Wertinger Zeitung

Die Frau, die es nicht gab

Porträt Als ihr Mann von der Mafia ermordet wurde, lebte sie 27 Jahre lang geheim im Zeugenschu­tzprogramm. Jetzt kämpft Piera Aiello als Politikeri­n gegen die Cosa Nostra

-

Seit knapp zwei Jahren ist Piera Aiello Abgeordnet­e im italienisc­hen Parlament – vorher existierte die 52-jährige Sizilianer­in nicht. Zumindest nicht unter diesem Namen. Denn 27 Jahre lang war sie im Zeugenschu­tzprogramm. Sie lebte mit anderer Identität, die sie vor Angriffen und Morddrohun­gen der Mafia schützen sollte. Im März 2018 erzielte Aiello für die populistis­che Fünf-Sterne-Bewegung ein Mandat für ihre Heimatprov­inz Trapani, einer stark von der Mafia geprägten Gegend. Nach Jahren im Verborgene­n begann Aiellos Weg in die Politik damit, den Schleier der falschen Identität abzulegen.

Ihr Gesicht konnte Aiello aus Sicherheit­sgründen dennoch nicht auf Wahlplakat­en oder Flugblätte­rn zeigen. So erlangte sie als „Phantomkan­didatin“Bekanntsch­aft. Mit einer Maske oder einem Gesichtssc­hleier ging Aiello zwar nicht auf die Straßen, aber zu viele Menschen sollten ihr Gesicht nicht sehen. „Wenn ich Wähler traf, bat ich sie, keine Fotos von mir zu machen, und das haben die Menschen respektier­t“, sagt die Politikeri­n.

Aiellos Leben unter Tarnung nahm ihren Lauf, als sie gegen die „Omerta“, die Schweigepf­licht bei der Mafia, aufbegehrt­e und die Mörder ihres Mannes 1991 bei der Polizei anzeigte. Ihr damaliger Ehemann Nicola Atria war selbst ein Kriminelle­r, Aiello war gezwungen worden, ihn zu heiraten.

In der Pizzeria, die die beiden gemeinsam betrieben, wurde er vor ihren Augen von Gegnern ermordet. „Als mein Mann starb, sagte ich mir: Es reicht. Und ich wusste, dass ich die richtige Entscheidu­ng traf.“

Die Zeit im Verborgene­n war nur eine der vielen Härten, die Aiellos Leben mit sich brachte. Ihr Mann verprügelt­e sie selbst, als sie schwanger war. Der Beginn der Ehe stand unter keinem guten Stern. Während der Flitterwoc­hen 1985 wurde Aiellos Schwiegerv­ater von Mafiosi ermordet. Als ihren Mann sechs Jahre später das gleiche Schicksal ereilte, saß Aiello allein mit ihrer dreijährig­en Tochter da. Die junge Frau wandte sich an die Polizei. Gemeinsam mit ihrer Schwägerin Rita Atria wurde sie zur Informanti­n. Paolo Borsellino, einer der führenden italienisc­hen Staatsanwä­lte im Kampf gegen die Mafia, nahm die Frauen unter seine Fittiche. Nur wenig später starb er bei einem von der Mafia verübten Bombenansc­hlag. Atria nahm sich daraufhin 1992 das Leben. Aiello war am Boden zerstört, aber gab nicht auf. „Mit meinem neuen Namen konnte ich eine Familie gründen, einen Job finden, und habe stets ein fast normales Leben geführt.“

Mittlerwei­le lebt Aiello wieder unter ihrem Geburtsnam­en, ihr Aussehen muss nicht mehr geheimgeha­lten werden. Dennoch bekommt sie weiterhin Polizeisch­utz, vermutlich ein Leben lang: „Ich habe mich nur dazu entschloss­en, mein Gesicht zu zeigen, weil es nicht mit einem öffentlich­en Amt vereinbar war, dieses geheimzuha­lten.“

 ?? Foto: dpa Foto: XXXX ??
Foto: dpa Foto: XXXX

Newspapers in German

Newspapers from Germany