Wird Boris Johnson der europäische Trump?
Der britische Premier ist ein gnadenloser Selbstdarsteller. Das macht ihn nicht automatisch zum Dünnbrettbohrer. Doch nun muss er gestalten statt spalten
Boris Johnson übt nicht nur auf die Briten eine große Faszination aus. In einer Welt, in der Fußballer nur noch hinter vorgehaltener Hand sprechen, in der Wirtschaftsbosse auf Floskelwolken durch Interviews schweben und Politiker-Zitate so vorhersehbar sind, wie der Ausgang eines Elfmeterschießens mit englischer Beteiligung, wirkt der britische Premierminister herrlich unkonventionell. Die Methode Johnson ist erfolgreich. Der Exzentriker aus London hat nicht nur die Parlamentswahl haushoch gewonnen, sondern auch seinen Brexit-Deal gegen alle Widerstände durchgeboxt. Ein guter Politiker ist er dadurch noch lange nicht.
„Boris Johnson hat all das, was Merkel fehlt“, titelte die enthusiasmierte Bild nach dessen Wahlsieg und warnte davor, den Briten als
Witzfigur abzutun. Es ist kein Zufall, dass der Mann gerade bei den Boulevardmedien gut ankommt. Seine Eskapaden auf und neben der politischen Bühne liefern verlässlich Schlagzeilen. Und es ist ja richtig, dass es dem Typus Johnson viel besser als anderen gelingt, Massen zu mobilisieren – so oder so. Ähnlich wie Donald Trump in den USA stößt auch er in eine fabrikhallengroße Lücke, die eine emotionslose, merkelhafte Politikergeneration eröffnet hat. Wer in ihm aber ein Vorbild für die bröckelnden Volksparteien sieht, ignoriert einen ganz entscheidenden Punkt: Johnson hat keinerlei Skrupel, Lügen, Halbwahrheiten und populistisches Geschwätz als politisches Mittel einzusetzen.
Nein, wer sich so gnadenlos in Szene setzt wie Brexit-Boris, ist nicht automatisch ein Dünnbrettbohrer. Aber Charisma und Unterhaltungswert sind eben auch kein Ersatz für verlässliche und verantwortungsvolle Politik. Um das klar zu sagen: Johnson gilt eben nicht als unseriös, weil er sich für keine kamerataugliche Peinlichkeit zu schade ist. Sondern weil er bislang den Beweis schuldig geblieben ist, dass man sich auf sein Wort verlassen kann. Im Gegensatz zum USPräsidenten ist der neue Chef in der Downing Street immerhin kein hoffnungsloser Fall. Wenn aus dem Populisten Johnson ein guter Premier werden soll, muss er allerdings seine destruktive Attitüde überwinden. Ins Amt gelangt ist er ja ironischerweise vor allem deshalb, weil die Menschen das Chaos leid waren, das er selbst mit angerichtet hatte. Am Ziel angekommen, muss er nun gestalten statt spalten. Ein „neues Kapitel in der Geschichte Großbritanniens“will er schreiben, versprach er am Freitag im Unterhaus. Doch nur wenn der Brachialpolitiker in Zukunft der Versuchung widersteht, seinen Kontrahenten mit der ihm eigenen Mischung aus Aggression und Spott zu begegnen, kann ihm das gelingen. Für seine Brexit-Strategie hat er nun eine klare Mehrheit, aber noch ist völlig unklar, was danach kommt. Johnson ist ein Zocker, und für die Insel steht viel auf dem Spiel. Die Schotten entdecken ihre Liebe zu Europa – und zur Unabhängigkeit von London – gerade neu. Die EU hat zwar großes Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit Großbritannien, wird sich Johnsons Rüpeleien aber nicht auf Dauer gefallen lassen.
Entwickelt sich der kompromisslose Selbstdarsteller nun, da er die Macht in Händen hält, doch noch zu einem seriösen Partner? Viele hatten das auch von Donald Trump gedacht, als er ins Weiße Haus einzog. Welch ein Irrtum! Wiederholt sich die Geschichte in Großbritannien? Nicht unbedingt. Johnson ist schließlich ein ungewöhnlich wandlungsfähiger Mensch. Wer vom Brexit-Gegner zum BrexitFanatiker wird, kann auch vom Rabauken zum Staatsmann werden. Für diese Metamorphose fehlt Johnson allerdings bislang all das, was Merkel hat.
Johnson ist ein Zocker – es steht viel auf dem Spiel