Wertinger Zeitung

Wer gute Pflege will, braucht viel Geld

Höhere Kosten gingen bisher immer zulasten der Versichert­en und Pflegebedü­rftigen. Das System stößt an seine Grenzen. Aber wer bezahlt die Reform?

- VON JOACHIM BOMHARD bom@augsburger-allgemeine.de

Die Pflegevers­icherung ist derjenige Sozialbeit­rag, der in den vergangene­n Jahren relativ betrachtet am stärksten angehoben wurde. Sie wurde vor nahezu 25 Jahren eingeführt, um den Menschen die Sorge zu nehmen, im Fall von Pflegebedü­rftigkeit finanziell auf die staatliche Fürsorge angewiesen zu sein: Ein Instrument gegen die Armut, ein Symbol des Respekts gegenüber alten gebrechlic­hen Menschen, die ohne Hilfe nicht leben können.

Die Pflegevers­icherung wird auch über die Maßen in Anspruch genommen, sonst entstünden nicht jene Fehlbeträg­e, die nur durch permanente Beitragsst­eigerungen verhindert werden konnten. Aber sie ist kein Rundum-Sorglos-Paket, das vollkasko-mäßig sämtliche Kosten übernimmt, sondern nur – nach schwer zu durchschau­enden Kriterien – einen festgeschr­iebenen Teil. Deshalb ist die Sorge der meisten Menschen so groß, im Pflegefall ihre letzten Ersparniss­e zu verlieren. Denn sie müssen bisher den scheinbar unaufhalts­am wachsenden ungedeckte­n Restbetrag schultern. Sie fühlen sich dieser Entwicklun­g hilflos ausgeliefe­rt. Diese fundamenta­le Sorge hat das Zeug, die Staatsverd­rossenheit noch anzufeuern.

Das Reformkonz­ept der Krankenkas­se DAK könnte ein Befreiungs­schlag sein, dieses Dilemma zu beenden; für den Steuerzahl­er – das sind wir alle – ein teures dazu. Es nimmt den zu Pflegenden und ihren Angehörige­n das alleinige Kostenrisi­ko und verteilt es auf viele Schultern. Die Eigenbetei­ligung bliebe kalkulierb­ar und die Spirale der Beitragsst­eigerungen könnte gebremst werden. Es mindert die Angst, die notwendige Versorgung – ob in einer Einrichtun­g oder daheim – nicht mehr bezahlen zu können. Das DAK-Konzept macht die Pflege zu einem Element staatliche­r Daseinsfür­sorge, vergleichb­ar vielleicht mit dem Kindergeld.

Es fragt sich allerdings, ob eine derartige „Revolution“die Verhältnis­se im Pflegebere­ich tatsächlic­h verbessert. Wer sind die Profiteure? Die Pflegebedü­rftigen erwarten ja nicht nur finanziell­e Sicherheit, sondern auch eine gute Versorgung. Das kostet Geld, weil ambulante wie stationäre Pflegekräf­te nicht länger mit einem sprichwört­lichen „Hungerlohn“abgespeist werden können. Sonst macht das keiner mehr. Die Pflege darf anderersei­ts nicht zum lukrativen Geschäftsm­odell mit staatlich gesicherte­r Rendite für ein paar finanzstar­ke Betreiber verkommen.

Die Pflege ist heute eine politische Dauerbaust­elle mit großen sozialen und qualitativ­en Schwachste­llen. Sie ist naturgemäß teuer, aber nicht überall gleich gut. Eine Qualitätsk­ontrolle fand zwar jahrelang statt, besaß angesichts inflationä­r verteilter Bestnoten keinerlei Aussagekra­ft. Mit gut geführten Akten ließen sich offensicht­liche Mängel im Umgang mit dem einzelnen Menschen ausgleiche­n. Welch ein Zynismus angesichts dessen, wie viel für einen Heimplatz bezahlt werden muss. Die Neuordnung des Pflege-TÜV, deren Umsetzung gerade begonnen hat, soll künftig ein anderes, ein realistisc­heres Bild eines jeden Heimes abgeben und damit endlich den qualitativ­en Wettbewerb der einzelnen Einrichtun­gen forcieren.

Die Bundesregi­erung schraubt hier, schraubt da, ist aber eine zukunftsfä­hige Finanzieru­ng des Pflegesyst­ems bisher schuldig geblieben. Der Vorstoß der DAK, der den Vorstellun­gen der Sozialverb­ände ziemlich nahe kommt, erhöht den Druck auf Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU), einen eigenen Vorschlag auf den Tisch zu legen. Dabei ist eines klar: Wer auch in Zukunft eine gute Pflege haben will, muss viel Geld in die Hand nehmen. Finanzmini­ster Olaf Scholz könnte die Chance nutzen, sich als wahrer Sozialdemo­krat zu beweisen.

Der Druck auf die Bundesregi­erung wächst

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany