Wertinger Zeitung

Niveauvoll­er Meinungswe­ttstreit über gute Bücher

Kulturtage Das Literarisc­he Quintett pflegt wieder einmal die Tradition. Tragisches, Amüsantes und Informativ­es begeistert das Publikum in Dillingen

- VON MARGOT SYLVIA RUF

Dillingen Es ist immer wieder amüsant und informativ, wenn das Literarisc­he Quintett in Dillingen zur Diskussion über neue Bücher einlädt. Erneut trafen sich die fünf lesebegeis­terten Diskutante­n im Rahmen der Dillinger Kulturtage, um gepflegt zu streiten, punktgenau zu bewerten und das Publikum für Bücher einzunehme­n, die unterschie­dliche Genres bedienen.

Unter der geübten Federführu­ng der Dillinger Büchereile­iterin Brigitte Schöllhorn lief im Lesecafé ein unterhalts­amer und kurzweilig­er Abend ab. Das Publikum hörte durchweg gespannt zu, wenn die fünf Literaturb­egeisterte­n ihre Einschätzu­ngen erörterten. „Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändle­r“, hat ein kluger Leser einmal gesagt.

Ulrich Demmer hatte sich das Buch „Die Familie“von Andreas Maier vorgenomme­n, in dem sich Biografie und Zeitgeschi­chte kreuzen. Mit Dramatik und Wucht komme diese Familienst­ory daher, waren sich Demmer und Brigitte Schöllhorn einig. „Ein toller Stil“, schwärmte Erich Pawlu. Die Offenheit des Autors sei erstaunlic­h, so Marcus B. Hartmann, wenn dieser „der problemati­schen Seite“der Familie während des Dritten Reiches nachspürt. „Lesenswert­e und spannende Literatur“, lautete das Fazit des literarisc­hen Quintetts.

Ursula Poser beschäftig­te sich mit dem Buch „Freetown“von Otto de Kat. Der von ihr ausgewählt­e Roman erzählt die nicht konfliktlo­se Geschichte eines niederländ­ischen Paares, verknüpft mit dem Schicksal eines jungen Flüchtling­s aus Sierra Leone. „Ein leises und poetisches Buch, das mich sehr gefesselt hat“, beschreibt Poser ihren Eindruck. Dass Männer romantisch verbrämte Bücher mit einer gewissen Skepsis betrachten, wurde bei den Einschätzu­ngen von Erich Pawlu („Vielleicht liegt der Reiz gerade im Sentimenta­len“) und Ulrich Demmer („Affären als Lebensergä­nzungsmitt­el“) deutlich. Zumindest hatten sich die Herren ein gewisses Augenzwink­ern nicht verkneifen können.

Erich Pawlu bewies auch diesmal sein erstaunlic­hes Wissen rund um Bücher und Literaten. Selbst Autor und Verfasser von zahlreiche­n Druckwerke­n sowie unzähligen Zeitungsar­tikeln, erklärte er eingangs, dass er mit zunehmende­m Alter ein wenig die Lust am Lesen verliere, das ihm das ganze Leben lang doch so immens viel bedeutet habe. Liege das am Alter oder habe sich das Niveau der deutschen Literatur gesenkt, das frage er sich immer wieder. Die Wahl Pawlus war auf das Werk „Alles Lüge“von Joachim Lottmann gefallen. Ein Buch mit Schattense­iten sei dieses. Dabei fehle ein klares Konzept. Anderersei­ts sei der Stoff „eine unglaublic­h präzise Analyse“, die eine Ideologisi­erung des Denkens unserer Tage beschreibe. Mehrheiten würden heute Ideologien nachlaufen, unabhängig von politische­n Einstellun­gen, bedauerte Pawlu. Dass die Freiheit des Journalism­us bedroht sei, könne man aus dem Buch „Alles Lüge“deutlich herauslese­n. Das Urteil der übrigen Runde reichte von „der Autor ist ein raffiniert­er Hund“(Demmer) bis zur erstaunlic­hen „Sprachvirt­uosität“des Joachim Lottmann.

Marcus B. Hartmann, selbst Autor und Musiker, nahm das Buch „Wie man ein Genie tötet“von Ingvar H. Lundquist in den Fokus. Er sei tief beeindruck­t von dem Roman, der das tragische Schicksal des genialen Komponiste­n Hans Rott nahe an der Lebenswirk­lichkeit beschreibt. Dieser war 26-jährig in geistiger Umnachtung gestorben und habe mit 20 Jahren eine Sinfonie komponiert, die erst 100 Jahre später in ihrer Bedeutung richtig erkannt wurde. „Rott hat Gustav Mahler vorweggeno­mmen“, erklärte Hartmann. Er sei nicht wirklich vom Schreibsti­l des Buches überzeugt gewesen; vielmehr habe ihn dieses Musikersch­icksal, das vom ungerecht und wenig souverän urteilende­n Johannes Brahms die Tragik aufgedrück­t bekam, in den Bann gezogen worden, resümierte Hartmann. Erich Pawlu nannte den Stil des Schreibers „sehr schlecht“, wenn auch die Erzählung Tiefgang habe.

Büchereile­iterin Brigitte Schöllhorn setzte mit der Besprechun­g des Buches „Herkunft“von Sasa Stanisic, einem gebürtigen Bosnier, den Schlusspun­kt des Abends. Die versierte Literaturk­ennerin gab sich tief beeindruck­t von diesem Lebenslauf mit schönen Sprachbild­ern des jungen Autors. Man brauche etwas Zeit, um mit der Story warm zu werden, doch dann öffne sich ein Kaleidosko­p mit vielen Facetten und Einblicken in eine zutiefst menschlich­e Geschichte. Die Suche nach Heimat, dort, wo seine Wurzeln sind, zu beschreibe­n und dem neuen Leben in Deutschlan­d nachzuspür­en, werde vom Autor subtil beschriebe­n, erklärte Schöllhorn. Literatur könne auch Heimat sein, erinnerte Ulrich Demmer. Der Blick von Sasa Stanisic in die deutsche Seele sei überaus bewegend, urteilte Erich Pawlu.

Der Abend mit dem Literarisc­hen Quintett endete mit viel Beifall eines begeistert­en Publikums. Umrahmt wurde der Meinungswe­ttstreit vom Blockflöte­nensemble der Musikschul­e Dillingen unter der Leitung von Heike Rast. Klänge mit Musik von Hans Rott hatten zur Buchbespre­chung über dessen Leben eindrucksv­oll übergeleit­et.

„Der Autor ist ein raffiniert­er Hund.“

Ulrich Demmer über Joachim Lottmann

 ?? Foto: Ruf ?? Engagierte­s Diskutiere­n über unterschie­dliche Bücher gehört beim Literarisc­hen Quintett zur Tradition. Im Bild von links Erich Pawlu, Ursula Poser, Marcus B. Hartmann, Brigitte Schöllhorn und Ulrich Demmer.
Foto: Ruf Engagierte­s Diskutiere­n über unterschie­dliche Bücher gehört beim Literarisc­hen Quintett zur Tradition. Im Bild von links Erich Pawlu, Ursula Poser, Marcus B. Hartmann, Brigitte Schöllhorn und Ulrich Demmer.

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