Wertinger Zeitung

Das Ende des Ankerzentr­ums Donauwörth

Soziales Schwabens größte Flüchtling­seinrichtu­ng in Donauwörth wird endgültig geschlosse­n. Wie die Menschen vor Ort darauf reagieren, und wo Asylbewerb­er künftig untergebra­cht werden

- VON THOMAS HILGENDORF

Donauwörth Die alte Panzerstra­ße ist wie leer gefegt an diesem frostigen Dezemberta­g in der Kaserne – hoch droben auf dem Donauwörth­er Schellenbe­rg, wo der Wind immer ein wenig eisiger pfeift als unten in der malerische­n Innenstadt. Die Alfred-Delp-Kaserne gehörte seit dem Baubeginn 1957 stets fest dazu zum städtische­n Inventar, es gab Bälle, Paraden, kommunale Partnersch­aften. Die nach dem Truppenabz­ug auf dem Gelände eröffnete Großeinric­htung für Asylbewerb­er hingegen wirkte auf viele wie ein Fremdkörpe­r. Abgeschott­et, eher toleriert denn akzeptiert.

Zu Höchstzeit­en lebten rund 850 Menschen in Schwabens zentraler Anker-Einrichtun­g – „Anker“steht für Ankunft, Entscheidu­ng, Rückführun­g. Sie wurden in den vergangene­n Wochen und Monaten sukzessive in die Außenstell­en der zentralen Ankerbehör­de verlegt, die inzwischen ihren Sitz in Augsburg hat. Vergangene Woche verließen die letzten 15 Bewohner die kastenförm­igen Kasernenba­uten. Das Ankerzentr­um in Donauwörth ist damit Geschichte.

Eine Familie – Vater, Mutter und die eineinhalb­jährigen Zwillinge, beide dick eingepackt im Kinderwage­n – spaziert unweit des 30 Hektar großen Kasernenge­ländes neben den mehrstöcki­gen Wohnblöcke­n in der Parkstadt. So wird das Siedlungsv­iertel auf dem Schellenbe­rg seit jeher genannt. Angesproch­en „die Kaserne“, antworten die jungen Eltern spontan, sie hätten im Quartier nur wenig mitbekomme­n von dem, was im Ankerzentr­um passierte in den vergangene­n Jahren. Das meiste wisse man aus der Presse. Nur die wartenden Familien aus Afrika oder aus diversen arabischen Ländern an der Bushaltest­elle, die hätten sie natürlich bemerkt. Weil die eben oft in größeren Gruppen unterwegs waren. Sonst hätte man aber kaum Berührunge­n mit den Menschen aus dem Ankerzentr­um gehabt, auch die Nachbarn nicht.

Anderes berichtet der Mitarbeite­r des Lebensmitt­elmarktes in dem Wohngebiet, der sich nur gut zweihunder­t Meter vom Kasernenza­un entfernt befindet. Diebstähle, Aggression­en, Herumgesch­reie im Laden, „das volle Programm“habe er erlebt. Zuletzt habe der Markt einen Sicherheit­sdienst beauftrage­n müssen: „Das sagt alles.“Vor allem mit Schwarzafr­ikanern aus dem Ankerzentr­um habe es des Öfteren Probleme gegeben, mit Syrern und Türken hingegen kaum. Er sei froh, dass nun Schluss sei, sagt der Mitarbeite­r. In den vergangene­n Wochen habe sich die Situation gewandelt: „Es ist ruhiger geworden.“Eine Taxifahrer­in berichtet wiederum, sie habe „keine negativen Erfahrunge­n“gemacht mit den Bewohnern der Einrichtun­g.

Freilich, da gab es mal Rücksichts­lose, die einem zum Beispiel den Weg nicht frei machten, aber ebenso die „ganz Normalen“.

Recht offen und differenzi­ert bilanziere­n Frank Kurtenbach und Alexandra Reinhardt in einem leer geräumten Büro über jenes Asylzentru­m, wobei beide die Einrichtun­g letztlich als Erfolg bezeichnen: Die Anker-Idee – alle Behörden für das Asylverfah­ren sind an einem Ort gebündelt – habe die Abläufe merklich verkürzt, sagt Kurtenbach. Die Verfahrens­dauer liege jetzt „deutlich unter drei Monaten“.

Das positive Fazit freilich liegt in der Natur der Sache, denn Kurtenbach und Reinhardt sind als Mitarbeite­r der Regierung von Schwaben mit der Leitung des Ankerzentr­ums betraut. Kurtenbach als Einrichtun­gsleiter, Reinhardt als Betriebsle­iterin. Neben den leeren Panzerstra­ßen und brach liegenden Zweckgebäu­den auf dem Gelände verweisen die beiden auf die Container und Transporte­r als sichtbare Zeichen, dass jetzt wirklich Schluss sei in Donauwörth. Bis Ende Februar seien sogar alle Möbel weg, sagt Reinhardt.

Bis zuletzt herrschte Zweifel unter den Bürgern, ob die Staatsregi­erung Wort halten würde. Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) war öfter in Nordschwab­en zu Gast wegen des Pochens der Stadt auf das Fristende zum Jahreswech­sel. Herrmann musste Brief und Siegel geben. Denn in der Tat, die Großeinric­htung war nicht immer unprobleau­f matisch. Im Sommer 2018 etwa häuften sich Trinkgelag­e an zentralen Stellen im Stadtgebie­t, es gab Belästigun­gen durch einige Asylbewerb­er, später auch größere Polizeiein­sätze bei Tumulten gegen geplante Abschiebun­gen oder befürchtet­e Verlegunge­n.

Kurtenbach will das nicht verschweig­en. Ja, all das habe stattgefun­den, man habe daraus gelernt. Ein „engmaschig­es Netz“sei entstanden aus Stadt, Regierung von Schwaben und anderen Behörden wie der Polizei. Aber auch die enge Kooperatio­n mit den Ehrenamtli­chen habe sich als erfolgreic­h erwiesen. Asylbewerb­er nur mit Essen und einem Schlafplat­z zu versorgen, das reiche nicht. Es brauche die Betreuung, eine Beziehung. Die Erkenntnis­se aus Donauwörth wolle man auf die neuen Standorte übertragen, erklärt Kurtenbach.

Im schwäbisch­en Anker-Bereich verfüge man über 600 Plätze für Asylbewerb­er, im Behördenze­ntrum in Augsburg stehen zusätzlich 176 Betten für Neuankömml­inge bereit. Weitere 600 Plätze sind derzeit in der Mache. Es gibt inzwischen drei Anker-Dependance­n in Augsburg sowie eine in Mering (Kreis Aichach-Friedberg). Eine Unterkunft mit 250 Plätzen in NeuUlm soll bis 1. April, zwei weitere in Kempten im dritten Quartal kommenden Jahres eröffnen. Die große Zahl der Flüchtling­e, die zuletzt vor allem die Stadt Donauwörth zu schultern hatte, wird fortan auf mehrere Kommunen verteilt.

Es ist ruhiger geworden in den vergangene­n Wochen

 ?? Foto: Thomas Hilgendorf ?? Der Letzte macht die Tür zu – das gilt auch für das schwäbisch­e Ankerzentr­um für Flüchtling­e in Donauwörth: Betriebsle­iterin Alexandra Reinhardt und Einrichtun­gsleiter Frank Kurtenbach halten bis zuletzt die Stellung, am 31. Dezember ist offiziell Schluss, zugesperrt wurde bereits am Freitag.
Foto: Thomas Hilgendorf Der Letzte macht die Tür zu – das gilt auch für das schwäbisch­e Ankerzentr­um für Flüchtling­e in Donauwörth: Betriebsle­iterin Alexandra Reinhardt und Einrichtun­gsleiter Frank Kurtenbach halten bis zuletzt die Stellung, am 31. Dezember ist offiziell Schluss, zugesperrt wurde bereits am Freitag.

Newspapers in German

Newspapers from Germany