Die Muskeln zucken nicht mehr, sie zwicken
Alles ist vergänglich. Wer das auch nach dem Besuch des örtlichen Friedhofs nicht glauben wollte, verwies auf einen freundlichen Japaner. Noriaki Kasai trotzte dem Verfall mit all der stoischen Gelassenheit, die ihn und seine Landsleute auszeichnet. Jedes Jahr wieder kehrte er auf die Skisprungschanzen der Welt zurück und machte einfach immer weiter und weiter und weiter. Vergangenes Jahr nahm der 47-Jährige im südkoreanischen Pyeongchang als erster Sportler überhaupt zum achten Mal an Olympischen Winterspielen teil.
Jetzt aber scheint es, als hätte die Zeit auch Kasai eingeholt. Die ein oder andere Falte hat sie ihm schon längst ins Gesicht gezaubert. Heimlich, still und leise hat sie aber auch Hand an die schnellzuckenden Muskelfasern gelegt. Sie zucken nicht mehr so schnell wie einst. Dafür zwickt es im Rücken. In den Knien dürfte von den Menisken nach ein paar tausend Landungen nicht mehr viel übrig sein.
Das führt uns zurück an den Anfang. Alles ist vergänglich. Selbst Kasai. Zum ersten Mal seit 25 Jahren steht er nicht im japanischen Aufgebot für die Vierschanzentournee. Stattdessen: Junshiro Kobayashi, Daiki Ito, Yukiya Sato, Naoki Nakamura, Keiichi Sato und Taku Takeuchi.
Im Netz bildete sich sofort eine veritable Welle der Anteilnahme. Und es tauchte die Forderung nach einer Wildcard auf. Der Duden versteht darunter eine vom Veranstalter erteilte Berechtigung, an einem Turnier oder Wettkampf teilzunehmen, ohne die dafür geltende formelle Qualifikation zu erfüllen. Höchstvermutlich wird es die nicht geben. Das ist schade für Kasai. Schade für uns alle, die wir auf Unvergänglichkeit hoffen. Aber es ist im Sinne des Sports, denn der zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er uns die Endlichkeit vor Augen führt. Alles hat seine Zeit.
Kasai interessiert das nicht. Er hat schon angekündigt, dass er alles daran setzen werde, wieder ins japanische Team zurückzukehren. Immerhin fühle er sich körperlich noch ziemlich super. Lediglich das Fluggefühl sei ihm etwas abhandengekommen. Ein Kasai sagt dem Zahn der Zeit, wann er an ihm nagen darf. 2026 soll Schluss sein. Die Winterspiele, die in diesem Jahr stattfinden, wären seine zehnten. Es wäre ein Rekord, den der Hauch des Unvergänglichen umweht.
Erst einmal aber findet die Vierschanzentournee 2019 ohne Kasai statt. Er wird fehlen.