Niveauvoller Meinungswettstreit über gute Bücher
Kulturtage Das Literarische Quintett pflegt wieder einmal die Tradition. Tragisches, Amüsantes und Informatives begeistert das Publikum in Dillingen
Dillingen Es ist immer wieder amüsant und informativ, wenn das Literarische Quintett in Dillingen zur Diskussion über neue Bücher einlädt. Erneut trafen sich die fünf lesebegeisterten Diskutanten im Rahmen der Dillinger Kulturtage, um gepflegt zu streiten, punktgenau zu bewerten und das Publikum für Bücher einzunehmen, die unterschiedliche Genres bedienen.
Unter der geübten Federführung der Dillinger Büchereileiterin Brigitte Schöllhorn lief im Lesecafé ein unterhaltsamer und kurzweiliger Abend ab. Das Publikum hörte durchweg gespannt zu, wenn die fünf Literaturbegeisterten ihre Einschätzungen erörterten. „Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler“, hat ein kluger Leser einmal gesagt.
Ulrich Demmer hatte sich das Buch „Die Familie“von Andreas Maier vorgenommen, in dem sich Biografie und Zeitgeschichte kreuzen. Mit Dramatik und Wucht komme diese Familienstory daher, waren sich Demmer und Brigitte Schöllhorn einig. „Ein toller Stil“, schwärmte Erich Pawlu. Die Offenheit des Autors sei erstaunlich, so Marcus B. Hartmann, wenn dieser „der problematischen Seite“der Familie während des Dritten Reiches nachspürt. „Lesenswerte und spannende Literatur“, lautete das Fazit des literarischen Quintetts.
Ursula Poser beschäftigte sich mit dem Buch „Freetown“von Otto de Kat. Der von ihr ausgewählte Roman erzählt die nicht konfliktlose Geschichte eines niederländischen Paares, verknüpft mit dem Schicksal eines jungen Flüchtlings aus Sierra Leone. „Ein leises und poetisches Buch, das mich sehr gefesselt hat“, beschreibt Poser ihren Eindruck. Dass Männer romantisch verbrämte Bücher mit einer gewissen Skepsis betrachten, wurde bei den Einschätzungen von Erich Pawlu („Vielleicht liegt der Reiz gerade im Sentimentalen“) und Ulrich Demmer („Affären als Lebensergänzungsmittel“) deutlich. Zumindest hatten sich die Herren ein gewisses Augenzwinkern nicht verkneifen können.
Erich Pawlu bewies auch diesmal sein erstaunliches Wissen rund um Bücher und Literaten. Selbst Autor und Verfasser von zahlreichen Druckwerken sowie unzähligen Zeitungsartikeln, erklärte er eingangs, dass er mit zunehmendem Alter ein wenig die Lust am Lesen verliere, das ihm das ganze Leben lang doch so immens viel bedeutet habe. Liege das am Alter oder habe sich das Niveau der deutschen Literatur gesenkt, das frage er sich immer wieder. Die Wahl Pawlus war auf das Werk „Alles Lüge“von Joachim Lottmann gefallen. Ein Buch mit Schattenseiten sei dieses. Dabei fehle ein klares Konzept. Andererseits sei der Stoff „eine unglaublich präzise Analyse“, die eine Ideologisierung des Denkens unserer Tage beschreibe. Mehrheiten würden heute Ideologien nachlaufen, unabhängig von politischen Einstellungen, bedauerte Pawlu. Dass die Freiheit des Journalismus bedroht sei, könne man aus dem Buch „Alles Lüge“deutlich herauslesen. Das Urteil der übrigen Runde reichte von „der Autor ist ein raffinierter Hund“(Demmer) bis zur erstaunlichen „Sprachvirtuosität“des Joachim Lottmann.
Marcus B. Hartmann, selbst Autor und Musiker, nahm das Buch „Wie man ein Genie tötet“von Ingvar H. Lundquist in den Fokus. Er sei tief beeindruckt von dem Roman, der das tragische Schicksal des genialen Komponisten Hans Rott nahe an der Lebenswirklichkeit beschreibt. Dieser war 26-jährig in geistiger Umnachtung gestorben und habe mit 20 Jahren eine Sinfonie komponiert, die erst 100 Jahre später in ihrer Bedeutung richtig erkannt wurde. „Rott hat Gustav Mahler vorweggenommen“, erklärte Hartmann. Er sei nicht wirklich vom Schreibstil des Buches überzeugt gewesen; vielmehr habe ihn dieses Musikerschicksal, das vom ungerecht und wenig souverän urteilenden Johannes Brahms die Tragik aufgedrückt bekam, in den Bann gezogen worden, resümierte Hartmann. Erich Pawlu nannte den Stil des Schreibers „sehr schlecht“, wenn auch die Erzählung Tiefgang habe.
Büchereileiterin Brigitte Schöllhorn setzte mit der Besprechung des Buches „Herkunft“von Sasa Stanisic, einem gebürtigen Bosnier, den Schlusspunkt des Abends. Die versierte Literaturkennerin gab sich tief beeindruckt von diesem Lebenslauf mit schönen Sprachbildern des jungen Autors. Man brauche etwas Zeit, um mit der Story warm zu werden, doch dann öffne sich ein Kaleidoskop mit vielen Facetten und Einblicken in eine zutiefst menschliche Geschichte. Die Suche nach Heimat, dort, wo seine Wurzeln sind, zu beschreiben und dem neuen Leben in Deutschland nachzuspüren, werde vom Autor subtil beschrieben, erklärte Schöllhorn. Literatur könne auch Heimat sein, erinnerte Ulrich Demmer. Der Blick von Sasa Stanisic in die deutsche Seele sei überaus bewegend, urteilte Erich Pawlu.
Der Abend mit dem Literarischen Quintett endete mit viel Beifall eines begeisterten Publikums. Umrahmt wurde der Meinungswettstreit vom Blockflötenensemble der Musikschule Dillingen unter der Leitung von Heike Rast. Klänge mit Musik von Hans Rott hatten zur Buchbesprechung über dessen Leben eindrucksvoll übergeleitet.
„Der Autor ist ein raffinierter Hund.“
Ulrich Demmer über Joachim Lottmann