Wie Tiere trauernden Familien helfen
Schicksale In Lauterbach begehen drei Familien die Weihnachtszeit auf eine besondere Art. Sie alle eint die Trauer um ihre Geschwister, Kinder, Ehepartner oder Eltern, die sie verloren haben. Trost finden sie bei den Tieren
In der Weihnachtszeit ist der Schmerz besonders groß, wenn ein Familienmitglied fehlt. Wie Kaninchen helfen können.
Buttenwiesen-Lauterbach Die meisten Menschen freuen sich dieser Tage auf das Weihnachtsfest. Doch für manche bedeutet der Gedanke daran nur Schmerz. Für Familien, die nicht mehr ganz sind. Die ein Mitglied betrauern, das gestorben ist. Helena Lorenz (Name von der
drückt es so aus: „In der Weihnachtszeit sieht man draußen keine einzelnen Personen mehr. Nur noch Familien.“Es wird ihr und ihren beiden Kindern schmerzlich jeden Tag aufs Neue vor Augen geführt, dass ihr Ehemann, dass Papa fehlt. Vor etwas mehr als einem Jahr starb er plötzlich und unvermittelt.
Das Leben ist nie mehr so, wie es einmal war für Kinder, die ihren Bruder, ihre Schwester, Mama oder Papa verloren haben, sagt die Psychotherapeutin Christiane Schuler. Genau wie für ihre Eltern. Doch auch nach einem schrecklichen Ereignis kann ihr Leben nicht nur aus Trauer bestehen. Es gibt schöne Momente, nach wie vor. Aber was einst schön war, weil sie es mit dem geliebten Menschen geteilt haben, kann heute eine gewaltige emotionale Herausforderung für die Hinterbliebenen sein. Weihnachten ist eine solche Herausforderung.
Deshalb muss ein Tapetenwechsel der besonderen Art stattfinden. Fünf Kinder gestalten an einem Tag um Nikolaus herum einen Stall in ein Winterparadies für Kaninchen um. Das Gehege befindet sich auf dem Reiterhofgelände Buhl in Lauterbach. Hier arbeitet Schuler oft mit Kindern, lässt sie in Kontakt mit Tieren kommen. Dies könne den trauernden Kindern Halt geben. „Tiere sind halt unerschütterlich“, sagt Schuler.
Die Kinder präparieren mit Hilfe der ebenfalls anwesenden Eltern und Großeltern das Gehege mit Weihnachtsschmuck, Tannenzweigen und natürlich vielen Mohrrüben. Die mümmelnden Tiere sollen in den kalten Tagen in ein schönes Weihnachtsdorf ziehen. Nachdem die Arbeit abgeschlossen ist, lässt Schuler die Kaninchen herein. Bald darauf wuseln Kinder und Tiere um die Erwachsenen herum. Die Kaninchen fressen den Kindern aus der Hand, manche lassen sich streicheln, manche hoppeln herum und inspizieren ihr neu dekoriertes Zuhause. „Schau Mama, ihm gefällt’s!“ruft ein Bub.
Es ist eine Szene, die fröhlich wirkt. Wüsste man nicht um die große Traurigkeit innerhalb dieser Familien, man würde sie in diesen Stunden wohl nicht erahnen. Der Kontakt mit den Tieren, er schafft sichtbar ein kleines Stück Normalität
in diesen Leben, in denen nichts mehr normal ist.
Leider würden den Kindern ähnliche Szenen von ihrem Umfeld oft verwehrt, sagt Schuler. Denn Freunde und Bekannte reagierten auf die Schicksalsschläge der Kinder oft auf die schlechtestmögliche Art: Sie meiden den Kontakt. Nicht aus bösen Absichten heraus, sondern aus Angst, etwas Falsches zu sagen, erklärt die Psychotherapeutin.
So werden die trauernden Kinder noch einmal gestraft. Sie wollen Kontakt zu anderen, wollen spielen und lachen, aus ihren trüben Gedanken herausgeholt werden. Aber ihre Freunde wenden sich oft von ihnen ab. Niemand aus ihrem Umfeld will derjenige sein, der sie durch eine vermeintlich unbedachte Bemerkung zum Weinen bringt. Nachvollziehbar, aber falsch, sagt die Expertin. „Das einzig Schlechte ist, gar nichts mehr zu dem Kind zu sagen.“
Auch der Austausch in Therapiegruppen ist nicht für alle Betroffenen geeignet. Helena Lorenz sagt: „Ich habe mich nach einer solchen Sitzung einfach nur noch trauriger gefühlt. Es hat gar nicht geholfen.“Ihrem Sohn ging es genauso. Mit einer speziell für Kinder gebildeten Trauergruppe konnte er nichts anfangen.
Die Mutter wurde dann über Umwege auf die tiergestützte Trauerbegleitung von Christine Schuler aufmerksam. Der Umgang mit Tieren fühlt sich gut an, selbst wenn nichts anderes hilft. Der Körperkontakt, aber auch das Umsorgen, Füttern oder eben das Dekorieren des Stalls wie an diesem Nachmittag. Die Tiere behandeln jeden gleich. Ihnen etwas Gutes zu tun, lässt für Familie Lorenz die Trauer eine Zeit lang beiseite rücken.
Den daraus entstandenen Kontakt mit anderen Familien hat die Mutter als etwas Besonderes empfunden. „Man sieht diesen Schmerz in den Augen, den einem niemand nehmen kann. Und man versteht diesen Schmerz.“Die Angehörigen der beiden anderen Familien trauern um Kinder, die durch Unfälle ums Leben gekommen sind.
Familien, die ein Elternteil oder ein Kind verlieren, müssen sich komplett neu finden. Die Zeit heilt diese Wunden nicht, sagt Christiane Schuler, diese alte Weisheit ist leider nicht wahr. Es ist ein sehr langer Prozess für die Trauernden, zu einer neuen Form von Normalität zu finden. Einen Schritt nach dem anderen. Oft dauert dieser Prozess viele Jahre.
Der erste Rat, den Helena Lorenz von der Psychotherapeutin bekommen hat, war es, einen Hund für die Familie ins Haus zu holen. Das tat sie, und ist jetzt über diesen Rat sehr froh. „Er hat seine Bedürfnisse, denen man gerecht werden muss. Egal, wie es einem gerade geht.“Er holt sie und die Kinder manchmal heraus aus der Trauer, zurück ins Hier und Jetzt.
Ihrem Sohn hilft er darüber hinaus noch bei der Angst um seine Mutter, die er seit dem Tod des Vaters verspürt. Er habe das Grundvertrauen verloren, sie kaum noch aus den Augen gelassen vor lauter Angst, dass auch ihr etwas zustoßen könnte. Der Hund half, diese Furcht zumindest so weit zu lindern, dass der Bub nun wieder in die Schule gehen kann.
An diesem Wochenende treffen sich die Familien noch einmal, um gemeinsam ihr Weihnachten zu begehen. Es wird gesungen, gegessen und ein Krippenspiel aufgeführt. Helena Lorenz’ Sohn wird einen Hirten spielen, der einen Esel führt, ihre Tochter einen Engel. Ein unbetrübtes Fest wird es nicht werden. Wohl aber ein schöner Moment, und ein Schritt in ein neues, normales Leben.
Die Kinder werden von ihrem Umfeld oft allein gelassen
Die Betroffenen müssen sich neu finden