Gewebt und wie gemalt
Gobelins Wie sich die Künstler der Moderne von Wandteppichen faszinieren ließen, zeigt die Kunsthalle München in einer Ausstellung
München Hier heißt es Abschied nehmen vom tradierten Klischee des Gobelins als dekorativer Wandschmuck in französischen Schlössern, jenen gewebten Tapisserien mit Schlachtendarstellungen, die hauptsächlich der Repräsentation dienten. Denn was die Kunsthalle München derzeit unter dem Titel „Die Fäden der Moderne“zeigt, führt das Kunsthandwerk nicht etwa als Nischenthema vor, sondern nobilitiert es jenseits aller Hierarchien zu einer eigenständigen Kunstform. Wer sich vorurteilslos durch die Ausstellungskabinette und Säle bewegt, wird überwältigt sein von der Stilvielfalt dieser textilen Bildträger – und ihrer Verwendung als Teppich, Wandbespannung oder Möbelbestoff.
Natürlich spielt die politische Repräsentation der Grande Nation bei diesem seit 400 Jahren in Frankreich gepflegten Medium bis in die 1930er, 40er Jahre eine wichtige Rolle. Doch auch heute dienen die kunstvoll gewebten Unikate der Pariser Manufacture des Gobelins der Ausstattung von Botschaften und Ministerien. An jedem dieser oft riesigen Werke arbeitet ein ganzes Team mehr als fünf Jahre, was die Exklusivität noch erhöht. Dass sie erstmals in dieser Fülle in Deutschland gezeigt werden, steigert den Reiz – auch wenn man zu Beginn der in neun Kapitel gegliederten Präsentation erst einmal mit ungewöhnlichen Sujets konfrontiert wird.
Während ein Kanapee mit Kanonen-Deko, ein Sessel mit Kampfflieger so gewöhnungsbedürftig ist wie Marschall Pétain hoch zu Ross, kann man sich der Faszination des Pyrenäen-Triptychons von Edmond Yarz nicht entziehen. Jean Lurcat wiederum, der nach dem Zweiten Weltkrieg in den Werkstätten von Aubusson die Renaissance der Tapisserie einleitete, nutzte textile
Bildträger für seine Aktivitäten in der Résistance. Zur Zeit der deutschen Besatzung mussten die Manufakturen für Nazis wie Hermann Göring arbeiten – Gott sei Dank ist von der auf 72 Quadratmeter geplanten monumentalen Scheußlichkeit nur ein Teil zu sehen.
Aufregend wird es mit den Künstlern der klassischen Moderne und aktuellen Positionen, von denen eine fotorealistisch einen 2 CV zeigt, eine andere die Digitalisierung optisch in Pixel umsetzt. Bei manchen Werken sind die Wollfäden so genial gewebt, dass man als Betrachter Pinselstriche sieht. Sensationell in ihrer ästhetischen Kraft und verführerischen Haptik die „Lautenspielerin“von Matisse, Picassos „Frauen bei ihrer Toilette“, aber auch abstrakte Kompositionen von Miró und Calder, Légers schwere Frauenkörper, die skulpturalen Formen von Chillida oder Vasarelys Op-Art-Vexierbilder mit ihrem unglaublichen Effekt der Dreidimensionalität. Man begegnet der Stilvielfalt der verschiedenen Kunstrichtungen seit dem Ersten Weltkrieg, die der Malerei in nichts nachsteht - und erliegt dem textilen Charme dieser Kompositionen.
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Laufzeit Bis 8. März täglich von 10 bis 20 Uhr. Der Katalog kostet 29 Euro.