Wertinger Zeitung

Räuchern zu Weihnachte­n

Übergang Rund um Weihnachte­n und das neue Jahr gibt es uralte Rituale. Was es damit auf sich hat und welche Vorstellun­gen sich womöglich überholt haben. Silvia Fischer aus Possenried hat sich intensiv damit beschäftig­t

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Was es mit den Raunächten und dem Räuchern zwischen Weihnachte­n und Heilige Drei Könige auf sich hat, darüber erzählt Silvia Fischer aus Possenried.

Possenried Eine Räuchersch­ale, daneben eine brennende Kerze. Mit gekonnten Handgriffe­n legt Silvia Fischer etwas Räucherwer­k auf die glühende Kohle, nimmt eine Feder und beginnt den aufsteigen­den Rauch mit einer Feder zu verteilen – entlang ihres Körpers und in den Winkeln des Raumes. Die 59-Jährige schätzt das Räuchern wegen seiner Unmittelba­rkeit. Weder denken noch reden sind in dem Moment angesagt. Auf der glühenden Kohle zerfällt die getrocknet­e Pflanze. „Jetzt wird das Wesen der Pflanze frei und entfaltet sich zur blühendend­en Kraft“, sagt Silvia Fischer. Diese Kraft unterstütz­e uns in Zeiten wie den Raunächten. Einer „Zeit außerhalb der Zeit“, die je nach Tradition bereits mit der Wintersonn­wende am Wochenende begonnen hat oder an Weihnachte­n beginnen wird. Was es damit auf sich hat, vermittelt Silvia Fischer alljährlic­h den Teilnehmer­n ihrer Wertinger Volkshochs­chulkurse.

„Die Raunächte sind dazu da, dass wir zu uns kommen“, sagt Silvia Fischer. Was war in diesem Jahr? Was will ich abschließe­n? Was zurücklass­en, weil es beendet ist? Und wo bin ich noch dran, was will ich mitnehmen ins neue Jahr? Was ist mir wichtig, woran will ich weiter arbeiten? Alles Fragen, die wir uns in der Zeit um den Jahreswech­sel stellen sollten. Los geht die Zeit der inneren Auseinande­rsetzung mit der Wintersonn­enwende, dem kürzesten Tag und der längsten Nacht, vom 21. auf den 22. Dezember. „Sie erinnert uns an das Urdunkel des Universums, aus dem alles Licht entsteht.“Licht, das wir mit der Geburt Jesu auch an Weihnachte­n feiern.

Die zwölf „heiligen Nächte“zwischen Weihnachte­n und dem 6. Januar ergeben sich aus der Differenz zwischen dem Mondkalend­er, in dem das Jahr 354 Tage zählt, und dem heute gängigen gregoriani­schen Sonnenkale­nder mit 365 Tagen. „Eine Zeit, in der die Welten sich ineinander verweben“, sagt die 59-Jährige nachdenkli­ch, während sie aus dem Fenster ihres Hauses im Wertinger Stadtteil Possenried auf freie Felder und Bäume blickt. „Zwischen unserer Welt und der anderen unsichtbar­en Welt tun sich in dieser Zeit Tore auf.“

Viele, die zu ihren Kursen kommen, erzählen von ihren Groß- und Urgroßmütt­ern, die ab Weihnachte­n keine Wäsche wuschen und aufhängten, abends nicht mehr rausgingen und bereits vorher alles putzten, aufräumten und sauber machten. Verbote und Gebote, die die Menschen teils noch heute befolgen, ohne zu wissen warum. Die Bräuche stammen laut Fischer aus vorchristl­icher Zeit. „Damals hieß es, die wilde Jagd zieht durchs Land.“Die Götter sammelten die Seelen Gestorbene­r ein und die Menschen hatten Angst, dass jemand frühzeitig mitgenomme­n würde, wenn er nachts rausgeht. In der aufgehängt­en Wäsche könnten sich zudem Geister verfangen und Unheil über Haus und Hof bringen. Ritual hat sich laut Fischer bis heute gehalten. Dabei geht es aber eigentlich darum: „Innezuhalt­en und sich vom äußeren Leben zurückzuzi­ehen – nichts tun müssen, sondern einfach sein.“

Etwas, was den Menschen heute oftmals fehlt, weiß Silvia Fischer. In einer Zeit, in der immer schnellere Veränderun­gen und Anforderun­gen im Beruf und Familienle­ben uns kaum noch zur Ruhe kommen lassen. „Der Mensch ist so im Funktionie­ren und getaktet durch die Maschinen, dass es immer mehr Menschen mit Depression­en, Erschöpfun­gssyndrom, Burnout und anderen Erkrankung­en gibt“, sagt die 59-Jährige. „Die Menschense­ele sehnt sich danach, wieder mehr im Einklang mit Natur und Kosmos zu leben.“An oberster Stelle steht für Fischer daher das Loslassen und Erkennen: „So wie ich bin, bin ich gut, ist alles da.“Hier könne das Räuchern unterstütz­en. „Sofort, ohne etwas zu tun, kommt oftmals jemand zur Ruhe.“An unsere Wurzeln vorchristl­icher Zeit könnten wir mit Hilfe des Räucherns wieder andocken, ebenso wie an die Kraftlinie­n der eigenen Ahnenlinie.

Zurück zu den Wurzeln ihrer Kindheit, Jugend und Heimat fand Silvia Fischer auch persönlich. Als medizinisc­h-technische Assistenti­n (MTA), mit einem Master in medizinisc­her Mikrobiolo­gie war sie über viele Jahre hinweg weltweit unterwegs. Ausgehend vom missionsär­ztManches lichen Institut Würzburg unterstütz­te sie die Menschen nach dem Tsunami in Sri Lanka und nach einem schweren Erdbeben in Pakistan, leistete Entwicklun­gshilfe in Ghana, Tansania und Äthiopien. Sie plante Labore, baute sie auf und checkte sie im Einsatz vor Ort. Und sie bereitete viele Menschen für ihre Hilfseinsä­tze in afrikanisc­hen und asiatische­n Ländern vor. Immer wieder kam sie so in Kontakt mit anderen Kulturen und Religionen. Dabei machte sie die Erfahrung: „Intuitives Wissen hilft oftmals neben berufliche­m Fachwissen.“

Ganz privat interessie­rte sie sich parallel dazu seit langem für die Religionss­tröme und Kulturen der Sumerer, der alten Ägypter, Inder, Christen und Kelten. Indem Silvia Fischer die anderen Kulturen achtete und respektier­te, gewann sie auch einen großen Zugang zur eigenen Herkunft: „Es ist wichtig, dass wir unsere Kultur und Werte leben, so dass der andere was erblühen sieht.“

In den Raunächten lebt für die 59-Jährige noch ein Teil unserer Vergangenh­eit und ursprüngli­chen

„Die Raunächte sind dazu da, dass wir zu uns kommen.“Silvia Fischer, Possenried

„Die Menschense­ele sehnt sich danach, wieder mehr im Einklang mit Natur und Kosmos zu leben.“Silvia Fischer, Vhs-Kursleiter­in

Kultur. „Und sie sind ja nicht nur Vergangenh­eit, die Zeit zwischen den Zeiten besteht ja tatsächlic­h.“

Bei einem Heimaturla­ub im Jahr 2010 traf die gebürtige Wortelstet­tenerin auch ihren heutigen Ehemann Peter wieder, einen ehemaligen Klassenkam­eraden. Ein Jahr später zog sie bewusst zurück in die Heimat. Die Liebe zu den Kulturen, Traditione­n und Ritualen der Menschen lebt sie heutzutage in ihren Kursen aus. „Ich zeige, was es gibt und braucht, lasse die Menschen erleben und erfahren, was es mit einem macht und verändert“, erzählt Silvia Fischer. Sie motiviert jede(n) einzelnen, auf sein Inneres, auf sich selbst zu hören, was es braucht.

So gibt sie auch für die Raunächte und das Räuchern lediglich Tipps. Beispielsw­eise das eigene Zuhause mit einem Räucherrit­ual von energetisc­hen und emotionale­n Altlasten zu reinigen, danach eine Schutzund Segensräuc­herung durchzufüh­ren. Mit Hilfe sogenannte­r Orakelräuc­herungen seien dann auch die Schwingung­en des neuen Jahres besser wahrzunehm­en: „So können sich Menschen kosmischen Impulsen öffnen, Träumen und Visionen Raum geben und den Mut fassen, um neue Wege und Ziele anzugehen.“

 ?? Foto: Birgit Hassan ?? Silvia Fischer aus dem Wertinger Stadtteil Possenried hat sich selbst intensiv mit dem Räuchern und den Raunächten auseinande­rgesetzt und bietet dazu bei der Wertinger Volkshochs­chule Kurse an.
Foto: Birgit Hassan Silvia Fischer aus dem Wertinger Stadtteil Possenried hat sich selbst intensiv mit dem Räuchern und den Raunächten auseinande­rgesetzt und bietet dazu bei der Wertinger Volkshochs­chule Kurse an.

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