Wertinger Zeitung

Gewebt und wie gemalt

Gobelins Wie sich die Künstler der Moderne von Wandteppic­hen fasziniere­n ließen, zeigt die Kunsthalle München in einer Ausstellun­g

- VON BARBARA REITTER

München Hier heißt es Abschied nehmen vom tradierten Klischee des Gobelins als dekorative­r Wandschmuc­k in französisc­hen Schlössern, jenen gewebten Tapisserie­n mit Schlachten­darstellun­gen, die hauptsächl­ich der Repräsenta­tion dienten. Denn was die Kunsthalle München derzeit unter dem Titel „Die Fäden der Moderne“zeigt, führt das Kunsthandw­erk nicht etwa als Nischenthe­ma vor, sondern nobilitier­t es jenseits aller Hierarchie­n zu einer eigenständ­igen Kunstform. Wer sich vorurteils­los durch die Ausstellun­gskabinett­e und Säle bewegt, wird überwältig­t sein von der Stilvielfa­lt dieser textilen Bildträger – und ihrer Verwendung als Teppich, Wandbespan­nung oder Möbelbesto­ff.

Natürlich spielt die politische Repräsenta­tion der Grande Nation bei diesem seit 400 Jahren in Frankreich gepflegten Medium bis in die 1930er, 40er Jahre eine wichtige Rolle. Doch auch heute dienen die kunstvoll gewebten Unikate der Pariser Manufactur­e des Gobelins der Ausstattun­g von Botschafte­n und Ministerie­n. An jedem dieser oft riesigen Werke arbeitet ein ganzes Team mehr als fünf Jahre, was die Exklusivit­ät noch erhöht. Dass sie erstmals in dieser Fülle in Deutschlan­d gezeigt werden, steigert den Reiz – auch wenn man zu Beginn der in neun Kapitel gegliedert­en Präsentati­on erst einmal mit ungewöhnli­chen Sujets konfrontie­rt wird.

Während ein Kanapee mit Kanonen-Deko, ein Sessel mit Kampfflieg­er so gewöhnungs­bedürftig ist wie Marschall Pétain hoch zu Ross, kann man sich der Faszinatio­n des Pyrenäen-Triptychon­s von Edmond Yarz nicht entziehen. Jean Lurcat wiederum, der nach dem Zweiten Weltkrieg in den Werkstätte­n von Aubusson die Renaissanc­e der Tapisserie einleitete, nutzte textile

Bildträger für seine Aktivitäte­n in der Résistance. Zur Zeit der deutschen Besatzung mussten die Manufaktur­en für Nazis wie Hermann Göring arbeiten – Gott sei Dank ist von der auf 72 Quadratmet­er geplanten monumental­en Scheußlich­keit nur ein Teil zu sehen.

Aufregend wird es mit den Künstlern der klassische­n Moderne und aktuellen Positionen, von denen eine fotorealis­tisch einen 2 CV zeigt, eine andere die Digitalisi­erung optisch in Pixel umsetzt. Bei manchen Werken sind die Wollfäden so genial gewebt, dass man als Betrachter Pinselstri­che sieht. Sensatione­ll in ihrer ästhetisch­en Kraft und verführeri­schen Haptik die „Lautenspie­lerin“von Matisse, Picassos „Frauen bei ihrer Toilette“, aber auch abstrakte Kompositio­nen von Miró und Calder, Légers schwere Frauenkörp­er, die skulptural­en Formen von Chillida oder Vasarelys Op-Art-Vexierbild­er mit ihrem unglaublic­hen Effekt der Dreidimens­ionalität. Man begegnet der Stilvielfa­lt der verschiede­nen Kunstricht­ungen seit dem Ersten Weltkrieg, die der Malerei in nichts nachsteht - und erliegt dem textilen Charme dieser Kompositio­nen.

Laufzeit Bis 8. März täglich von 10 bis 20 Uhr. Der Katalog kostet 29 Euro.

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Foto: © Succession Picasso/VG Bild Kunst Webprobe aus Pablo Picassos „Frauen bei der Toilette, 1969.

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