Arzt: Toter am Küchentisch schlief friedlich ein
Pflege Wie stichhaltig sind die Vorwürfe gegen einen Pflegedienst aus dem nördlichen Landkreis? Dessen Chefin setzt sich juristisch zur Wehr. Und ein Mediziner erklärt, wie ein für Laien makabrer Vorfall wirklich ablief
Biberbach/Landkreis Augsburg Wie stichhaltig sind die Vorwürfe, die bei einem Runden Tisch im Landratsamt am Montag gegen einen Pflegedienst aus dem nördlichen Landkreis erhoben worden sind? Landtagsabgeordnete hatten sich entsetzt gezeigt über die Schilderungen, in denen es um die Bedingungen in einem halben Dutzend Senioren-Wohngemeinschaften mit ambulanter Pflege ging.
Bereits am Donnerstag nahmen vier Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen die Wohngemeinschaften unter die Lupe. 16 Beschwerdepunkte seien dabei zur Sprache gekommen, so die Chefin des Pflegedienstes. Bestätigt habe sich kein einziger. Sie vermutet, dass diese Kontrolle auf die Veranstaltung am Montag zurückzuführen ist. Zu dieser sei sie nicht eingeladen worden, auch die Ergebnisse bekomme sie nicht zu Gesicht und erfahre nur aus den Medien darüber. Die Geschäftsführerin bezeichnet die Vorwürfe, die sich auf Qualität der Pflege beziehen, als haltlos und hat nach eigenen Angaben bereits juristische Schritte eingeleitet. An dem Runden Tisch nahmen neben den Abgeordneten und Behördenvertretern Ärzte, ehemalige Beschäftigte und Angehörige teil. Die Pflegedienstchefin bemängelt, dass unter den Ärzten nicht die „Praxen waren, mit denen wir ständig zusammenarbeiten.“
Ein Sprecher des Landratsamtes in Augsburg sagte auf Anfrage unserer Zeitung, dass die Behörde bei Beschwerden über Pflegedienste oder Heime grundsätzlich die Vertraulichkeit wahre, damit den Beschwerdeführern beziehungsweise den Patienten keine Nachteile drohten. Genau deshalb würden gegenüber dem Pflegedienst auch keine Details genannt. Viele der genannten Mängel seien „Einzelvorkommnisse, die in der Summe gesehen absolut nicht tragbar sind.“Die Chefin des Dienstes kommentiert das einigermaßen fassungslos: „Wie soll ich mich denn so verteidigen?“
Ebenfalls nicht am Tisch saß der Biberbacher Hausarzt Dr. Ulrich Schneider. Er hat häufig in den Senioren-Wohngemeinschaften zu tun und war auch Augenzeuge eines Vorfalls, der in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgte, laut Schneider aber offenbar nicht korrekt dargestellt wurde. Schneider war gegen 18 Uhr im Zuge eines Notfall-Hausbesuches in der Wohngemeinschaft in Langenreichen. Er saß zusammen mit der Pflegekraft am Küchentisch und schrieb Rezepte. Dabei sei beiden aufgefallen, dass ein Patient, der in einem Therapie-Rollstuhl mit dem Rücken zum Tisch lag, plötzlich nicht mehr atmete. Laut Schneider hatte der Verstorbene eine schwere Herz-Operation hinter sich und sei „absolut friedlich eingeschlafen“. So makaber dieser Vorfall für Laien klinge, in der Pflege sei er nicht so ungewöhnlich.
Wie mehrfach berichtet, beklagen die Heimaufsicht des Landkreises sowie örtliche Politiker, dass für die ambulanten Senioren-Wohngemeinschaften zu laxe Vorschriften gelten würden. Auch Hausarzt Schneider sieht in dieser Betreuungsform Defizite und spricht von einer Gesetzeslücke. Andererseits aber sei „der Bedarf superhoch“. Viele Menschen seien froh, wenn sie ihre Angehörigen unterbringen könnten. Zudem spiele das Geld eine Rolle. Ambulante Wohngemeinschaften sind günstiger als Heime. „Die können sich viele nicht leisten.“Der Pflegedienst aus dem nördlichen Landkreis hat an die 200 Patienten. Mehr als 60 leben in den ambulant betreuten Wohngemeinschaften, für die es laut Heimaufsicht keine gesetzlichen Mindestanforderungen gibt, was die personelle Ausstattung mit Fachkräften anbelangt. Von den insgesamt 54 Beschäftigten des Pflegedienstes sind nach Angaben der Chefin zehn „gelernte“Fachkräfte, die anderen haben Zusatzausbildungen durchlaufen. Arbeitskräfte zu finden, gilt im Pflegebereich generell als schwierig.