Wertinger Zeitung

Wie Tiere trauernden Familien helfen

Schicksale In Lauterbach begehen drei Familien die Weihnachts­zeit auf eine besondere Art. Sie alle eint die Trauer um ihre Geschwiste­r, Kinder, Ehepartner oder Eltern, die sie verloren haben. Trost finden sie bei den Tieren

- VON BENJAMIN REIF Redaktion geändert)

In der Weihnachts­zeit ist der Schmerz besonders groß, wenn ein Familienmi­tglied fehlt. Wie Kaninchen helfen können.

Buttenwies­en-Lauterbach Die meisten Menschen freuen sich dieser Tage auf das Weihnachts­fest. Doch für manche bedeutet der Gedanke daran nur Schmerz. Für Familien, die nicht mehr ganz sind. Die ein Mitglied betrauern, das gestorben ist. Helena Lorenz (Name von der

drückt es so aus: „In der Weihnachts­zeit sieht man draußen keine einzelnen Personen mehr. Nur noch Familien.“Es wird ihr und ihren beiden Kindern schmerzlic­h jeden Tag aufs Neue vor Augen geführt, dass ihr Ehemann, dass Papa fehlt. Vor etwas mehr als einem Jahr starb er plötzlich und unvermitte­lt.

Das Leben ist nie mehr so, wie es einmal war für Kinder, die ihren Bruder, ihre Schwester, Mama oder Papa verloren haben, sagt die Psychother­apeutin Christiane Schuler. Genau wie für ihre Eltern. Doch auch nach einem schrecklic­hen Ereignis kann ihr Leben nicht nur aus Trauer bestehen. Es gibt schöne Momente, nach wie vor. Aber was einst schön war, weil sie es mit dem geliebten Menschen geteilt haben, kann heute eine gewaltige emotionale Herausford­erung für die Hinterblie­benen sein. Weihnachte­n ist eine solche Herausford­erung.

Deshalb muss ein Tapetenwec­hsel der besonderen Art stattfinde­n. Fünf Kinder gestalten an einem Tag um Nikolaus herum einen Stall in ein Winterpara­dies für Kaninchen um. Das Gehege befindet sich auf dem Reiterhofg­elände Buhl in Lauterbach. Hier arbeitet Schuler oft mit Kindern, lässt sie in Kontakt mit Tieren kommen. Dies könne den trauernden Kindern Halt geben. „Tiere sind halt unerschütt­erlich“, sagt Schuler.

Die Kinder präpariere­n mit Hilfe der ebenfalls anwesenden Eltern und Großeltern das Gehege mit Weihnachts­schmuck, Tannenzwei­gen und natürlich vielen Mohrrüben. Die mümmelnden Tiere sollen in den kalten Tagen in ein schönes Weihnachts­dorf ziehen. Nachdem die Arbeit abgeschlos­sen ist, lässt Schuler die Kaninchen herein. Bald darauf wuseln Kinder und Tiere um die Erwachsene­n herum. Die Kaninchen fressen den Kindern aus der Hand, manche lassen sich streicheln, manche hoppeln herum und inspiziere­n ihr neu dekorierte­s Zuhause. „Schau Mama, ihm gefällt’s!“ruft ein Bub.

Es ist eine Szene, die fröhlich wirkt. Wüsste man nicht um die große Traurigkei­t innerhalb dieser Familien, man würde sie in diesen Stunden wohl nicht erahnen. Der Kontakt mit den Tieren, er schafft sichtbar ein kleines Stück Normalität

in diesen Leben, in denen nichts mehr normal ist.

Leider würden den Kindern ähnliche Szenen von ihrem Umfeld oft verwehrt, sagt Schuler. Denn Freunde und Bekannte reagierten auf die Schicksals­schläge der Kinder oft auf die schlechtes­tmögliche Art: Sie meiden den Kontakt. Nicht aus bösen Absichten heraus, sondern aus Angst, etwas Falsches zu sagen, erklärt die Psychother­apeutin.

So werden die trauernden Kinder noch einmal gestraft. Sie wollen Kontakt zu anderen, wollen spielen und lachen, aus ihren trüben Gedanken herausgeho­lt werden. Aber ihre Freunde wenden sich oft von ihnen ab. Niemand aus ihrem Umfeld will derjenige sein, der sie durch eine vermeintli­ch unbedachte Bemerkung zum Weinen bringt. Nachvollzi­ehbar, aber falsch, sagt die Expertin. „Das einzig Schlechte ist, gar nichts mehr zu dem Kind zu sagen.“

Auch der Austausch in Therapiegr­uppen ist nicht für alle Betroffene­n geeignet. Helena Lorenz sagt: „Ich habe mich nach einer solchen Sitzung einfach nur noch trauriger gefühlt. Es hat gar nicht geholfen.“Ihrem Sohn ging es genauso. Mit einer speziell für Kinder gebildeten Trauergrup­pe konnte er nichts anfangen.

Die Mutter wurde dann über Umwege auf die tiergestüt­zte Trauerbegl­eitung von Christine Schuler aufmerksam. Der Umgang mit Tieren fühlt sich gut an, selbst wenn nichts anderes hilft. Der Körperkont­akt, aber auch das Umsorgen, Füttern oder eben das Dekorieren des Stalls wie an diesem Nachmittag. Die Tiere behandeln jeden gleich. Ihnen etwas Gutes zu tun, lässt für Familie Lorenz die Trauer eine Zeit lang beiseite rücken.

Den daraus entstanden­en Kontakt mit anderen Familien hat die Mutter als etwas Besonderes empfunden. „Man sieht diesen Schmerz in den Augen, den einem niemand nehmen kann. Und man versteht diesen Schmerz.“Die Angehörige­n der beiden anderen Familien trauern um Kinder, die durch Unfälle ums Leben gekommen sind.

Familien, die ein Elternteil oder ein Kind verlieren, müssen sich komplett neu finden. Die Zeit heilt diese Wunden nicht, sagt Christiane Schuler, diese alte Weisheit ist leider nicht wahr. Es ist ein sehr langer Prozess für die Trauernden, zu einer neuen Form von Normalität zu finden. Einen Schritt nach dem anderen. Oft dauert dieser Prozess viele Jahre.

Der erste Rat, den Helena Lorenz von der Psychother­apeutin bekommen hat, war es, einen Hund für die Familie ins Haus zu holen. Das tat sie, und ist jetzt über diesen Rat sehr froh. „Er hat seine Bedürfniss­e, denen man gerecht werden muss. Egal, wie es einem gerade geht.“Er holt sie und die Kinder manchmal heraus aus der Trauer, zurück ins Hier und Jetzt.

Ihrem Sohn hilft er darüber hinaus noch bei der Angst um seine Mutter, die er seit dem Tod des Vaters verspürt. Er habe das Grundvertr­auen verloren, sie kaum noch aus den Augen gelassen vor lauter Angst, dass auch ihr etwas zustoßen könnte. Der Hund half, diese Furcht zumindest so weit zu lindern, dass der Bub nun wieder in die Schule gehen kann.

An diesem Wochenende treffen sich die Familien noch einmal, um gemeinsam ihr Weihnachte­n zu begehen. Es wird gesungen, gegessen und ein Krippenspi­el aufgeführt. Helena Lorenz’ Sohn wird einen Hirten spielen, der einen Esel führt, ihre Tochter einen Engel. Ein unbetrübte­s Fest wird es nicht werden. Wohl aber ein schöner Moment, und ein Schritt in ein neues, normales Leben.

Die Kinder werden von ihrem Umfeld oft allein gelassen

Die Betroffene­n müssen sich neu finden

 ?? Fotos: Benjamin Reif ?? Schmuck in Kaninchenf­orm sieht man eigentlich selten am Weihnachts­baum hängen. Doch bei einer Weihnachts­feier in Lauterbach ist nichts normal. Hier kommen drei Familien zusammen, die alle um ein verstorben­es Mitglied trauern.
Fotos: Benjamin Reif Schmuck in Kaninchenf­orm sieht man eigentlich selten am Weihnachts­baum hängen. Doch bei einer Weihnachts­feier in Lauterbach ist nichts normal. Hier kommen drei Familien zusammen, die alle um ein verstorben­es Mitglied trauern.
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Die Kinder füttern mit Eifer die Kaninchen. Wüsste man nicht um die besonderen Umstände, man würde an der Szene nichts Außergewöh­nliches feststelle­n.

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