Kommen sie vor Weihnachten frei?
Justiz Zwei Wochen nach der Gewalttat vom Augsburger Königsplatz entscheidet das Landgericht über die Haftbeschwerden. Das wird schwierig. Denn es gibt offene Fragen und ein paar Zweifel
Augsburg Als die Stadt Augsburg die Tat vom Königsplatz in einer Traueranzeige einen „tragischen Vorfall“nannte, erntete sie einen Sturm der Entrüstung. Wie kann man diesen „Mord“oder „Totschlag“so herunterspielen, lautete zusammengefasst die Kritik aus teils einschlägigen Kreisen. Nun kann man der Stadt vielleicht vorwerfen, zu wenig Empathie gezeigt zu haben. Oberbürgermeister Kurt Gribl hat bereits gesagt, dass der Begriff „Gewalttat“besser gewesen wäre. Man kann der Stadt aber nicht vorwerfen, dass sie in einer Traueranzeige keine juristische Bewertung des Geschehens vornimmt. Wer wollte, wer könnte das zu diesem frühen Zeitpunkt tun?
Und doch müssen sich drei Berufsrichter des Landgerichts Augsburg zwei Wochen nach dem gewaltsamen Tod eines 49 Jahre alten Berufsfeuerwehrmannes am Königsplatz schon sehr intensiv mit der Frage auseinandersetzen, was genau geschehen ist und wer der Beteiligten, welchen Beitrag zu der Eskalation geleistet hat. Die drei Richter der Jugendkammer müssen entscheiden, ob sechs der sieben Heranwachsenden in U-Haft bleiben. Das werden sie sehr bald tun. Nach den Haftbeschwerden hat der Vorsitzende Richter Lenart Hoesch den Verteidigern eine Frist zur Stellungnahme bis
Montagfrüh um acht Uhr gegeben. Vieles spricht dafür, dass die Richter ihre Entscheidung noch am Montag treffen – vor Weihnachten.
Die Ermittlungsrichterin am Amtsgericht hatte gegen alle Beteiligten Haftbefehl erlassen und dies mit dem Verdacht des Totschlags, beziehungsweise der Beihilfe dazu sowie mit Flucht- und Verdunklungsgefahr begründet. Ob dies alles so haltbar ist, müssen die Kollegen vom Landgericht prüfen. Sie werden dabei alle verwertbaren Fakten und Zeugenaussagen zurate ziehen. Sie werden sich die verschiedenen Videoaufzeichnungen von der Tat genau ansehen. Und dann könnte es sein, dass sie in einigen Punkten Zweifel bekommen.
Denn vor allem die stationäre Überwachungskamera vom Königsplatz zeigt das Geschehen offenbar recht deutlich. So sind die beiden Paare schon an der Gruppe Heranwachsender vorbei, als das spätere Opfer umkehrt und auf die Gruppe zugeht. Es gibt eine Schubserei, dann fällt der tödliche Schlag. Er kommt vom 17-jährigen Halid S. Dieser eine Schlag ist die Ursache für den Tod, das hat die Obduktion bestätigt. Offenbar ist dadurch eine Schlagader geplatzt. Danach gibt es noch eine kurze Schlägerei mit dem Freund des Todesopfers, der einen Jochbeinbruch erleidet. Anschließend flüchten die jungen Männer.
Das spätere Todesopfer wurde also nur von einem Angreifer geschlagen. Halid S., der junge Mann mit der deutschen, türkischen und libanesischen Staatsbürgerschaft, wird des Totschlags beschuldigt. Juristisch heißt das, er müsste bei seinem Schlag den Tod des Opfers vorsätzlich gewollt oder zumindest in Kauf genommen haben. Allen anderen wirft die Staatsanwaltschaft Beihilfe vor. Sie beruft sich auf eine „psychische Beihilfe“, die so zwar nicht im Strafgesetzbuch steht, die es aber nach allgemeiner Rechtsprechung gibt. „Das kann zum Beispiel ein Anfeuern sein oder auch ein Umzingeln“, erklärt der Augsburger Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel, „die bloße Anwesenheit am Tatort ist keine psychische Beihilfe“.
Auch die Verteidiger haben inzwischen die wesentlichen Videos gesehen und sind einhellig derselben Meinung, die Rechtsanwalt Moritz Bode ausspricht: „Der Vorwurf der Beihilfe ist nicht haltbar.“Sein Mandant sei zum Zeitpunkt des Schlages sogar etwa zehn Meter entfernt gestanden und habe den tödlichen Schlag gar nicht mitbekommen. So stellt es auch Anwalt Helmut Linck für seinen Mandanten dar. Verteidiger Werner Ruisinger sagt, er könne auf den Videos nicht sehen, dass das Opfer regelrecht umzingelt worden sei. Rechtsanwalt Walter Rubach, der den jungen Italiener verteidigt, der wohl mit der Frage nach einer Zigarette das Drama auslöste, sagt: „Nach Ansicht des Videos kann ich nicht im Ansatz erkennen, dass mein Mandant Beihilfe zum Totschlag geleistet hat, er hat sich sogar eher passiv verhalten.“Es wird keine einfache Entscheidung für die drei Richter der Jugendkammer.
Neben der Frage, ob es eine Beihilfe war, bleibt auch die Frage: Beihilfe wozu? „Ein Mord ist es nach allem, was bekannt ist, nicht“, erläutert Rechtsprofessor Kubiciel, „es liegt kein Mordmerkmal vor“. Ob Halid S. einen Totschlag begangen hat, also den Tod des Opfers gewollt oder in Kauf genommen hat, wird ein Prozess zeigen. Infrage kommt auch die „Körperverletzung mit Todesfolge“. Die liegt vor, wenn der Tod des Opfers die unbeabsichtigte Folge einer Körperverletzung ist.
Wie auch immer die Jugendkammer über die Haftbeschwerden entscheidet, ihre Einschätzung wird – ob die Richter das wollen oder nicht – ein wichtiger Fingerzeig sein, wie es in diesem Verfahren weitergeht. Und die Entscheidung wird wahrscheinlich auch wieder bösartige Kommentare nach sich ziehen – egal, wie sie ausfällt. Die Verteidiger berichten jedenfalls, dass auch sie zum Ziel von Hassmails und Anfeindungen geworden sind. „Und das nur, weil wir unseren Job machen“, sagt Moritz Bode.