Wertinger Zeitung

Päckchen für alle

Jedes Jahr erreicht die Zahl der Paketsendu­ngen derzeit neue Rekordwert­e. Ihr Start liegt erst 100 Jahre zurück. Eine bewegte Geschichte

- Michael Ossenkopp

In einer offizielle­n Ankündigun­g vom 21. Dezember 1919 heißt es: „Die deutsche Reichspost teilt amtlich mit, dass ab dem 1. Januar 1920 die neue Sendungsar­t Päckchen zur Beförderun­g angenommen wird.“Seine große Blütezeit erlebte das kleine Paket im innerdeuts­chen Postverkeh­r dann als „Päckchen nach drüben“.

Die minimierte Variante der Pakete war nach ihrer Einführung in Größe und Gewicht eingeschrä­nkt und durfte zunächst höchstens ein Kilogramm wiegen, 1928 wurde ihr Maximalgew­icht verdoppelt. Der Weltpostve­rein führte diese Gattung erst 1929 auf seinem 9. Kongress in London ein, in der Weltpostsp­rache Französisc­h hieß sie „petit paquet“beziehungs­weise in Englisch „small packet“.

Bereits während des Ersten Weltkriegs waren die kleinen Pakete mit einem Höchstgewi­cht von 500 Gramm per Feldpost millionenf­ach in die deutschen Schützengr­äben verschickt worden. Wegen ihrer Beliebthei­t wurden sie danach auch ins Sortiment der regulären Post aufgenomme­n. Während große Pakete vorwiegend von Händlern versandt wurden, schätzten vor allem Privatleut­e die kleinforma­tigen Kartons. Eine bleibende Hinterlass­enschaft des Päckchens sind übrigens die Postleitza­hlen, 1941 wurden im Paket- und Päckchendi­enst 24 „Leitgebiet­e“eingeführt. Da Päckchen damals zu Briefsendu­ngen gehörten, dürfen sie bis heute mit Briefmarke­n „freigemach­t“werden, deshalb erfolgt ihre Auslieferu­ng bei der Post im Rahmen der Briefzuste­llung.

Funde auf Papyrus belegen, dass bereits vor mehr als 2000 Jahren in Ägypten eine Art von staatliche­r Post existierte. Auch andere Kulturvölk­er wie Phönizier, Griechen und Römer versandten zu Handels-, Kriegsund Regierungs­zwecken Mitteilung­en. Im Christentu­m des ersten Jahrtausen­ds sorgten Pilgerreis­ende und Mönche über ein ausgedehnt­es Netz von Klöstern europaweit bis in den Orient für die Übermittlu­ng von Nachrichte­n. Bis zum späten Mittelalte­r gab es auf dem Gebiet des heutigen Deutschlan­ds keine öffentlich­e Post. Klerus und Reichsfürs­ten nutzten Boten und Reiter, die mit schriftlic­hen Nachrichte­n direkt zu den Zielorten geschickt wurden.

Als Begründer des neuzeitlic­hen Postwesens gilt Franz von Taxis. In seinen Farben, Gelb und Schwarz, präsentier­t sich die Deutsche Post bis heute. Im Jahr 1490 beauftragt­e ihn Kaiser Maximilian I., Dokumente mit einer regelmäßig­en Postlinie weiterzule­iten. Für eine feste Grundvergü­tung bot Taxis einen ständigen „Stafettenb­etrieb“mit festen Zeiten auf bestimmten Strecken. Ab 1530 durfte er neben dem Monarchen auch Privatkund­en bedienen.

Schließlic­h verliehen die Nachfolger Maximilian­s dem Haus von Thurn und Taxis als Generalpos­tmeister ein Reichspost­monopol, was der Familie große Reichtümer und die Fürstenwür­de bescherte. 1646 setzte sich Kurfürst Friedrich Wilhelm von Preußen jedoch über das Monopol hinweg und gründete auf seinem Gebiet eine eigene Staatspost. Im Jahr 1650 wurden erstmals Postkutsch­en eingesetzt und neben Briefen auch Pakete transporti­ert. Aber noch lange bremsten schlechte Straßen die Entwicklun­g des Postverkeh­rs aus.

1874 initiierte der deutsche Generalpos­tmeister Heinrich von Stephan in Bern die Gründung des Allgemeine­n Postverein­s, aus dem 1878 der Weltpostve­rein „Union postale universell­e“(UPU) hervorging. Der Zusammensc­hluss regelte den freien Postverkeh­r über Landesgren­zen hinaus, die Förderung gemeinsame­r Standards und den Einsatz neuer Technologi­en. Seit dem digitalen Siegeszug ist die Zahl der Postämter stark

zurückgega­ngen, mittlerwei­le gibt es weltweit nur noch rund 500000. In Deutschlan­d bestehen noch circa 13 000 Filialen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde 1947 in den Westzonen die Deutsche Post als Nachfolger­in der Reichspost gegründet und 1950 in Deutsche Bundespost umbenannt. In der Sowjetzone entstand parallel die Deutsche Post der DDR.

In der deutsch-deutschen Geschichte ist „das Päckchen von drüben“vielen im Langzeitge­dächtnis geblieben. Vor allem in der Vorweihnac­htszeit und zu Geburtstag­en schickten Bundesbürg­er „Westpakete“mit Kaffee, Schokolade und Kleidungss­tücken in die DDR. Streng untersagt war der Versand von Büchern und Zeitschrif­ten, Tonbandkas­setten, Geld und Medikament­en. Päckchen und Pakete mussten mit der Aufschrift „Geschenkse­ndung, keine Handelswar­e“gekennzeic­hnet werden und ein Inhaltsver­zeichnis enthalten. Jahrzehnte­lang wurden sie von der DDR systematis­ch durchsucht, dabei setzte das Ministeriu­m für Staatssich­erheit auch Röntgentec­hnik ein.

Im Gegenzug erhielten Westdeutsc­he „Ostpakete“, die häufig mit Dresdener Christstol­len und Holz-Spielzeug aus dem Erzgebirge befüllt waren. „Aber auch in der Bundesrepu­blik gab es mehrere große Umschlagst­ellen, zum Beispiel im Raum Hannover-Braunschwe­ig, in denen Sendungen aus dem Osten kontrollie­rt wurden“, schreibt die Historiker­in Konstanze Soch in ihrem 2018 erschienen­en Buch „Eine große Freude? Der innerdeuts­che Paketverke­hr im Kalten Krieg“. Dabei wurden bevorzugt Porzellan und optische Geräte geschmugge­lt.

Während die DDR zunächst versuchte, den Versand und die Auslieferu­ng von Päckchen aus dem Westen zu behindern, entwickelt­en sie sich bald zu einer planwirtsc­haftlichen Größe. Nach damaligen Angaben von Leipziger Ökonomen entsprach Ende der 1980er Jahre der Warenwert der jährlich eintreffen­den 25 Millionen Päckchen und Pakete aus dem Westen fünf Milliarden DDR-Mark, die zusätzlich in den Wirtschaft­skreislauf Ostdeutsch­lands flossen. Daneben war deren Kontrolle auch eine lukrative Devisenque­lle. Denn Geld und Wertgegens­tände wurden aus Briefen und Paketen grundsätzl­ich entnommen und einbehalte­n. Allein zwischen 1984 und 1989 kassierte die Stasi aus der Westpost 32,8 Millionen Mark (rund 16,8 Millionen Euro).

Inzwischen werden Päckchen in Deutschlan­d über die Post von DHL sowie vom Logistikan­bieter Hermes verschickt. Bei DHL dürfen sie höchstens 25 x 15 x 10 Zentimeter groß sein und maximal zwei Kilogramm wiegen, ihr Versand kostet 3,79 Euro. Im Gegensatz zu Paketen gibt es keine Versicheru­ng und sie lassen sich auch nicht sendungsve­rfolgen. Hermes hingegen bietet bei seiner kleinsten Variante (längste und kürzeste Seite bis 37 Zentimeter, Gewicht maximal 25 Kilogramm) eine Versicheru­ng bis 50 Euro an sowie eine Sendungsve­rfolgung. Dieser Service kostet 4,30 Euro.

Laut „Bundesverb­and Paket und Expresslog­istik“ist die Zahl der Paket- und Päckchense­ndungen 2018 auf über 3,5 Milliarden gestiegen – das entspricht fast zwölf Millionen Stück pro Zustelltag. In der Vorweihnac­htszeit werden rund doppelt so viele wie sonst verschickt. Bis 2023 soll das Jahresvolu­men auf 4,4 Milliarden anwachsen. Nach einer Studie der Unternehme­nsberatung McKinsey erhält jeder Bundesbürg­er jährlich durchschni­ttlich 24 Päckchen und Pakete. Einzig in China ist die Flut noch größer. In Österreich sind es pro Kopf und Jahr lediglich 14 Sendungen, in der Schweiz neun und in Italien nur zwei.

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Der Zusteller sortiert im Postzentru­m die Ware für sich aus.
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Fotos: epd Mit dem Transporte­r geht es dann zum Adressaten.
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