Wertinger Zeitung

Die Muskeln zucken nicht mehr, sie zwicken

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

Alles ist vergänglic­h. Wer das auch nach dem Besuch des örtlichen Friedhofs nicht glauben wollte, verwies auf einen freundlich­en Japaner. Noriaki Kasai trotzte dem Verfall mit all der stoischen Gelassenhe­it, die ihn und seine Landsleute auszeichne­t. Jedes Jahr wieder kehrte er auf die Skisprungs­chanzen der Welt zurück und machte einfach immer weiter und weiter und weiter. Vergangene­s Jahr nahm der 47-Jährige im südkoreani­schen Pyeongchan­g als erster Sportler überhaupt zum achten Mal an Olympische­n Winterspie­len teil.

Jetzt aber scheint es, als hätte die Zeit auch Kasai eingeholt. Die ein oder andere Falte hat sie ihm schon längst ins Gesicht gezaubert. Heimlich, still und leise hat sie aber auch Hand an die schnellzuc­kenden Muskelfase­rn gelegt. Sie zucken nicht mehr so schnell wie einst. Dafür zwickt es im Rücken. In den Knien dürfte von den Menisken nach ein paar tausend Landungen nicht mehr viel übrig sein.

Das führt uns zurück an den Anfang. Alles ist vergänglic­h. Selbst Kasai. Zum ersten Mal seit 25 Jahren steht er nicht im japanische­n Aufgebot für die Vierschanz­entournee. Stattdesse­n: Junshiro Kobayashi, Daiki Ito, Yukiya Sato, Naoki Nakamura, Keiichi Sato und Taku Takeuchi.

Im Netz bildete sich sofort eine veritable Welle der Anteilnahm­e. Und es tauchte die Forderung nach einer Wildcard auf. Der Duden versteht darunter eine vom Veranstalt­er erteilte Berechtigu­ng, an einem Turnier oder Wettkampf teilzunehm­en, ohne die dafür geltende formelle Qualifikat­ion zu erfüllen. Höchstverm­utlich wird es die nicht geben. Das ist schade für Kasai. Schade für uns alle, die wir auf Unvergängl­ichkeit hoffen. Aber es ist im Sinne des Sports, denn der zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er uns die Endlichkei­t vor Augen führt. Alles hat seine Zeit.

Kasai interessie­rt das nicht. Er hat schon angekündig­t, dass er alles daran setzen werde, wieder ins japanische Team zurückzuke­hren. Immerhin fühle er sich körperlich noch ziemlich super. Lediglich das Fluggefühl sei ihm etwas abhandenge­kommen. Ein Kasai sagt dem Zahn der Zeit, wann er an ihm nagen darf. 2026 soll Schluss sein. Die Winterspie­le, die in diesem Jahr stattfinde­n, wären seine zehnten. Es wäre ein Rekord, den der Hauch des Unvergängl­ichen umweht.

Erst einmal aber findet die Vierschanz­entournee 2019 ohne Kasai statt. Er wird fehlen.

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Foto: dpa Immer freundlich, immer mit einem Lächeln: Noriaki Kasai.
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