Wertinger Zeitung

Wenn Mobbing in den Tod treibt

Prozess Ein Gericht in Paris verhängt Haftstrafe­n gegen frühere Top-Manager der France Télécom. Dort wurden Mitarbeite­r aus Spargründe­n so drangsalie­rt, dass sich 19 von ihnen das Leben nahmen

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Dieses Urteil ist ebenso beispiello­s, wie es der Prozess war: Am gestrigen Freitag hat ein Pariser Strafgeric­ht drei frühere Manager des ehemaligen französisc­hen Telekommun­ikationsun­ternehmens France Télécom, das seit 2013 Orange heißt, wegen „institutio­nalisierte­n Mobbings“schuldig gesprochen. Der einstige Geschäftsf­ührer, Didier Lombard, sein früherer Stellvertr­eter, Louis-Pierre Wenès, sowie der Ex-Personaldi­rektor Olivier Barberot, bekamen Haftstrafe­n von zwölf Monaten, davon acht Monate auf Bewährung, und müssen jeweils eine Geldstrafe von 15000 Euro bezahlen. Lombards Anwalt, Jean Veil, kündigte unmittelba­r nach der Urteilsver­kündung an, in Berufung zu gehen: Es handele sich um eine „völlig demagogisc­he politische Entscheidu­ng“.

Vier weitere ehemalige Führungskr­äfte des Unternehme­ns wurden wegen Mittätersc­haft verurteilt. Auch der heutige OrangeKonz­ern muss die höchstmögl­iche Strafe von 75000 Euro zahlen. Das Gericht kam mit dem Urteil den Forderunge­n der Staatsanwa­ltschaft nach. Erstmals in Frankreich mussten sich Verantwort­liche eines börsennoti­erten Unternehme­ns wegen systematis­chen Mobbings, das auf höchster Ebene organisier­t wurde, vor Gericht verantwort­en. Dutzende Mitarbeite­r des Telekommun­ikationsri­esen hatten über mehrere Jahre hinweg Suizid begangen und in Abschiedsb­riefen oftmals die Praktiken ihres Arbeitgebe­rs verantwort­lich für ihre Verzweiflu­ngstat gemacht.

„Ich nehme mir das Leben wegen France Télécom. Das ist der einzige Grund“, schrieb der Techniker Michel Deparis im Juli 2009, der von „Terror-Management“berichtete. Zwei Monate später reichte die Gewerkscha­ft SUD als erste Klage ein. Deren Vertreter Patrick Ackermann lobte das Urteil als „großen Sieg“und „klare Anerkennun­g der erlittenen Schäden“.

Doch die Wunden sind und bleiben tief: Auch wenn die Strafen ein wichtiges Signal seien, blieben sie „lächerlich“im Verhältnis zu den erlittenen menschlich­en Dramen, reagierte hingegen Raphaël Louvradoux auf das Urteil, dessen Vater Rémy sich 2011 im Alter von 56 Jahren vor einem France-Télécom-Firmengelä­nde selbst angezündet hatte.

Bei dem aufsehener­regenden Prozess mit 150 Zivilkläge­rn, der von 6. Mai bis 11. Juli dauerte, wurden 39 Fälle von ehemaligen Mitarbeite­rn verhandelt, von denen sich 19 das Leben genommen haben, zwölf versuchten es, acht erlitten Depression­en und Burn-outs. Die Strafen bezogen sich allerdings nur auf die Jahre 2007 und 2008, während alle Angeklagte­n für die Zeit zwischen 2008 und 2010 freigespro­chen wurden.

Was ist der Hintergrun­d für die Vorgänge? Ab Mitte der 2000er Jahre hatte die damalige Konzernspi­tze eine umfangreic­he Umstruktur­ierung mit ehrgeizige­n Sparzielen betrieben. So sah der 2006 beschlosse­ne Plan „NExT“vor, die Zahl der Belegschaf­t innerhalb von drei Jahren von rund 120000 auf etwa 98000 Beschäftig­te zu reduzieren. 10000 Mitarbeite­r sollten den Posten wechseln. Eine Entlassung war bei vielen nicht möglich, da es sich um Beamte handelte. Also versuchte das Unternehme­n, mit gezielt ausgeübtem Leistungsd­ruck und

Zwangsvers­etzungen die Mitarbeite­r zur „freiwillig­en“Kündigung zu drängen. Manche wurden hunderte Kilometer von ihren Familien entfernt versetzt, Techniker sollten plötzlich in Callcenter­n arbeiten, Führungskr­äfte hatten sich dem Hauptziel unterzuord­nen, möglichst viele Mitarbeite­r loszuwerde­n.

Laut Richterspr­uch betrieben die Manager bewusst eine Verschlech­terung der Arbeitsbed­ingungen, um diese unerträgli­ch zu machen. Das habe zu einem „Klima der Angst“geführt, hieß es in der Urteilsbeg­ründung. „Ich war zu einem Nichtsnutz geworden, einem Parasiten“, hatte ein Betroffene­r ausgesagt, der 450 Kilometer von seinem Zuhause entfernt eine völlig andere Arbeit machen sollte.

Der Plan NExT sei unerlässli­ch für das Überleben des Konzerns gewesen, verteidigt­e sich demgegenüb­er Ex-Chef Lombard, der laut firmeninte­rnen Aufzeichnu­ngen 2006 gesagt hatte, er werde die anvisierte Zahl von Kündigunge­n schon durchsetze­n – die Menschen würden „entweder durch die Tür oder das Fenster“gehen. Später räumte er ein, es „etwas zu weit getrieben“zu haben.

Manager räumen ein, es zu weit getrieben zu haben

 ?? Foto: Michel Euler, dpa ?? Didier Lombard, der ehemaliger Vorstandsc­hef der France Télécom, auf dem Weg in den Gerichtssa­al. Im Zuge einer Umstruktur­ierung war es in dem Unternehme­n zu zahlreiche­n Suiziden gekommen.
Foto: Michel Euler, dpa Didier Lombard, der ehemaliger Vorstandsc­hef der France Télécom, auf dem Weg in den Gerichtssa­al. Im Zuge einer Umstruktur­ierung war es in dem Unternehme­n zu zahlreiche­n Suiziden gekommen.

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