Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (30)
Eine Verbindung des preußischen Rittmeisters Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg
Wie heißt denn jetzt der Ruppinsche?“
„Na, wie sall he heten? He heet ümmer noch so. Is joa ümmer noch de oll Bienengräber.“
„Bei dem bin ich ja eingesegnet. War immer ein sehr guter Mann.“
„Joa, dat is he. Man blot, he hett keene Teihn mihr, ook nich een’, un nu brummelt un mummelt he ümmerto, un keen Minsch versteiht em.“
„Das ist gewiß nicht so schlimm, Mutter Kreepschen. Aber die Leute haben immer was auszusetzen. Und nun gar erst die Bauern! Ich will hingehen und mal wieder nachsehen, was mir der alte Bienengräber zu sagen hat, mir und den andern. Hat er denn noch in seiner Stube das große Hufeisen, dran ein Zehnpfundgewicht hing? Das hab ich mir immer angesehen, wenn ich nicht aufpaßte.“
„Dat woahrd he woll noch hebben. De Jungens passen joa all’ nich upp.“Und nun ging sie, um ihren jungen Herrn nicht länger zu stören,
und versprach, ihm ein Gesangbuch zu bringen. Schach hatte guten Appetit und ließ sich die Herzberger Semmeln schmecken. Denn seit er Berlin verlassen, war noch kein Bissen über seine Lippen gekommen. Endlich aber stand er auf, um in die Gartentür zu treten, und sah von hier aus über das Rundell und die Buchsbaumrabatten und weiter dahinter über die Baumwipfel des Parkes fort, bis sein Auge schließlich auf einem sonnenbeschienenen Storchenpaar ausruhte, das unten, am Fuße des Hügels, über eine mit Ampfer und Ranunkeln rot und gelb gemusterte Wiese hinschritt.
Er verfiel im Anblicke dieses Bildes in allerlei Betrachtungen; aber es läutete gerade zum dritten Male, und so ging er denn ins Dorf hinunter, um von dem herrschaftlichen Chorstuhl aus zu hören, ,was ihm der alte Bienengräber zu sagen habe.‘ Bienengräber sprach gut genug, so recht aus dem Herzen und der Erfahrung heraus, und als der letzte Vers gesungen und die Kirche wieder leer war, wollte Schach auch wirklich in die Sakristei gehen, dem Alten danken für manches gute Wort aus längst vergangener Zeit her und ihn in seinem Boot über den See hin zurückbegleiten. Unterwegs aber wollt er ihm alles sagen, ihm beichten und seinen Rat erbitten. Er würde schon Antwort wissen. Das Alter sei allemal weise, und wenn nicht von Weisheit, so doch bloß schon von Alters wegen. „Aber“, unterbrach er sich mitten in diesem Vorsatze, „was soll mir schließlich seine Antwort? Hab ich diese Antwort nicht schon vorweg? Hab ich sie nicht in mir selbst? Kenn ich nicht die Gebote? Was mir fehlt, ist bloß die Lust, ihnen zu gehorchen.“
Und während er so vor sich hinredete, ließ er den Plan eines Zwiegesprächs fallen und stieg den Schloßberg wieder hinauf. Er hatte von dem Gottesdienst in der Kirche nichts abgehandelt, und doch schlug es erst zehn, als er wieder oben anlangte. Hier ging er jetzt durch alle Zimmer, einmal, zweimal, und sah sich die Bilder aller der Schachs an, die zerstreut und in Gruppen an den Wänden umherhingen. Alle waren in hohen Stellungen in der Armee gewesen, alle trugen sie den Schwarzen Adler oder den pour le mérite. Das hier war der General, der bei Malplaquet die große Redoute nahm, und das hier war das Bild seines eigenen Großvaters, des Obersten im Regiment Itzenplitz, der den Hochkirchner Kirchhof mit vierhundert Mann eine Stunde lang gehalten hatte. Schließlich fiel er, zerhauen und zerschossen, wie alle die, die mit ihm waren. Und dazwischen hingen die Frauen, einige schön, am schönsten aber seine Mutter.
Als er wieder in dem Gartensalon war, schlug es zwölf. Er warf sich in die Sofaecke, legte die Hand über Aug und Stirn und zählte die Schläge. „Zwölf. Jetzt bin ich zwölf Stunden hier, und mir ist, als wären es zwölf Jahre ... Wie wird es sein? Alltags die Kreepschen und Sonntags Bienengräber oder der Radenslebensche, was keinen Unterschied macht. Einer wie der andre. Gute Leute, versteht sich, alle gut ... Und dann gehe ich mit Victoire durch den Garten, und aus dem Park auf die Wiese, dieselbe Wiese, die wir vom Schloß aus immer und ewig und ewig und immer sehen und auf der der Ampfer und die Ranunkeln blühen. Und dazwischen spazieren die Störche. Vielleicht sind wir allein; aber vielleicht läuft auch ein kleiner Dreijähriger neben uns her und singt in einem fort: ,Adebar, du Bester, bring mir eine Schwester‘. Und meine Schloßherrin errötet und wünscht sich das Schwesterchen auch. Und endlich sind elf Jahre herum, und wir halten an der ,ersten
Station‘, an der ersten Station, die die ,stroherne Hochzeit‘ heißt. Ein sonderbares Wort. Und dann ist auch allmählich die Zeit da, sich malen zu lassen, malen zu lassen für die Galerie. Denn wir dürfen doch am Ende nicht fehlen! Und zwischen die Generäle rück ich dann als Rittmeister ein, und zwischen die schönen Frauen kommt Victoire. Vorher aber hab ich eine Konferenz mit dem Maler und sag ihm: ,Ich rechne darauf, daß Sie den Ausdruck zu treffen wissen. Die Seele macht ähnlich.‘ Oder soll ich ihm geradezu sagen: ,Machen Sie’s gnädig‘… Nein, nein!“
Fünfzehntes Kapitel Die Schach und die Carayons
Was immer geschieht, geschah auch diesmal: die Carayons erfuhren nichts von dem, was die halbe Stadt wußte. Dienstag, wie gewöhnlich, erschien Tante Marguerite, fand Victoiren ,um dem Kinn etwas spitz‘ und warf im Laufe der Tischunterhaltung hin: „Wißt ihr denn schon, es sollen ja Karikatüren erschienen sein?“
Aber dabei blieb es, da Tante Marguerite jenen alten Gesellschaftsdamen zuzählte, die nur immer von allem ,gehört haben‘, und als Victoire fragte: „ Was denn, liebe Tante?“wiederholte sie nur:
„Karikatüren, liebes Kind. Ich weiß es ganz genau.“Und damit ließ man den Gesprächsgegenstand fallen.
Es war gewiß ein Glück für Mutter und Tochter, daß sie von den Spott- und Zerrbildern, deren Gegenstand sie waren, nichts in Erfahrung brachten; aber für den Drittbeteiligten, für Schach, war es ebenso gewiß ein Unglück und eine Quelle neuer Zerwürfnisse. Hätte Frau von Carayon, als deren schönster Herzenszug ein tiefes Mitgefühl gelten konnte, nur die kleinste Vorstellung von all dem Leid gehabt, das, die ganze Zeit über, über ihren Freund ausgeschüttet worden war, so würde sie von der ihm gestellten Forderung zwar nicht Abstand genommen, aber ihm doch Aufschub gewährt und Trost und Teilnahme gespendet haben; ohne jede Kenntnis jedoch von dem, was inzwischen vorgefallen war, aigrierte sie sich gegen Schach immer mehr und erging sich von dem Augenblick an, wo sie von seinem Rückzug nach Wuthenow erfuhr, über seinen ,Wort- und Treubruch‘, als den sie’s ansah, in den heftigsten und unschmeichelhaftesten Ausdrücken. Es war sehr bald, daß sie von diesem Rückzüge hörte. Denselben Abend noch, an dem Schach seinen Urlaub angetreten hatte, ließ sich Alvensleben bei den Carayons melden.