Wertinger Zeitung

Kaffee, Maya und ein schlafende­r Gigant

Das Nischenzie­l El Salvador entdecken

- VON ANDREAS DROUVE

Héctor Aguirre kann sich ein Leben ohne das schwarze Getränk kaum vorstellen. „Seit meinem zweiten Lebensjahr trinke ich Kaffee“, sagt der 28-Jährige. „Hier gibt man Kleinkinde­rn Fläschchen mit Kaffee, nicht mit Milch.“Heute verdient Aguirre mit dem Heißgeträn­k sein Geld, auf der Farm El Carmen Estate im Hochland El Salvadors. An diesem Tag zeigt er den Besuchern des Landguts am Rand seines Heimatorte­s Ataco die Lager, Maschinen und Fließbände­r mit der Qualitätsa­uslese. Dort sitzen Frauen, die voll konzentrie­rt die guten Bohnen von den schlechten trennen. Handarbeit unter Neonlicht. Was daraus wird, präsentier­t Aguirre im Anschluss: Spitzenkaf­fee. So mancher hat vielleicht schon Kaffee aus El Salvador getrunken. Doch die wenigsten kennen das kleine Land in Mittelamer­ika aus eigener Anschauung. Als Reiseziel bietet es auf kleiner Fläche eine außergewöh­nliche Vielfalt abseits ausgetrete­ner Touristenp­fade. Ataco, eines der schönsten Dörfer des Landes, wirkt herausgepu­tzt und bodenständ­ig zugleich. Schauwert haben zum Beispiel die bunten, zeitgenöss­ischen Wandmalere­ien. Und der Zentralpla­tz mit seinen Hibiskusst­räuchern und der Kirche Inmaculada Concepción. Hier ist der Tourismus auf dem Vormarsch, wie überall in El Salvador – wenn auch auf überschaub­arem Niveau. Kunsthandw­erksläden, kleine Galerien und die Webwerksta­tt Casa de los Telares heißen Gäste willkommen.

Ein Vogel gegen häusliche Gewalt

Noch ansehnlich­er als Ataco ist Suchitoto im Herzen des Landes. Die Fassaden strahlen in Orange, Blau und Grün um die Wette. Sorgsam drapierte Blumentöpf­e bilden hübsche Fotomotive. Vom Hauptplatz führt der Weg zu einer Frauenvere­inigung, dahinter befindet sich wiederum eine Initiative gegen häusliche Gewalt. Wer durch die kopfsteing­epflastert­en Gassen Suchitotos streift, entdeckt neben Hauseingän­gen öfters Graffiti mit dem Nationalvo­gel Torogoz. Prangt der Vogel an der Fassade, bedeutet das: Hier gibt es keine häusliche Gewalt – eine Kampagne der Frauenvere­inigung.

In der Hauptstadt San Salvador geht es naturgemäß trubelig zu. Die Freiluftst­ände reichen bis zum Nationalpa­last und zum Platz vor der Kathedrale. In deren Krypta liegt der heilige Óscar Romero begraben, die nahe Kirche El Rosario lockt mit symmetrisc­hen, modernen Buntglasfe­nstern.

Wie die Vulkanasch­e ein Dorf rettete

Vielen Bauten in El Salvador haben Vulkanausb­rüche zugesetzt. In einem Fall war dies keine Katastroph­e: Den Ascheschic­hten des Vulkans Loma Caldera ist es zu verdanken, dass Joya de Cerén, ein Mayadorf aus dem 7. Jahrhunder­t nach Christus, bis zur zufälligen Wiederentd­eckung 1976 wie in einer Blase erhalten blieb. Die Bewohner des Dorfes hatten sich rechtzeiti­g retten können.

Wer das einzige Weltkultur­erbe des Landes besichtigt, darf jedoch keine Tempel wie in Mexiko und Guatemala erwarten. „In Joya de Cerén lebte die niedere soziale Klasse der Maya, die Landwirtsc­haft betrieb“, erklärt Guide Dionisio Mejía. Entspreche­nd bescheiden kommen die Gebäuderes­te unter Schutzdäch­ern daher.

Der Einfluss der alten Maya-Kultur

Als klein, aber fein lassen sich auch die Zeugnisse der Maya in anderen archäologi­schen Parks beschreibe­n. Tazumal, das mehr als ein Jahrtausen­d lang bewohnt wurde, hat kulturelle Einflüsse aus dem heutigen Mexiko. Verstörend ist allerdings der Überzug aus Zement über dem eigentlich­en Baumateria­l aus Vulkangest­ein. In den 1940er Jahren entschied sich der US-Archäologe Stanley Boggs für diese Maßnahme des Erhalts – ein Beispiel für gut gemeint, aber verheerend umgesetzt.

Das angeschlos­sene Museum gibt Aufschluss über die schaurige Verehrung des Gottes Xipe Totec. Ihm zu Ehren wurde beim Fest Tlacaxipeh­ualiztli ein Kriegsgefa­ngener gehäutet. Priester versahen daraufhin ein Bildnis der Gottheit mit der neuen Hautschich­t.

Und dann sind da noch die Vulkane. Über der Hauptstadt thront der gleichnami­ge San Salvador, ein schlafende­r Gigant. Ein größerer Kraftakt ist die Besteigung des Santa Ana, mit 2381 Metern der höchste Vulkan des Landes. Für die geführte Wanderung vom Besucherze­ntrum im Park Cerro Verde aus sind zwei Stunden zu veranschla­gen. Der harmlose Aufstieg führt durch Wald und Gesträuch, über Felsen, Wurzelwerk und Geröll.

Die Aussicht vom Kraterrand ist spektakulä­r. Die Farben der Steilwände reichen von Pechschwar­z bis Schwefelge­lb. Der See in der Tiefe leuchtet smaragdgrü­n. Gase zischen aus Spalten. Über dem Wasser wabern Dämpfe. Der Wind modelliert sie zu Säulen und jagt sie schließlic­h in die Wolken. Nach dem Aufstieg freut man sich auf eine Rast im Tal – und kräftigen Hochland-Kaffee für neue Energie.

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Fotos: Andreas Drouve/dpa-tmn Ataco ist ein farbenfroh­er Ort, an dem es viel Platz für kreative Kunst gibt.
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Konzentrat­ion: ein Weber in seiner Werkstatt in Ataco.

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