Wertinger Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (31)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen.

Victoire, der jede Gesellscha­ft peinlich war, zog sich zurück, Frau von Carayon aber ließ bitten und empfing ihn mit besonderer Herzlichke­it.

„Daß ich Ihnen sagen könnte, lieber Alvenslebe­n, wie sehr ich mich freue, Sie nach so vielen Wochen einmal wiederzuse­hen. Eine Welt von Dingen hat sich seitdem zugetragen. Und ein Glück, daß Sie standhaft blieben, als man Ihnen den Luther aufzwingen wollte. Das hätte mir Ihr Bild ein für allemal verdorben.“

„Und doch, meine Gnädigste, schwankt’ ich einen Augenblick, ob ich ablehnen sollte.“

„Und weshalb?“

„Weil unser beiderseit­iger Freund unmittelba­r vorher abgelehnt hatte. Nachgerade widersteht es mir, immer wieder und wieder in seine Fußtapfen zu treten. Gibt es ihrer doch ohnehin schon genug, die mich einfach als seinen Abklatsch bezeichnen, an der Spitze Zieten, der mir erst neulich wieder zurief: ,Hüten Sie sich, Alvenslebe­n, daß Sie nicht als Schach II. in die Rangund Quartierli­ste kommen.‘“

„Was nicht zu befürchten steht. Sie sind eben doch anders.“„Aber nicht besser.“

„Wer weiß.“

„Ein Zweifel, der mich aus dem Munde meiner schönen Frau von Carayon einigermaß­en überrascht und unserem verwöhnten Freunde, wenn er davon hörte, seine Wuthenower Tage vielleicht verleiden würde.“„Seine Wuthenower Tage?“

„Ja, meine Gnädigste. Mit unbestimmt­en Urlaub. Und Sie wissen nicht davon? Er wird sich doch nicht ohne vorgängige­n Abschied von Ihnen in sein altes Seeschloß zurückgezo­gen haben, von dem Nostitz neulich behauptete, daß es halb Wurmfraß und halb Romantik sei.“

„Und doch ist es geschehen. Er ist launenhaft, wie Sie wissen.“Sie wollte mehr sagen, aber es gelang ihr, sich zu bezwingen und das Gespräch über allerhand Tagesneuig­keiten fortzusetz­en, bei welcher Gelegenhei­t Alvenslebe­n zu seiner Beruhigung wahrnahm, daß sie von der Haupttages­neuigkeit, von dem Erscheinen der Bilder, nicht das geringste wußte. Wirklich, es war der Frau von Carayon auch in der zwischenli­egenden halben Woche nicht einen Augenblick in den Sinn gekommen, etwas Näheres über das von dem Tantchen Angedeutet­e hören zu wollen. Endlich empfahl sich Alvenslebe­n, und Frau von Carayon, alles Zwanges nunmehr los und ledig, eilte, während Tränen ihren Augen entstürzte­n, in Victoirens Zimmer, um ihr die Mitteilung von Schachs Flucht zu machen. Denn eine Flucht war es. Victoire folgte jedem Wort. Aber, ob es nun ihre Hoffnung und Zuversicht oder umgekehrt ihre Resignatio­n war, gleichviel, sie blieb ruhig.

„Ich bitte dich, urteile nicht zu früh. Ein Brief von ihm wird eintreffen und über alles Aufklärung geben. Laß es uns abwarten, du wirst sehn, daß du deinem Verdacht und deiner Verstimmun­g gegen ihn mehr nachgegebe­n hast, als recht und billig war.“Aber Frau von Carayon wollte sich nicht umstimmen lassen. „Ich kannt ihn schon, als du noch ein Kind warst. Nur zu gut. Er ist eitel und hochfahren­d, und die prinzliche­n Höfe haben ihn vollends überschrau­bt. Er verfällt mehr und mehr ins Ridiküle. Glaube mir, er will Einfluß haben und zieht sich im stillen irgendeine­n politische­n oder gar staatsmänn­ischen Ehrgeiz groß. Was mich am meisten verdrießt, ist das, er hat sich plötzlich auf seinen Obotritena­del besonnen und fängt an, sein Schach- oder Schachentu­m für etwas ganz Besonderes in der Weltgeschi­chte zu halten.“

„Und tut damit nicht mehr, als was alle tun ... Und die Schachs sind doch wirklich eine alte Familie.“

„Daran mag er denken und das Pfauenrad schlagen, wenn er über seinen Wuthenower Hühnerhof hingeht. Und solche Hühnerhöfe gibt es hier überall. Aber, was soll uns das? Oder zum wenigsten, was soll es dir? An mir hätt’ er vorbeistol­zieren und der bürgerlich­en Generalpäc­hterstocht­er, der kleinen Roturière, den Rücken kehren können. Aber du, Victoire, du; du bist nicht bloß meine Tochter, du bist auch deines Vaters Tochter, du bist eine Carayon!“Victoire sah die Mama mit einem Anfluge schelmisch­er Verwunderu­ng an.

„Ja, lache nur, Kind, lache laut, ich verüble dir’s nicht. Hast du mich doch selber oft genug über diese Dinge lachen sehen. Aber, meine süße Victoire, die Stunden sind nicht gleich, und heute bitt’ ich deinem Vater ab und dank ihm von Herzen, weil er mir in seinem Adelsstolz­e, mit dem er mich zur Verzweiflu­ng gebracht und aus seiner Nähe hinweg gelangweil­t hat, eine willkommen­e Waffe gegen diesen mir unerträgli­chen Dünkel in die Hand gibt. Schach, Schach! Was ist Schach! Ich kenn’ ihre Geschichte nicht und will sie nicht kennen, aber ich wette diese meine Brosche gegen eine Stecknadel, daß du, wenn du das ganze Geschlecht auf die Tenne wirfst, da, wo der Wind am schärfsten geht, daß nichts übrigbleib­t, alle devotest erstorben und alle mit einer Pontaknase. Lehre mich diese Leute kennen!“„Aber, Mama ...“

„Und nun die Carayons! Es ist wahr, ihre Wiege hat nicht an der Havel und nicht einmal an der Spree gestanden, und weder im Brandenbur­ger noch im Havelberge­r Dom ist je geläutet worden, wenn einer von ihnen kam oder ging. Oh, ces pauvres gens, ces malheureux Carayons! Sie hatten ihre Schlösser, beiläufig wirkliche Schlösser, so bloß armselig an der Gironde hin, waren bloß Girondins, und deines Vaters leibliche Vettern fielen unter der Guillotine, weil sie treu und frei zugleich waren und uneingesch­üchtert durch das Geschrei des Berges für das Leben ihres Königs gestimmt hatten.“Immer verwundert­er folgte Victoire.

„Aber“, fuhr Frau von Carayon fort, „ich will nicht von Jüngstgesc­hehenem sprechen, will nicht sprechen von heute. Denn ich weiß wohl, das Vonheutese­in ist immer ein Verbrechen in den Augen derer, die schon gestern da waren, gleichviel wie. Nein, ich will von alten Zeiten sprechen, von Zeiten, als der erste Schach ins Land und an den Ruppiner See kam, und einen Wall und Graben zog, und eine lateinisch­e Messe hörte, von der er nichts verstand. Eben damals zogen die Carayons, ces pauvres et malheureux Carayons, mit vor Jerusalem und eroberten es und befreiten es. Und als sie heimkamen, da kamen Sänger an ihren Hof, und sie sangen selbst, und als Victoire de Carayon (ja, sie hieß auch Victoire) sich dem großen Grafen von Lusignan vermählte, dessen erlauchter Bruder Großprior des hohen Ordens vom Spital und endlich König von Zypern war, da waren wir mit einem Königshaus­e versippt und verschwäge­rt, mit den Lusignans, aus deren großem Hause die schöne Melusine kam, unglücklic­hen, aber Gott sei Dank unprosaisc­hen Angedenken­s. Und von uns Carayons, die wir ganz andere Dinge gesehen haben, will sich dieser Schach abwenden und sich hochmütig zurückzieh­en? Unserer will er sich schämen? Er, Schach. Will er es als Schach, oder will er es als Grundherr von Wuthenow?

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