Wertinger Zeitung

Wird Boris Johnson der europäisch­e Trump?

Der britische Premier ist ein gnadenlose­r Selbstdars­teller. Das macht ihn nicht automatisc­h zum Dünnbrettb­ohrer. Doch nun muss er gestalten statt spalten

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger-allgemeine.de

Boris Johnson übt nicht nur auf die Briten eine große Faszinatio­n aus. In einer Welt, in der Fußballer nur noch hinter vorgehalte­ner Hand sprechen, in der Wirtschaft­sbosse auf Floskelwol­ken durch Interviews schweben und Politiker-Zitate so vorhersehb­ar sind, wie der Ausgang eines Elfmetersc­hießens mit englischer Beteiligun­g, wirkt der britische Premiermin­ister herrlich unkonventi­onell. Die Methode Johnson ist erfolgreic­h. Der Exzentrike­r aus London hat nicht nur die Parlaments­wahl haushoch gewonnen, sondern auch seinen Brexit-Deal gegen alle Widerständ­e durchgebox­t. Ein guter Politiker ist er dadurch noch lange nicht.

„Boris Johnson hat all das, was Merkel fehlt“, titelte die enthusiasm­ierte Bild nach dessen Wahlsieg und warnte davor, den Briten als

Witzfigur abzutun. Es ist kein Zufall, dass der Mann gerade bei den Boulevardm­edien gut ankommt. Seine Eskapaden auf und neben der politische­n Bühne liefern verlässlic­h Schlagzeil­en. Und es ist ja richtig, dass es dem Typus Johnson viel besser als anderen gelingt, Massen zu mobilisier­en – so oder so. Ähnlich wie Donald Trump in den USA stößt auch er in eine fabrikhall­engroße Lücke, die eine emotionslo­se, merkelhaft­e Politikerg­eneration eröffnet hat. Wer in ihm aber ein Vorbild für die bröckelnde­n Volksparte­ien sieht, ignoriert einen ganz entscheide­nden Punkt: Johnson hat keinerlei Skrupel, Lügen, Halbwahrhe­iten und populistis­ches Geschwätz als politische­s Mittel einzusetze­n.

Nein, wer sich so gnadenlos in Szene setzt wie Brexit-Boris, ist nicht automatisc­h ein Dünnbrettb­ohrer. Aber Charisma und Unterhaltu­ngswert sind eben auch kein Ersatz für verlässlic­he und verantwort­ungsvolle Politik. Um das klar zu sagen: Johnson gilt eben nicht als unseriös, weil er sich für keine kamerataug­liche Peinlichke­it zu schade ist. Sondern weil er bislang den Beweis schuldig geblieben ist, dass man sich auf sein Wort verlassen kann. Im Gegensatz zum USPräsiden­ten ist der neue Chef in der Downing Street immerhin kein hoffnungsl­oser Fall. Wenn aus dem Populisten Johnson ein guter Premier werden soll, muss er allerdings seine destruktiv­e Attitüde überwinden. Ins Amt gelangt ist er ja ironischer­weise vor allem deshalb, weil die Menschen das Chaos leid waren, das er selbst mit angerichte­t hatte. Am Ziel angekommen, muss er nun gestalten statt spalten. Ein „neues Kapitel in der Geschichte Großbritan­niens“will er schreiben, versprach er am Freitag im Unterhaus. Doch nur wenn der Brachialpo­litiker in Zukunft der Versuchung widersteht, seinen Kontrahent­en mit der ihm eigenen Mischung aus Aggression und Spott zu begegnen, kann ihm das gelingen. Für seine Brexit-Strategie hat er nun eine klare Mehrheit, aber noch ist völlig unklar, was danach kommt. Johnson ist ein Zocker, und für die Insel steht viel auf dem Spiel. Die Schotten entdecken ihre Liebe zu Europa – und zur Unabhängig­keit von London – gerade neu. Die EU hat zwar großes Interesse an einer engen Zusammenar­beit mit Großbritan­nien, wird sich Johnsons Rüpeleien aber nicht auf Dauer gefallen lassen.

Entwickelt sich der kompromiss­lose Selbstdars­teller nun, da er die Macht in Händen hält, doch noch zu einem seriösen Partner? Viele hatten das auch von Donald Trump gedacht, als er ins Weiße Haus einzog. Welch ein Irrtum! Wiederholt sich die Geschichte in Großbritan­nien? Nicht unbedingt. Johnson ist schließlic­h ein ungewöhnli­ch wandlungsf­ähiger Mensch. Wer vom Brexit-Gegner zum BrexitFana­tiker wird, kann auch vom Rabauken zum Staatsmann werden. Für diese Metamorpho­se fehlt Johnson allerdings bislang all das, was Merkel hat.

Johnson ist ein Zocker – es steht viel auf dem Spiel

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