Erkrankung hat in der vorletzten Saison so vielen Menschen das Leben gekostet wie seit 30 Jahren nicht. Ein Vierfach-Impfstoff sollte Abhilfe schaffen. Doch es war nicht genügend vorrätig. Wie es in diesem Jahr aussieht

- VON STEFANIE GRONOSTAY

Augsburg Die ersten Patienten riefen bereits im September bei Kinderund Jugendarzt Dr. Walter Breiner in Marktoberd­orf im Ostallgäu an. Alle wollten wissen: „Ist dieses Jahr genügend Grippe-Impfstoff vorhanden?“Nach der schweren Grippewell­e mit vielen Todesfälle­n im Winter zwischen 2017 und 2018 ist der Wunsch bei den Patienten nach einem wirksamen Schutz groß. Schließlic­h war es nach den Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) die tödlichste Welle seit 30 Jahren. Doch das vergangene Jahr zeigte auch: Eine vierfache Schutzimpf­ung war nicht für alle vorrätig. Der Impfstoff wurde aufgrund der großen Nachfrage knapp. Die Impfquote verdoppelt­e sich. Viele Ärzte konnten ihre Patienten nicht mehr versorgen. Nun steht die neue Grippesais­on an und mit ihr auch eine Impfaktion, die die Anzahl der Erkrankten reduzieren soll.

„Die außergewöh­nlich starke Grippewell­e 2017 und 2018 hat nach Schätzunge­n in Deutschlan­d rund 25100 Menschen das Leben gekostet“, teilt das RKI mit. „Das ist die höchste Anzahl an Todesfälle­n seit 30 Jahren“, sagt RKI-Präsident Lothar Wieler. In Bayern erkrankten 73 073 Personen. Ein neuer Höchststan­d im Vergleich zum Vorjahr, in dem das RKI knapp 29 850 Infektione­n verzeichne­te. „Das sind laborbestä­tigte Fälle in Bayern“, erklärt Judith Petschelt von der Pressestel­le des Instituts. Ein Test werde nur bei einem kleinen Teil der Patienten durchgefüh­rt. Um die Krankheits­zahlen in der gesamten Bevölkerun­g bestimmen zu können, melden 500 Arztpraxen dem RKI wöchentlic­h ihre Patienten mit akuten Atemwegser­krankungen.

Doch warum war die Zahl der Erkrankung­en damals so hoch? Ein Grund war der damalige Impfstoff. Es war ein Dreifach-Serum, das nur teilweise half. „Das wird gar nicht mehr verwendet“, sagt Arzt Breiner. Stattdesse­n wird ein VierfachIm­pfstoff gespritzt, der sich bereits in der vergangene­n Saison bewährte. Zwischen 2018 und 2019 erkrankten nach Berechnung­en des RKI in Bayern 45750 Menschen. Das waren 40 Prozent weniger als Jahr zuvor. Es gab auch 42 Prozent weniger Grippe-Tote. „Anfang Oktober 2018 bis Mitte April 2019 verstarben in Bayern 101 Personen aufgrund ihrer Grippe-Erkrankung“, sagt Aleksander Szumilas, Pressespre­cher des Bayerische­n Landesamte­s für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL).

Verteilt wird der Grippeimpf­stoff über die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayerns (KVB). Der Fehler in der vergangene­n Saison: „Eine Firma hat damals den Zuschlag bekommen“, sagt Breiner. Die anderen durften daraufhin keinen Impfstoff mehr herstellen, weshalb es zu einem Engpass kam. „Doch die KVB hat dazugelern­t“, sagt der Marktoberd­orfer Kinderarzt. Im April kam das Schreiben in die bayerische­n Praxen, mit dem die Ärzte Impfstoff vorbestell­en konnten. Die Neuerung in diesem Jahr war, dass größere Mengen bestellt werden duften. Zudem übernehme die Krankenkas­se heuer die Impfkosten für alle Patienten, sagt Breiner.

„Ich habe jedoch mit Vorsicht bestellt“, sagt Breiner. Der Arzt konnte im April nur schwer abschätzen, wie viel Grippeimpf­stoff ein gutes halbes Jahr später benötigt werde. „Bestelle ich zu viel, drohen mir Sanktionen für den Überschuss“, sagt er. Bestelle er zu wenig, könne er seine Patienten nicht versorgen. Die Arbeitsgem­einschaft der Krankenkas­senverbänd­e in Bayern reaim gierte und sicherte den Ärzten zu, dass sie keine Regressfor­derungen bezahlen müssen, falls Impfstoff übrig bleiben sollte. „Diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, dass mehr Impfstoff zur Verfügung steht“, sagt Szumilas vom LGL.

Ein Lichtblick für den Kinderarzt, der sich durch die Verteilung im vergangene­n Jahr stark eingeschrä­nkt fühlte. „Ich hoffe, dass der Impfgedank­e bei den Patienten dadurch keinen Schaden genommen hat“, sagt Breiner. Denn die Impfung sei nicht nur für den Patienten selbst wichtig, sondern auch für den Schutz der Allgemeinh­eit. „Vor allem für chronisch Kranke und Senioren“, sagt Breiner.

Obwohl sich schon im vergangene­n Jahr viele Menschen impfen lassen wollten, sei die Impfquote immer noch zu gering. Lediglich 34 Prozent der Anspruchsb­erechtigte­n lassen sich nach Angaben des RKI impfen. Die Weltgesund­heitsorgan­isation WHO strebt eine Zielmarke von 75 Prozent an. Die Impfung ist der wichtigste Schutz, schreibt das RKI. Wie stark die kommende Grippewell­e werden wird, könne man nicht abschätzen. Eine Impfung empfiehlt das Institut allemal. „Von Mitte Oktober bis Mitte November ist der richtige Zeitpunkt“, sagt Kinderarzt Breiner. Die Impfung müsse jedes Jahr aufgefrisc­ht werden, da das Serum jede Saison neu zusammenge­setzt wird.

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte ?? Ein kleiner Stich mit großer Wirkung: Ab Mitte Oktober ist die beste Zeit, um sich gegen Grippe impfen zu lassen. Nach der großen Nachfrage im vergangene­n Jahr soll die Verteilung des Impfstoffs nun besser geregelt werden.
Foto: Julian Stratensch­ulte Ein kleiner Stich mit großer Wirkung: Ab Mitte Oktober ist die beste Zeit, um sich gegen Grippe impfen zu lassen. Nach der großen Nachfrage im vergangene­n Jahr soll die Verteilung des Impfstoffs nun besser geregelt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany