Wertinger Zeitung

In Schweden lernen immer weniger Schüler Deutsch

Europa Unser Land gilt dort unter jungen Leuten nicht gerade als cool. Unternehme­n sehen in den geringen Deutsch-Kenntnisse­n bereits eine Gefahr für die guten Wirtschaft­sbeziehung­en. Die Handelskam­mern wollen jetzt gegensteue­rn und pumpen Geld in die Schu

- VON SARAH RITSCHEL

Stockholm König Gustav II. Adolph ist der Schwede, der in Deutschlan­d am meisten Schrecken verbreitet­e. Er war es, der im Dreißigjäh­rigen Krieg den Deutschen die Dörfer anzündete, der 1632 die bayerische­n Reichsstäd­te plünderte. Gustav Adolph war der Sohn einer deutschen Mutter, Christine von Schleswig-Holstein-Gottorf. Der Herrscher sprach Deutsch, noch bevor er Schwedisch lernte. Heute ist Deutschlan­d der wichtigste Handelspar­tner für Schweden, keine Spur von Zwist – doch immer weniger Schweden sind der deutschen Sprache mächtig. Das ist ein Problem für die Wirtschaft. Überspitzt formuliert sind es die schwedisch­en Kinder, die die guten Handelsbez­iehungen in den kommenden Jahrzehnte­n gefährden könnten, denn: Sie wollen in der Schule kein Deutsch mehr lernen.

„Vor 25 Jahren haben noch mehr als 40 Prozent der schwedisch­en Schüler Deutsch gelernt”, berichtet Aino Weber, Projektlei­terin für Stipendien bei der Deutsch-Schwedisch­en Handelskam­mer in Stockholm. Heute sind es in der Grundschul­e, die in Schweden neun Jahre dauert, nicht einmal halb so viele. Am weiterführ­enden Gymnasium hört man Deutsch nur noch aus den Mündern von drei Prozent.

„Schwedisch­e Firmen empfinden es als schwer, im deutschen Markt Fuß zu fassen, wenn ihre Mitarbeite­r kein Deutsch können”, sagt Weber. „Gerade bei ersten Anfragen an deutsche Unternehme­n ist es ein Hindernis, wenn diese nicht auf Deutsch gestellt werden.“Sie mutmaßt, „dass der Deutsche sich im Englischen nicht so bequem bewegt wie der Schwede und daher deutschspr­achige Partner bevorzugt.“Die Skandinavi­er bezeichnen Englisch gern als ihre zweite Mutterspra­che, weil zum Beispiel englischsp­rachige Filme in den Kinos für eine so kleine Sprachgrup­pe wie die zehn Millionen Schweden nicht synchronis­iert werden.

Maschinenk­omponenten, Holz, Stahl, Pappe: Bislang gehen in kein anderes Land so viele schwedisch­e wie nach Deutschlan­d. Auf die Frage, wie man den Austausch auch in Zukunft stark halten könne, hatte die schwedisch­e Finanzmini­sterin Magdalena Andersson im Jahr 2017 gesagt: „Lassen Sie uns mehr Kindern Deutsch beibringen.“

Alle fünf Jahre zeigt die große Untersuchu­ng „Deutsch als Fremdsprac­he weltweit“, wie wirtschaft­liche Beziehunge­n und die Ausbildung von Kindern in einem Land sich wechselsei­tig beeinfluss­en: In der Studie untersucht das Auswärtige Amt, wo wie viele Schüler Deutsch lernen. Den aktuellste­n Zahlen zufolge grübelten im Jahr 2015 rund 15,4 Millionen Schüler rund um den Erdball über deutschen Vokabeln. Zur Jahrtausen­dwende waren es noch gut 20 Millionen gewesen. Zwei Drittel der Kinder mit Deutsch im Stundenpla­n lernen in Europa. Nirgends waren es zuletzt so viele wie in Polen: 40 Prozent der Schüler dort wählten Deutsch. Die Nähe des Landes zu Deutschlan­d und die damit verbundene­n Zukunftsch­ancen auf dem Studien- und Arbeitsmar­kt sind die zentralen Gründe.

In Brasilien belegen der Studie zufolge mehr Kinder Deutsch denn je, die Forscher registrier­ten einen Anstieg von 30 Prozent, ebenso stiegen die Zahlen in China. Dafür gebe es mehrere Erklärunge­n, heißt es aus dem Auswärtige­n Amt. Einer davon ist die demografis­che Entwicklun­g: Je mehr die Gesellscha­ft überaltert, desto weniger DeutschNac­hwuchs gibt es. Und: Wirtschaft­liches Wachstum steigert die Nachfrage nach Fremdsprac­hen. Ein naheliegen­des Beispiel sei der Tourismuss­ektor.

In Schweden drohen andere Faktoren die seit Jahrzehnte­n stabile Wirtschaft­sbeziehung zu überlagern. „Deutschlan­d wird aus Sicht schwedisch­er Schüler sicherlich als weniger exotisch als beispielsw­eise Spanisch empfunden”, erklärt Dagmar Eickel, Leiterin der Spracharbe­it am Goethe-Institut Schweden. Fragt man unter Lehrern, sei auch das Freizeitve­rhalten der Kinder entscheide­nd: Sie fahren in den Süden Europas in den Urlaub, spaniExpor­tgüter sche Künstler stehen regelmäßig an der Spitze der Musik-Charts. Eltern berichten: „In Deutschlan­d ist alles so ähnlich wie hier in Schweden.“Deutschlan­d sei aus Sicht ihrer Kinder „einfach nicht cool“.

Das Goethe-Institut, die Deutsche Botschaft und die DeutschSch­wedische Handelskam­mer arbeiten daran, das angestaubt­e Deutschlan­d-Image aufzupolie­ren. Letztere haben jetzt ein Förderprog­ramm aufgelegt: „Deutsch – deine Wahl“.

Schulen können Geld beantragen, um mehr Schüler zum Deutschler­nen zu bewegen. „Sie nutzen unsere Fördergeld­er für Austauschp­rogramme mit deutschen Schulen, organisier­en Studienrei­sen oder Thementage“, sagt die Stipendien-Beauftragt­e Weber.

116 schwedisch­e Schulen sind schon dabei – und melden erste Erfolge: In einer Grundschul­e in Stockholm etwa habe sich die Zahl der Sechstkläs­sler, die Deutsch als zweite Fremdsprac­he wählten, innerhalb eines Jahres verdoppelt. Das macht Hoffnung.

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Foto: Tierney, stock.adobe.com Junge Schweden fremdeln mit der deutschen Sprache. Viele wollen sie nicht mehr lernen.

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