Wertinger Zeitung

Eine Frau rettet die Nacht

Natur Sabine Frank hat einen ungewöhnli­chen Job. Sie ist Lichtschut­zbeauftrag­te und kämpft rund um Fulda gegen Lichtversc­hmutzung. Was das Problem daran ist, wenn es zu hell auf der Erde wird. Und was jeder dagegen tun kann

- VON ANDREAS FREY

Fulda Wer Sabine Frank in Aktion erleben will, muss sie in der Dunkelheit treffen. In tiefschwar­zer Nacht. Erst dann wird sichtbar, was ihrer Meinung nach falsch läuft in diesem Land, was Tiere stört, Arten ausrottet, Ökosysteme aus dem Takt bringt und die Menschen um ihren Schlaf. Es ist das Licht, sagt sie dann fast verschwöre­risch. Das Licht, das die Nacht verschmutz­t und die Sterne ausknipst. Noch ist es aber nicht Nacht in Fulda an diesem Tag, die Dämmerung legt sich erst langsam über die Stadt in Osthessen.

Sabine Frank, 48, sitzt an einem Bistrotisc­h am Rande der Altstadt, vor sich ein Glas Wasser. Zum Trinken kommt sie nicht, zu aufgeregt redet sie über ihr Lieblingst­hema, die Lichtversc­hmutzung. Ihr Engagement für mehr Dunkelheit ist ein privates Anliegen, aber es ist auch ihr Job – und der ist in dieser Form einmalig: Sabine Frank ist Deutschlan­ds erste und einzige Lichtschut­zbeauftrag­te, angestellt beim Landkreis Fulda, zu dem der „Sternenpar­k Rhön“gehört. Überdies fungiert sie als Sternenpar­kkoordinat­orin. Der Sternenpar­k ist ein Lichtschut­zgebiet im Unesco-Biosphären­reservat Rhön, das sich über Teile Hessens, Bayerns und Thüringens erstreckt. Dort, im Mittelgebi­rge, findet man Orte, wo die Nacht noch Nacht sein darf und soll.

Die Straßenlat­ernen gehen an. „Viel zu früh“, raunt Sabine Frank über den Tisch. Aber über Straßenlat­ernen will sie sich an diesem Abend nicht aufregen, denn die wirklich großen Lichtversc­hmutzer seien andere. Und ja, Sabine Frank nimmt den Kampf gegen diese ziemlich persönlich. Sie sei kein Feind des Lichts, sagt sie, nur ein Feind der Lichtversc­hmutzung. Und ein Feind übertriebe­nen Sicherheit­sdenkens. „Uns wird regelrecht Angst vor der Dunkelheit gemacht.“Jede noch so abgelegene Straße werde bis in die letzten Winkel ausgeleuch­tet. Aber ist das Thema Sicherheit nicht ein berechtigt­er Einwand? Bedeutet Licht nicht Sicherheit – gerade für Frauen, die nachts unterwegs sind?

Dass Kunstlicht überhandni­mmt, bemerkte sie erstmals vor zehn Jahren auf ihren Sternentou­ren durch die Nacht. Damals nahm sie immer mehr Licht wahr. Ein Zustand, den auch die Bundesregi­erung als Problem erkannt hat. Sabine Frank ist das zu wenig, sie fordert ein bundesweit­es Lichtschut­zgesetz. In Bayern ist man in diesem Punkt bereits weiter – nachdem der Landtag im Sommer das Volksbegeh­ren zum Artenschut­z sowie das Begleitges­etz der Staatsregi­erung angenommen hatte. Samt Maßnahmen gegen die Lichtversc­hmutzung.

„Um nachtaktiv­en Tieren wie Fledermäus­en, Insekten und Zugvögeln mehr ungestörte Lebensräum­e zu bieten, werden störende Lichtquell­en reduziert“, erklärte das Umweltmini­sterium. „Himmelsstr­ahler und Einrichtun­gen mit ähnlicher Wirkung sind deshalb grundsätzl­ich unzulässig. Die Fassadenbe­leuchtung an öffentlich­en Gebäuden wird ab 23 Uhr abgeschalt­et. Im Außenberei­ch ist die Beleuchtun­g von Werbeanlag­en grundsätzl­ich untersagt.“

Um zu sehen, wie groß das Problem ist, muss man weg aus Hessen, weg aus Bayern. Muss die Perspektiv­e wechseln. Aus 824 Kilometern Höhe tastet der Wetter- und Umweltsate­llit Suomi NPP die Erdoberflä­che nicht nur nach Wolken und Regentropf­en ab, sondern auch nach Lichtquell­en. Mit seiner Hilfe lässt sich feststelle­n: Weltweit leuchten immer mehr Lichter in die Nacht. Jedes Jahr nimmt die beleuchtet­e Fläche hierzuland­e um 2,2 Prozent, in manchen Regionen sogar um über zwanzig Prozent zu, so das Ergebnis einer Studie, die vor anderthalb Jahren veröffentl­icht wurde. In den Großstädte­n ist die Nacht praktisch abgeschaff­t, die Dämmerung meist ebenfalls. Und: Lichter strahlen heute doppelt so hell wie noch vor 30 Jahren.

Fulda geht gegen diese Entwicklun­g vor. Die Stadt am Fuße des Mittelgebi­rges Rhön darf sich offiziell und als erste in Deutschlan­d „Sternensta­dt“nennen. Diese Auszeichnu­ng wurde ihr im Februar dieses Jahres von der Internatio­nal Dark-Sky Associatio­n verliehen. Die Organisati­on mit Sitz in Tucson, Arizona, kämpft seit 30 Jahren gegen die Lichtversc­hmutzung. Sie gibt Prädikate für Sternenpar­ks und Sternenstä­dte aus, um besondere Anstrengun­gen für den Schutz der Dunkelheit zu prämieren.

Das Prädikat für Fulda befindet sich im Stadtschlo­ss, das als Verwaltung­sgebäude dient. Im ersten Stock sitzt Stadtbaura­t Daniel Schreiner in seinem Büro und präsentier­t die Urkunde voller Stolz. Der junge Beamte ist verantwort­lich für das Beleuchtun­gskonzept Fuldas. Die Maßnahmen für den Schutz der Nacht seien ganz einfach, sagt er. Erstens: weniger Lichtstärk­e. Zweitens: warmes Licht. Drittens: Lampen nicht nach oben ausrichten, Strahler herunterkl­appen. Denn Licht, das in den Himmel strahle, störe alle Lebewesen. Wie einfach solche Maßnahmen umzusetzen sind, demonstrie­rt Schreiner an einer Straßenlat­erne vor dem Schloss. Fulda hat in der Altstadt bereits alle Leuchten auf LED umgerüstet. Die ist dieselbe geblieben, nur das Licht hat sich geändert. Es strahlt nicht mehr kaltweiß, sondern warmgelb, mit einer Lichttempe­ratur von weniger als 3000 Kelvin. „Die Farbe ist ganz entscheide­nd für ein modernes Lichtkonze­pt“, sagt Schreiner. Je weniger Blauanteil eine Lampe habe, desto besser sei das für die Tiere in der Stadt, vor allem für die Insekten. Auch der Mensch profitiert. Einziger Nachteil: Warmes Licht verbraucht minimal mehr Strom als die LEDs. Das ist wohl der Hauptgrund, weshalb die meisten Städte in Deutschlan­d ihre Lampen auf Leuchtdiod­en mit einer Lichttempe­ratur von 4000 Kelvin umrüsten. Das Mantra allerorten heißt Energieeff­izienz. An Ökologie denken die wenigsten.

Welche Folgen das für die Umwelt hat, untersucht der Ökologe Franz Hölker am Leibniz-Institut in Berlin, an dem eine Arbeitsgru­ppe zur Lichtversc­hmutzung und Ökophysiol­ogie eingericht­et wurde. Fast alle Lebewesen seien auf den natürliche­n Wechsel von hell und dunkel eingestell­t, erklärt er. Das Leben hat einen Takt, das Licht bestimmt den Rhythmus. „Sie gleichen Körperfunk­tionen und Verhalten mit der Tages- und Jahreszeit ab“, sagt Hölker. Der Wechsel von Tag und Nacht beeinfluss­t bei Tieren den Herzschlag, die Körpertemp­eratur, den Hormonhaus­halt sowie den Schlaf- und Wachzyklus. Außerdem bestimmt das Licht die Ruhe- und Aktivitäts­phasen, Nahrungssu­che und Fortpflanz­ung. Seit drei Milliarden Jahren geht das nun so; der Mensch brauchte nur Jahrzehnte, um alles durcheinan­derzubring­en.

Von der Lichtemiss­ion sind besonders die Gewässer betroffen, weil Licht an der Wasserober­fläche gestreut wird. Es verwirrt Käfer, Wanzen, Eintagsfli­egen, Mücken und Libellen. Kunstlicht bringt ihre innere Uhr aus dem Takt: Bei blauwellig­em Licht nehmen sie an, es sei Tag. Der britische Ökologe Callum MacGregor von der University of York sagt, Lichtversc­hmutzung sei Hauptgrund fürs Insektenst­erben.

Daniel Schreiner steht nun am Domplatz. „Sehen Sie die Oschis da drüben?“Er meint die RiesenLamp­enform scheinwerf­er, die nachts den Dom anstrahlen. Die kommen alle weg. In Fulda tauscht man immer mehr Leuchten aus, dimmt ganze Straßenzüg­e, schaltet Laternen nachts ab. Zudem wird an Radwegen mit Lichtschra­nken experiment­iert, sodass LEDs nur aufleuchte­n, wenn ein Radler daran vorbeifähr­t. Seit 2015 beschäftig­t sich Schreiner mit Lichtkonze­pten. Fulda musste, wie alle Gemeinden, eine Entscheidu­ng treffen: Wie geht es weiter, wo doch die alten Funzeln gemäß einer EURichtlin­ie durch eine energieeff­iziente Straßenbel­euchtung zu ersetzen seien? Damals bekam die Stadt, die heute 68 000 Einwohner hat, Besuch von einer Frau, die schon einen Plan hatte: Sabine Frank. Sie wurde beim Oberbürger­meister vorstellig, lautet die offizielle Version. Die Inoffiziel­le, dass sie ihn so lange bearbeitet­e, bis er sich für ein nachhaltig­es Lichtkonze­pt einsetzte. Ihr stärkstes Argument: „Sie versauen der Rhön die Nacht.“Das Biosphären­reservat, in das Fulda hineinleuc­htet, war erst im Jahr zuvor als Sternenpar­k ausgewiese­n worden.

Doch nicht nur in Fulda hat man das Problem Lichtversc­hmutzung erkannt und unternimmt etwas dagegen. Augsburg galt schon vor Jahren als Vorreiter – und Sándor Isépy wurde zu einem gefragten Mann. Bei Naturschüt­zern, Journalist­en, anderen Kommunen. Isépy war im Tiefbauamt Abteilungs­leiter für Straßenbel­euchtung. Er bewies, dass sich umwelt- und tierfreund­liche Beleuchtun­gen mit dem Energiespa­ren vereinbare­n lassen. Zum Beispiel mit einem ausgeklüge­lten Zeitschalt­system, dem Einsatz von Sensoren, dem Austausch greller Quecksilbe­rlampen. Das fand bundesweit Beachtung; 2002 berichtete sogar die Berliner taz.

Nach 23 Uhr in Fulda – dunkel genug für einen von Sabine Franks Rundgängen. Sie misst in Ortschafte­n oft nach, was dort in die Nacht strahlt. Findet taghell erleuchtet­e Parkplätze, Leuchtrekl­ame, Scheinwerf­er in Gärten, die Bäume oder Häuser anstrahlen. Um Menschen von derlei abzuhalten, klärt sie in Vorträgen über mögliche Folgen für die Gesundheit auf. Schlaf-, Herzund Kreislaufs­törungen werden diskutiert. Und weil Schlafmang­el durch Schichtarb­eit als wahrschein­lich krebsgefäh­rdend eingeschät­zt wird, bleibt ihrem Publikum auch diese Bedrohung nicht erspart. Falls das nicht verfängt, zeigt sie Fotos: Bäume im Spätherbst, die fast völlig entlaubt sind – bis auf jene Stellen, auf die Licht fällt.

Es ist inzwischen nach Mitternach­t. Mit Tempo 30 fährt Sabine Frank jetzt durch die Gegend. Irgendwann stoppt sie auf einer Anhöhe. „Das da drüben ist Silges“, sagt sie, ein Ort mit 380 Einwohnern. Die Straßenzüg­e sind in fahles Gelb getaucht, nichts blendet, nichts strahlt. Gut. Sie fährt weiter in die Rhön, biegt in einen Feldweg. Nach einer Weile hält sie, stellt den Motor ihres Autos ab, steigt aus. Auf einer Wiese bleibt Sabine Frank schließlic­h stehen und legt ihren Kopf in den Nacken. Die Sterne funkeln, Sternenbil­der sind mühelos zu erkennen, sogar die Milchstraß­e. Kein Mond, nur sie – inmitten der Nacht.

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Fotos: Nasa’s Earth Observator­y/NOAA, dpa; Sabine Frank (2), Alexander Mengel Ein Bild der Erde, das mithilfe von Daten des Satelliten Suomi NPP 2012 entstand.
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Einst machte selbst das osthessisc­he Örtchen Silges den Sternen Konkurrenz.
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Heute ist es dort deutlich dunkler. Dank anderer Straßenbel­euchtung.

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