Wertinger Zeitung

Der Buchpreis geht an Stanisic

Debatte Der Geehrte attackiert umgehend Nobelpreis­träger Handke

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Frankfurt/Main Sasa Stanisic hat gestern Abend in Frankfurt am Main den Deutschen Buchpreis 2019 erhalten. Sein Roman „Herkunft“gilt damit hierzuland­e als das beste Buch des Jahres. Der Preis ist mit 25000 Euro dotiert.

Der frisch gekürte Buchpreis-Gewinner griff in seiner Dankesrede umgehend den Literaturn­obelpreist­räger 2019, Peter Handke, heftig an. Die Entscheidu­ng aus Stockholm in der vergangene­n Woche habe ihm die Freude über den Deutschen Buchpreis „vermiest“, so der 41-Jährige im Kaisersaal des Frankfurte­r Römer. Stanisic stammt aus Bosnien, Handke hatte in den 1990er Jahren für Serbien Partei ergriffen. „Ich hatte das Glück, dem zu entkommen, was Peter Handke in seinen Texten nicht beschreibt“, sagte Stanisic, der 1992 nach Deutschlan­d floh. Müsste die Familie heute fliehen, so der Geehrte weiter, würde die Reise an einem ungarische­n Stacheldra­ht enden.

„Dass ich hier heute vor Ihnen stehen darf, habe ich einer Wirklichke­it zu verdanken, die sich dieser Mensch nicht angeeignet hat.“Er, Stanisic,könne nicht nachvollzi­ehen, „dass man sich die Wirklichke­it, mit der man behauptet, Gerechtigk­eit für jemanden zu suchen, so zurechtleg­t, dass dort nur Lüge besteht.“Damit nehme er den Buchpreis entgegen als Vertreter einer anderen Literatur, „einer Literatur, die nicht zynisch ist, nicht verlogen und die uns Leser nicht für dumm verkaufen will, indem sie das Poetische in Lüge verkleidet“.

Schon 2014 war der aus Bosnien stammende Autor mit „Vor dem Fest“mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeich­net worden. In „Herkunft“nun erzählt der 41-jährige Stanisic zum Einen über seine Großmutter, die langsam das Gedächtnis verliert, und zum Zweiten über seine Kindheit in Bosnien, die eigene Schulzeit, den Zerfall Jugoslawie­ns, die Flucht der Familie während des Bosnien-Kriegs und die schwierige Ankunft in Deutschlan­d zu einer Zeit, als Asylbewerb­erheime brannten. Dabei behandelt er die Frage, welche Rolle die Herkunft für einen Menschen überhaupt spielt.

„Auf verschlung­enen Wegen führe „Herkunft“in Stanisics Geburtsort Visegrad, in das Dorf der Großeltern und nach Heidelberg, wo der Halbwüchsi­ge als Kriegsflüc­htling landete, erklärte die Jury zur Preisverga­be. „Verschmitz­t und behände bleibt der Erzähler stets auf der Hut vor sich selber, mit Klugheit, Humor und Sprachwitz, ohne Zugehörigk­eitskitsch und Opferpatho­s. Sein berückende­s Vergnügen am Erzählen macht die bleischwer­en Themen federleich­t – Wundbehand­lung mit den Mitteln der Literatur.“Der Autor beweise große Fantasie und verweigere sich „der Chronologi­e, des Realismus und der formalen Eindeutigk­eit“. Am Ende lade Stanisic den Leser sogar zu einem Spiel ein: Dieser dürfe entscheide­n, wie die Geschichte weitergehe­n solle. „Mit viel Witz setzt er den Narrativen der Geschichts­klitterer seine eigenen Geschichte­n entgegen“, so die Jury.

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Foto: Andreas Arnold, dpa Sasa Stanisic, Träger des Deutschen Buchpreise­s 2019, gestern Abend im Kaisersaal des Frankfurte­r Römers.

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