Erdogan, Rücktritt, Rassismus: Özil bricht sein Schweigen
Fußball 15 Monate nach seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekräftigt der Arsenal-Spieler seine Vorwürfe, auch gegen den DFB. Rassismus in Deutschland sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen
Berlin Mesut Özil ist „sehr glücklich“. Dieser Nebensatz, verpackt in mehreren hundert Wörtern über seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft mit den hässlichen Begleitumständen, scheint die wichtigste Botschaft. Özil würde alles wieder so machen. Auch mit 15 Monaten Abstand „weiß ich, dass es die richtige Entscheidung war“, sagt der 31-Jährige.
Erstmals spricht der Mittelfeldspieler ausgiebig über die Hintergründe, die seiner Meinung nach große Probleme in Deutschland offenlegten. „Rassismus war immer da, aber diese Situation wurde von diesen Menschen als Entschuldigung dafür genutzt, ihn auszuleben“, sagt der Profi des FC Arsenal über jenes Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und seinem Mitspieler Ilkay Gündogan, das vor der WM 2018 eine Krise ausgelöst hatte. „Nach dem Foto habe ich mich nicht mehr geschützt, nicht mehr respektiert gefühlt. Ich wurde rassistisch angegangen – sogar von Politikern und bekannten Persönlichkeiten“, sagt der Weltmeister von 2014. „Dennoch hat sich zu dieser Zeit niemand von der Nationalmannschaft vor mich gestellt und gesagt: ,Hey, das reicht. Das ist unser Spieler.‘ Jeder hat einfach geschwiegen und es geschehen lassen.“
Mit dem Getöse um das Foto im Gepäck fuhr das DFB-Team von Bundestrainer Joachim Löw damals zur WM nach Russland, wo es grandios scheiterte. Ende Juli 2018, nach Wochen des Schweigens, zog Özil den Schlussstrich – mit einer mehrteiligen Stellungnahme in den sozialen Medien, in der er den DFB und dessen damaligen Präsidenten Reinhard Grindel scharf angriff. Das DFB-Präsidium wies die Rassismus-Vorwürfe im Anschluss deutlich zurück, räumte aber auch einen falschen Umgang mit dem Foto ein. Erinnerungen an das Özil-Politikum kamen am vergangenen Wochenende auf, als Gündogan und Emre Can ein Foto des Salut-Jubels türkischer Nationalspieler im sozialen Netzwerk Instagram mit einem „Gefällt mir“markierten.
Dazu äußert sich Özil nicht, sein Blick geht zurück. „Ich musste meinem Herzen folgen und habe entschieden: Es ist Zeit, zu gehen und weiterzumachen“, sagt er. „Ich musste das alles nicht tun, und die Dinge hätten einfacher sein können, wenn ich es nicht getan hätte. Aber ich bin stark genug, hinter meinen Überzeugungen und Entscheidungen zu stehen.“Zu Deutschland habe der Spielmacher weiter „starke Verbindungen“. Willkommen scheint er sich aber nicht mehr zu fühlen.
Ausgiebig spricht Özil über die Folgen des Erdogan-Fotos, auf das er sich aber immer wieder so einlassen würde. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel damals nach London gereist wäre „und nach einem Treffen, einem Gespräch gefragt hätte, hätte ich das natürlich auch getan“, sagt er. „Es ging allein darum, Respekt vor dem höchsten Amt eines Landes zu zeigen.“Er sei im Anschluss aufs Übelste beschimpft worden, Geschäftspartner und Wohltätigkeitsorganisationen hätten sich abgewandt. Der Rassismus sei „nicht mehr länger ein Thema der Rechten“, sagt Özil, sondern „in der Mitte der Gesellschaft“angekommen.