Wertinger Zeitung

Der Anti-Netanjahu

Israel Palastrevo­lte bei den Konservati­ven? Gideon Saar will seinen früheren Förderer stürzen und selbst regieren

- VON RUDI WAIS

Augsburg Loyalität ist ein Wert für sich bei Israels Konservati­ven. Der Likud, die Partei von Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu, hat seit der Staatsgrün­dung 1948 gerade einmal vier Vorsitzend­e benötigt. Den amtierende­n Parteichef infrage zu stellen, ihn gar offen herauszufo­rdern: Das ist für viele Mitglieder des Likud schon eine Art politische Majestätsb­eleidigung. Gideon Saar wagt es trotzdem: In einer Urwahl will er am 26. September Netanjahu als Likud-Anführer ablösen und selbst als Spitzenkan­didat in die Wahl Anfang März ziehen, die dritte innerhalb von nur elf Monaten.

Unter anderen Umständen, in einer anderen Zeit hätte der frühere Bildungs- und Innenminis­ter nicht den Hauch einer Chance gegen den gewieften Taktiker Netanjahu. Nachdem die Staatsanwa­ltschaft den Ministerpr­äsidenten jedoch der Korruption bezichtigt und das Land auch nach zwei Wahlen kurz hintereina­nder keine funktionie­rende Regierung

hat, könnte der 53-jährige Saar nun der Mann sein, der das politische Patt auflöst und eine Koalition mit der Mitte-Rechts-Partei „Blau-Weiß“des früheren Generalsta­bschefs Benjamin Gantz schmiedet. Eine solche Koalition hätte zwar auch jetzt schon eine Mehrheit. Gantz aber weigert sich, mit einem Mann zu koalieren, gegen den ein Ermittlung­sverfahren läuft.

Netanjahu, den in Israel alle „Bibi“nennen, habe es viermal geschafft, den Likud an die Macht zu bringen, sagt selbst sein Rivale Saar anerkennen­d. „Aber ein fünftes Mal wird es nicht geben. Ein Votum für Netanjahu ist ein Votum für den nächsten Opposition­schef.“Er dagegen sei, anders als „Bibi“, in der Lage, das Land wieder zu einen. Schon im Herbst, als noch gar nicht klar war, ob Netanjahu überhaupt angeklagt werden würde, hatte der frühere Netanjahu-Intimus öffentlich angekündig­t: „Ich bin bereit.“

Es wäre ein Comeback mit langem Vorlauf. Im September 2014 hatte Saar sich aus der Politik zurückgezo­gen – mit der Begründung, er wolle sich mehr um seine Familie kümmern. Der Jurist aus Tel Aviv ist in zweiter Ehe mit einer bekannten Fernsehjou­rnalistin verheirate­t und hat insgesamt vier Kinder und ein Enkelkind. Tatsächlic­h jedoch dürfte Saar unter Netanjahu keine Chancen mehr für sich gesehen haben, nachdem er sich in einer parteiinte­rnen Auseinande­rsetzung auf die Seite des heutigen Staatspräs­identen Reuwen Rivlin geschlagen hatte, was sein Förderer Netanjahu damals als Affront empfand und einen regelrecht­en Privatkrie­g gegen ihn anzettelte. Erst zur Parlaments­wahl im April trat Saar dann wieder an. Seitdem sitzt er wieder als einfacher Abgeordnet­er in der Knesset.

Politisch unterschei­det die beiden so viel nicht. Wie Netanjahu kennt auch Saar in Sicherheit­sfragen keine Kompromiss­e, anders als der amtierende Parteichef und Ministerpr­äsident hält er die berühmte ZweiStaate­n-Lösung für Israelis und Palästinen­ser aber für nicht viel mehr als einen frommen Wunsch. Ein solches Konstrukt, sagt Saar, sei „eine Illusion.“Es gebe genügend gescheiter­te Staaten im Nahen Osten, er sehe daher keine Notwendigk­eit, noch einen Staat zu gründen, der sich nicht selbst erhalten könne und Israel täglich neu bedrohe. In gesellscha­ftlichen Fragen dagegen denkt Saar eher liberal, was ihn auch bei Wählern beliebt macht, die deutlich links von Netanjahus Kurs stehen. Sein großes Vorbild, sagt der Kandidat selbst, sei Staatsgrün­der David Ben Gurion, mit dem ihn auch persönlich viel verbindet: Gideon Saars Vater, ein Einwandere­r aus Argentinie­n, war in den sechziger Jahren der Leibarzt von Ben Gurion.

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Foto: Ilia Yefimovich, dpa Von der Zwei-Staaten-Lösung hält er nichts: Der frühere Bildungs- und Innenminis­ter Gideon Saar will neuer Ministerpr­äsident werden.

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