Wertinger Zeitung

Ein Leichensch­maus zu Lebzeiten

Brauch 77-Jähriger aus dem Nördlinger Ries lud seine Freunde und Bekannten zu einem Lebensfest ein, weil er mit ihnen noch einmal ausgiebig feiern wollte

- VON JOSEF KARG

Ederheim So existenzie­lle Ereignisse wie der Tod sind in Bayern seit jeher reich von Bräuchen und Traditione­n umflort. Bisweilen spannt man Leben und Tod sogar zusammen wie bei dieser Geschichte aus dem Nördlinger Ries, die von einer sehr ungewöhnli­chen Form des Leichensch­mauses handelt.

Ein wesentlich­es Merkmal einer traditione­llen katholisch­en Beisetzung ist ja bekanntlic­h das Essen hinterher. Über die Jahrhunder­te hat sich die Tradition gehalten. Oft bleiben die Trauergäst­e bis zum Abend fröhlich vereint, manchmal spielt sogar eine Blaskapell­e zum Tanz auf. Das Problem beim Leichensch­maus ist: Die Hauptperso­n kann aus nachvollzi­ehbaren Gründen nicht mehr mit dabei sein. Das wiederum wollte Hans Urban aus Ederheim bei Nördlingen so nicht akzeptiere­n. Und darum hat der 77-Jährige, der nach eigenen Angaben noch bei „guter Gesundheit“ist, kürzlich Freunde und Bekannte zu sich nach Hause eingeladen, um mit ihnen seinen eigenen Leichensch­maus als „Lebensfest“zu Schließlic­h könne einen in seinem Alter jederzeit der Tod ereilen, argumentie­rt der frühere katholisch­e Pfarrer. Da wolle er vorher noch einmal mit allen, die ihm wichtig sind, feiern und sich anständig verabschie­den. Und wie bei einem echten Leichensch­maus auch, durfte dabei das handfest Kulinarisc­he nicht fehlen. „Mit Salaten und Würsten, mit Kaffee und Kuchen war für das leibliche Wohl eines jeden gesorgt“, erzählt Urban. Über 50 Gäste begrüßte er an diesem Herbst-Nachmittag in seinem Häuschen, das auf dem Lachberg in der Gemeinde Ederheim (Landkreis Donau-Ries) steht. Die meisten hätten am Ende der Veranstalt­ung mit Reden und Musik gesagt, dass sie ihn gerne noch einmal besuchen wollten, freute sich Urban.

Was ist das für ein Mensch, der sich so ein ungewöhnli­ches Fest hat einfallen lassen? Der rote Faden durch sein Leben sei „die Veränderun­g“gewesen, sagt Urban. Er habe oft die Orte gewechselt und hatte eigenen Angaben zufolge drei Berufe. Das Stete war seine Sache also nicht. Sogar seinen Glauben hat er gewechselt. In seiner Gemeinde ist er bekannt: „Mein Markenzeic­hen ist das Fahrrad.“Von ihm könnten sich die Jugendlich­en abschauen, wie Umweltschu­tz und einfaches Leben funktionie­re, schmunzelt Urban.

Der ältere Herr wurde einst in eine Bauernfami­lie hineingebo­ren, später arbeitete er als Landwirt, danach als selbststän­diger Futtermitt­elhändler. Einem inneren Ruf folgend, hat er in der Lebensmitt­e begonnen, katholisch­e Theologie zu studieren, als Pfarrer wirkte der Schwabe in Gemeinden, bei Behinderte­n, in einer Wallfahrts­stätte und bei Obdachlose­n.

Allerdings bekam er zunehmend Zweifel an der Schöpfungs­geschichte der Bibel. War es wirklich so, wie dort berichtet wurde?, fragte sich Urban. Er änderte schließlic­h die Glaubensri­chtung und beschäftig­te sich fortan mit fernöstlic­her Mystik sowie erneut Fragen, wer Gott denn nun ist. Heute sieht er den Tod als „Vollender des Positiven“. Er selbst sei als Person „ein Tropfen im Ozebegehen. an“, formuliert es der Ex-Seelsorger fast lyrisch.

Das klingt alles ein wenig eigenbrötl­erisch, und der ein oder andere wird Urbans Lebensfeie­r und Todesphilo­sophie vielleicht belächeln. Ihm selbst aber bedeutet das Fest, bei dem auch ein befreundet­er ExPfarrer gesprochen hat, viel.

Abseits vom Dorf lebt Hans Urban auf seinem naturbelas­senen Grundstück im Ries. Dort pflanzt er Blumen und Gemüse, hält auch ein paar Hühner. Irgendwie sei der Bauer auf seine alten Tage in ihm noch einmal erwacht, berichtet er. Ein Buch hat er über seine Lebenserke­nntnisse und seine Beziehung zu Gott geschriebe­n. Seine Botschaft: Besser als viel Geld, ein großes Auto oder ein gut gefülltes Konto zu besitzen sei es, sich selbst zu entdecken, dankbar zu sein und etwas zu tun, das einen tief drinnen glücklich macht. Und weil ihm sein jüngstes Fest so gut gefallen hat und er gar nicht alle Bekannten einladen hat können, plant Urban im kommenden Jahr eine Wiederholu­ng des Leichensch­mauses zu Lebzeiten – „vorausgese­tzt, mich gibt es dann noch“, fügt er lächelnd hinzu.

Das Stete war seine Sache nicht

 ?? Foto: Rudi Michlberge­r ?? Hans Urban ist 77 Jahre alt und quickleben­dig – trotzdem hat er unlängst seinen eigenen Leichensch­maus gefeiert.
Foto: Rudi Michlberge­r Hans Urban ist 77 Jahre alt und quickleben­dig – trotzdem hat er unlängst seinen eigenen Leichensch­maus gefeiert.

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